Raus aus der menschenfernen Routine! Kann gestärkte Ebene der Kommunen das politische Projekt Europa retten?

Königstein (hhf) – War es die besonders aufwendige Umgestaltung der Volksbank-Schalterhalle zum Hörsaal oder die pure Verzweiflung über Verwässerung und Ökonomisierung einer bald nicht mehr handlungsfähigen EU? Jedenfalls wurde Moderator Professor Dr. Diether Döring bei der Einleitung des achten Vortrages im Königsteiner Forum ungewohnt poetisch und bat die Referentin darum, nach „leichter Enttäuschung“ nun „unsere alte Liebe zu retten“ – gemeint war in „Zeiten des Umbruchs“ natürlich das Verhältnis der Bürger zur Europäischen Union.

Das wolle sie versuchen, so gut sie könne, „aber das muss man verdienen wie in einer guten Ehe“, vermutlich die Routine beenden und einen Neuanfang machen, versprach Professor Dr. Gesine Schwan, die sich dem Thema „Europa – Niedergang eines politischen Projekts?“ gestellt hatte. Wenn sie nicht gerade als Eheberaterin praktiziert, beschäftigt sie sich gleichermaßen mit angewandter und theoretischer Politik. Nach einem Studium in den Fächern Romanistik, Geschichte, Philosophie und Politologie in Berlin und Freiburg schlug die bekennende Berlinerin die wissenschaftliche Laufbahn ein und lehrte von 1977 bis 1999 Politikwissenschaft an der FU Berlin. Dann wechselte sie als Präsidentin und Mitbegründerin an die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und ist heute Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform in Berlin.

Seit 1972 ist die mehrfach mit hohen Auszeichnungen bedachte Professorin Mitglied der SPD, dort seit 2014 Vorsitzende der Grundwertekommission und fungierte von 2005 bis 2009 als Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen.

Das politische Projekt EU

„Mit Routine wird es nicht weitergehen in Europa“, das in den letzten Jahren durchaus Zeichen des Niedergangs zeige, so die Meinung von Gesine Schwan. Dabei hatte es einmal sehr hoffnungsvoll angefangen, die oft auch kriegerisch umstrittenen Güter Kohle und Stahl bildeten die Grundlage einer ökonomischen Gemeinsamkeit, gefolgt von einigen politischen Grundwerten. Die Annahme, dass ein wirtschaftliches Zusammenwachsen politische Gemeinsamkeit nach sich zieht, erfüllte sich dann aber nur wenig. Dennoch erfuhr das „politische Projekt“ weltweite Anerkennung und schließlich startete man mit den Konferenzen und Verträgen von Maastricht 1992 einen erneuten Versuch, diesmal über eine gemeinsame Währung den gesellschaftlichen Zusammenschluss zu fördern.

Von den Erfolgen beflügelt, unterwarf man sich allerdings weiterhin den Begehrlichkeiten der Wirtschaft, förderte Deregulierung und Privatisierung und übersah die Tendenz. alles jenseits von Profit zu vernachlässigen. Die einst von Nationalstaaten und nicht von Bürgern gegründete EU wandelte sich in eine Ansammlung von „Standorten“, die miteinander vor allem im Preiswettbewerb stehen – wenngleich der heutige Weltmarkt auch Raum für teure Qualität und Erfindergeist frei hält.

Dennoch wurde das ökonomische Prinzip zum „Spaltpilz“ der Mitglieder, der Wettbewerb setzte sich in vielen Bereichen fest während manche volkswirtschaftliche Methode nun nicht mehr funktionierte, zum Beispiel das Abwerten einer Währung, um den Export zu steigern. In der Folge ist geradezu eine Phase der „Leichtfertigkeit“ in vielen Regierungen zu spüren gewesen, deren saure Früchte schließlich vom Steuerzahler geerntet werden mussten, da natürlich niemand sonst die Verantwortung für die Fehler übernahm. Der Fehler dabei: Man kann einen Staat nicht auf betriebswirtschaftliche Kerngrößen reduzieren, „Wachstum allein schafft keine Lösungen.“

Krisen in der EU

Was eigentlich eine Krise der Banken war, die sich „verzockt“ hatten, wurde durch deren Rettung durch die Staaten erst zu einer Staatsschuldenkrise, was alleine durch die unterschiedliche „Schuldentragfähigkeit“ der Mitgliedsstaaten zu unterschiedlichen Vorgehensweisen führen musste. Dabei hat Deutschland zwar viel richtig gemacht, allerdings auch bessere Chancen gehabt als viele andere Länder. Somit leben wir zwar auf einer „Insel der Glückseligen“, was aber auch Neid bei den Nachbarn hervorruft – einer so wichtigen gemeinsamen EU-Politik ist das eher nicht zuträglich, Misstrauen herrscht aber unter vielen Staaten. „Der Niedergang ist eingeleitet“, „auf nichts haben wir eine gemeinsame Antwort gefunden“, dabei könnten nur solidarische Entscheidungen die derzeit drei „markanten Krisen“ bekämpfen: Das Anschwellen rechtsextremistischer, euroskeptischer Parteien, die Flüchtlingskrise und auch die Griechenland-Krise. In letzterem Mitgliedsstaat hat man vielleicht sogar zu viel einsparen müssen, um wieder auf die eigenen Füße zu kommen.

„Wir haben keine gemeinsame Perspektiven für ein gemeinsames Lebensmodell“ trotz ähnlicher Werte, es fehlt ein Grundkonsens und das Bewusstsein, sich gegen andere Regionen der Welt zusammenzuschließen oder globale Projekte wie den Klimaschutz voranzutreiben. Einzig die „gut formulierte, nachdenkliche, tiefsinnige Rede“ von Emmanuel Macron vor Kurzem macht etwas Hoffnung, „der Mann wagt eine ganze Menge.“

Retten Kommunen die EU?

Vor allem ein „Abschied von der bisherigen Routine“ könnte laut Gesine Schwan doch noch die Rettung für die EU bringen, dazu zählt vor allem mehr Einbindung der Bürger, die bislang oft nicht einmal erklärt bekommen, warum welche Entscheidung gefallen ist.

Auch ein Blick über den Tellerrand könnte sich lohnen, denn nicht nur innerhalb der EU, auch zum Beispiel in den USA sind immer wieder Städte oder Regionen bereit, Dinge zu tun, die die Regierung als unpopulär ablehnt. Für die EU bedeutet dies derzeit vor allem die Aufnahme von Flüchtlingen, zum Beispiel in polnischen Kommunen – man könnte also einen Fonds einrichten, der jenen hilft, die helfen und ihn von den anderen bezahlen lassen, wenn es um Waffen geht, funktioniert dieses Prinzip ja schon. Im gleichen Sinne könnte man auch Kooperationen auf kommunaler Ebene fördern, die zwischen Europa und Afrika angedacht sind, um endlich die viel beschworene Prävention gegen Flüchtlinge außerhalb der EU-Grenzen voranzubringen. Alleine schon, um den „Bürgern Teilhabe an der EU zu bringen“ empfiehlt die Referentin, die Ebene der Kommunen nachhaltig zu stärken, denn „hier passieren die Innovationen“, „von hier kommt derzeit der Schub, nicht von den Nationalregierungen.“

Ein solcher Aufschwung von unten könnte sogar heute durch Vernetzung und Kooperation ohne Wettbewerb und Leistungsdruck funktionieren und dafür sorgen, dass wieder ein „lebenswertes Europa“ entsteht: „Anders sein in der Krise kann zu einem neuen Anfang führen.“

„Ich komme aus einem pazifistischen Haus, da habe ich erst mal meinen großen Bruder gefragt“, nämlich ob sie den Rang eines Offiziers der französischen Ehrenlegion bedenkenlos annehmen könne. Im Übrigen hören aber viele Menschen gerne auf den Rat von Professor Dr. Gesine Schwan, die im Königsteiner Forum referierte.

Foto: Friedel



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