Glücksfund in Blundellsands bei Liverpool: Eine romantische Conacher-Orgel für die Immanuelkirche

Am alten Standort in Blundellsands bei Liverpool war die Conacher-Orgel in einer Nische verbaut. Foto: privat

Königstein (as) – Die Evangelische Immanuelgemeinde ist bekannt für ihre monatlichen Orgelkonzerte auf der neo-barocken Oberlinger-Orgel. Jedes Jahr bringt sie durch Kantor Carmenio Ferrulli die Werke eines großen Komponisten zum Erklingen, in diesem Jahr ist es Anton Bruckner. Doch einen wichtigen Teil der Musikgeschichte und der möglichen orchestralen Klangfarben kann auch der beste Organist auf dieser ohnehin in die Jahre gekommenen und reparaturbedürftigen Orgel nicht wiedergeben. „Romantiker wie Mendelssohn bleiben ihr eigentlich verschlossen“, erklärt Ferrulli.

Doch das wird sich bald ändern durch das im Jahr 2022 begonnene Projekt „Eine romantische Orgel für Königstein“. Die Anforderung: Sie soll konzertfähig sein, mindestens 25 Register haben und in die Kirche passen, in der das zentrale, erst vor wenigen Jahren erneuerte Rosettenfenster eine bauliche Vorgabe macht. Das Objekt der Begierde, eine dreimanualige Conacher-Orgel opus 1256 aus dem Jahr 1905, wurde in Blundellsands, einem Vorort von Liverpool, gefunden, für umgerechnet 100.000 Euro erworben und in der dortigen ehemaligen presbyterianischen Kirche im März 2023 abgebaut. Seither befindet sich die Conacher-Orgel zur Restaurierung in der Werkstatt von Orgelbaumeister Andreas Schiegnitz in Albsheim (Pfalz). Wenn alles nach Plan verläuft, soll die Orgel erstmals an Ostern 2025 in der Immanuelkirche erklingen – und die Zuhörer verzaubern.

„Es ist nach dem Evangelischen Kindergarten 1997 unser nächstes großes Projekt und die größte Investition seit dem Adelheidstift vor 120 Jahren“, sagt Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer. Denn der reine Kaufpreis der Conacher-Orgel ist nur ein Bruchteil der Gesamtkosten. Die Gemeinde rechnet mit Restaurierungskosten von rund 500.000 Euro, darüber hinaus müssen bis Herbst 2024 der Terrazzo-Kirchenfußboden saniert, die Elektrik mit Starkstrom für die Orgel angepasst und die Empore der Kirche „orgelfest“ gemacht werden. Die Conacher-Orgel wird mit sieben bis acht Tonnen doppelt so schwer wie die Oberlinger-Orgel sein.

Die notwendigen finanziellen Mittel hat sich die Gemeinde bei der Lilo Heuckeroth-Stiftung geliehen und gleichzeitig ein Orgelpfeifen-Paten-Projekt initiiert. Das Ziel ist, Musikliebhaber und Freunde der Kirche dafür zu gewinnen und somit einen Großteil der Kosten abdecken zu können. Eine Patenschaft kann für jede der 1.784 Pfeifen der Conacher-Orgel übernommen werden – je nach Bedeutung und Größe der Pfeife kann man sich zu Preisen von 50 bis 1.000 Euro je Pfeife beteiligen (siehe Kasten). „Wir möchten, dass möglichst viele Menschen dieses Projekt mittragen“, sagt Stoodt-Neuschäfer. Und Hanno Wilcek, seit Januar neu im Kirchvorstand und Hauptzuständiger für das Paten-Projekt, ergänzt: „Die evangelische Kirche in Königstein steht für Musik.“ Er sieht in einer Pfeifen-Patenschaft ein tolles Geschenk für Privatpersonen wie für Unternehmen, für Konfirmanden wie auch für Hochzeiten. „Wir wollen mit unserem Projekt präsent sein und die Zielgruppen ansprechen, aber nicht aufdringlich und es überall plakatieren.“ Jeder Spender erhält neben einer Dankeskarte eine Patenurkunde und wird – sofern nicht Anonymität erwünscht ist – im Stifterbuch der Immanuelgemeinde, auf der Homepage und in der Festschrift zur Einweihung genannt.

Ein Kreis wird sich schließen

Eine Einweihung, bei der sich auch für die Kirchen- und Orgelgeschichte ein Kreis schließen wird. Denn die im Jahr 1888 eingeweihte Immanuelkirche hatte mit ihrer Erbauung eine an der romantischen Klangästhetik orientierte Orgel des nassauischen Orgelbauers Heinrich Voigt erhalten. Im Zuge der Freilegung des Rosettenfensters wurde die Orgel 1962 abgebrochen und im Jahr 1971 durch die heutige Oberlinger-Orgel ersetzt. Sie steht für das seit den 1950er Jahren im Orgelbau propagierte und ideologisch geprägte „Zurück zu Bach“, erklärt Ferrulli, das einem Romantik-Verbot gleichgekommen sei. Seit seiner Einstellung als Kantor im Jahr 2021 hat er zwar zwei komplette Register ersetzt, aber natürlich keine neue Orgel erschaffen können.

Zudem, das zeigt er anschaulich an zwei Orgelpfeifen, ist das Material der Pfeifen, das zu je 50 Prozent aus Blei und dem weniger haltbaren Zinn besteht, an vielen Stellen bereits am Brechen. So habe sich die Frage gestellt, ob es sinnvoll sei, mindestens 120.000 Euro in die Reparatur der bestehenden Orgel mit all ihren Schwächen zu investieren oder mindestens eine Million Euro für einen Neubau aufbringen zu müssen – oder sich eben auf dem Gebrauchtmarkt umzusehen. Dort wird dann im kommenden Jahr auch die eigene Oberlinger-Orgel angeboten werden – vor allem in Osteuropa soll es eine hohe Nachfrage nach Orgeln geben, die mit getragenem Klang die Liturgie begleiten.

Fündig wurden nach einjähriger Suche Ferrulli und Orgelbauer Schiegnitz im Rahmen einer Großbritannien-Reise im Juni 2022, die sie erst erfolglos nach Wales führte, durch Zufall bei der weiteren Internet-Recherche in Blundellsands. Die dortige, von den Presbyterianern verkaufte und derzeit als Gymnastikraum genutzte Kirche hütete noch immer einen Schatz, mit dem der Besitzer nichts mehr so recht anzufangen wusste – eine in einer Nische stehende und seit etwa 1990 nicht mehr gespielte Conacher-Orgel mit 30 Registern (die Gemeinde hatte sich in der Zwischenzeit mit einer Digitalorgel beholfen).

Die Orgelbaufirma Conacher

Peter Conacher hatte seine Orgelbaufirma im Jahr 1854 in Huddersfield (Yorkshire) gegründet, nachdem er sein Handwerk unter anderem auch in Leipzig erlernt hatte. Sein Sohn Joseph, der 1894 die Firma übernahm, hatte seine Lehrzeit wiederum in Paris verbracht. Dieser gemeinsame Erfahrungsschatz ermöglichte eine besonders hochwertige Bauweise, die Elemente der deutschen, französischen und englischen Orgelbaukunst vereint. So sind die Pfeifen zu 70 Prozent aus Blei gefertigt, die Holzwände der Schwellkästen sind deutlich massiver als bei der aktuellen Orgel und können damit die Klangstärke der Register noch dynamischer abstufen.

Das Besondere: Die deutsche Orgelfindungsgruppe fand alle 1.784 Pfeifen im Originalzustand und – zwar etwas eingestaubt durch den Sand der nahen irischen See – perfekt erhalten vor. „Das ist wie eine Stradivari in die Hände zu bekommen, an der keiner herumgefingert hat“, zieht Stoodt-Neuschäfer einen eingängigen Vergleich. Nur war die Orgel vor Ort nicht mehr bespielbar, die Kenner konnten nur in die Pfeifen blasen, hatten aber an einem anderen Ort eine Conacher testen und sich von der Klangqualität eines solchen Instruments überzeugen können.

Dann begann die eigentliche Schwierigkeit: der Abbau, der volle zehn Tage in Anspruch nahm. Mit einem Gabelstapler wurden schließlich die Gehäusefront und der Spieltisch-Hauptkörper aus dem ehemaligen Gotteshaus gefahren. Insgesamt ein riesiger logistischer Aufwand, bis alle Teile in den Lkw verladen waren und die mehr als 1.200 Kilometer lange Reise in die Werkstatt nach Albsheim in Angriff genommen werden konnte.

Umbau notwendig

Die Conacher-Orgel wird künftig die gesamte Empore der Immanuelkirche einnehmen, für Publikum wird dann kein Platz mehr sein. Anders als bei ihrem bisherigen Aufbau muss die Orgel geteilt werden, um die Rosette nicht zu bedecken, der Organist wird aus dem Kirchenraum gesehen weiterhin auf der linken Seite sitzen. Die gewaltigen Prospektpfeifen sind – wie bei vielen anderen Orgeln – nur zur Zierde da und nicht bespielbar.

Wie besonders ist dieses Instrument nun im Vergleich mit anderen Kirchenorgeln in der Region? In der evangelischen Kirche in Neuenhain befindet sich eine ebenfalls original erhaltene romantische Orgel von Friedrich Weigle, Conacher-Orgeln gebe es sonst aber nur in kleinerer Form mit zwei Manualen in Deutschland, weiß Ferrulli. Königstein erhält also eine echte Besonderheit.

Möglicher Kritik, dass sich die evangelische Kirche eine Luxusinvestition leistet, deren Gegenfinanzierung nicht gesichert ist, tritt Pfarrerin Stoodt-Neuschäfer entgegen. „Wir haben einen doppelten Auftrag: Als erstes den sozialen, da geht ein Großteil des Geldes hin. Aber wir haben auch einen Bildungsauftrag. Dass wir uns jetzt diese Orgel leisten, weist weit in die Zukunft, dass wir auch Licht und Freude ins Leben bringen und nicht nur Brot.“

Gesucht: Paten für Orgelpfeifen

Für jede der 1.784 Pfeifen der spektakulären neuen Orgel kann eine Patenschaft übernommen werden. „Finden Sie Ihren Ton auf der Conacher-Orgel“ lautet die Einladung der Evangelischen Immanuelgemeinde. Auf der Internseite www.evangelische-kirche-königstein.de/orgel gibt es eine Übersicht, welche Töne in welchen Registern verfügbar sind und wie teuer jeder einzelne Ton ist. Einsteigen kann man mit 50 Euro, für die größten, 16 Fuß langen Pfeifen kostet eine Patenschaft entweder 500 oder 1.000 Euro.

Die ersten 72 Pfeifen haben bereits Patinnen und Paten gefunden, die aktuelle Spendensumme beläuft sich auf 17.550 Euro. Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer hofft, zumindest für 1.000 Orgelpfeifen Spender finden zu können. „Jede Patenschaft, ob für kleine oder große Pfeifen, ist ein unentbehrlicher Baustein für die romantische Orgel in Königstein.“

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