Leserbrief

Aktuell

Unser Leser Jürgen Specht, Hartmuthstraße, Kronberg, schreibt zu dem Offenen Brief von Klaus E. Temmen, abgedruckt im Kronberger Boten vom 16. Februar, Folgendes: Es ist verständlich, dass Sie, Herr Temmen, als Bürgermeister die Planungen am Kronberger Bahnhof bezüglich der Feststellung von Herrn Westenberger, jene seien ein „blamables Ergebnis“, verteidigen. Betrachten wir genauer die Fakten: So ist die Fällung von 100 Bäumen im Zeichen von Klimawandel und großmundigen Versprechungen, das Stadtbild zu erhalten und eine Kommune des Rio21-Agenda-Prozesses zu sein, wesentlich gravierender als es das Wort blamabel ausdrückt.

Herr Prof. Martini von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) forderte kürzlich in einem Leserbrief im Kronberger Boten, zurecht sehr moralisch emotional, die Bauherren auf, Ersatz zu pflanzen. Wichtig wäre jedoch auch gewesen, die Bürger zu informieren, dass vor vielen Jahren von der hessischen Landesregierung das Baugesetzbuch bzgl. der Ausgleichsmaßnahmen, von mir ‚Lex Koch‘ genannt, dahingehend geändert wurde, dass erst bei wesentlich größeren Grundstücken als zuvor ein Grünverlustausgleich zwingend ist. Dem haben weder Ihr Amtsvorgänger noch Sie je im Sinne der Gartenstadt Kronberg widersprochen. Sie haben kaum die Bürger ernst genommen, die den alltäglich schleichenden Schwund (u.a. überbordende Grundstücksausnutzung) des Grünbestandes monierten, sonst hätten Sie sich von der zynischen Äußerung des verflossenen Ersten Stadtrates distanziert, man solle sich nicht so anstellen, im Kronberger Stadtwald gäbe es genug Natur. Es stimmt, Herr Temmen, die Stadt fällt Bäume nicht aus Gutdünken, sondern bedient oft Partialinteressen von Investoren und Bauherren. Dazu zwei aktuelle von vielen negativen Beispielen: Am 24.11.2016 berichtete der KB über einen Stadtrundgang der Leiterin des Fachbereichs Stadtplanung u.a. in den Kronthaler Weg. Zur Orientierung für NichtEingeweihte: Hier stand eine für Kronberg stilbildende Fachwerkvilla in einem großen circa 100 Jahre alten, eingewachsenen, kleinodischen Garten. Die Amtsleiterin erläuterte: „Sehr kontrovers diskutiert worden sei die Grundfläche. Die Häuser bilden einen dichten Riegel. Allerdings wurde nicht die komplette zur Verfügung stehende Fläche bebaut und zur Straße wurde – entsprechend der übrigen Häuser in der Straße ein Grünstreifen breit Platz gelassen.“ Sind ‘alternative Fakten‘ nun auch in Kronberg angesagt? Denn es wird verschwiegen, dass weite Teile des Grünstreifens wie des Restgärtchens von einer Tiefgarage bzw. deren Einfahrt eingenommen werden. Nun ging es weiter in die grüngeprägte Schreyerstraße, in der die Grundstücke so groß sind, dass von ihrer Tiefe her locker ein zweites Haus Platz hätte. Zitat der Amtsleiterin: „Doch wenn hier ein Grundstücksbesitzer, angenommen eine Erbengemeinschaft bauen wolle, wäre das nach geltendem B-Plan nicht möglich. Hier ist eine ganze Tiefe als Grünfläche gesetzt.“ Aber, welch Wunder, im Herbst 2016 wurde auf einem dieser Grundstücke auf der linken Seite der Schreyerstraße südwärts, wahrscheinlich nach Besitzerwechsel, abgeholzt, darunter auch wertvoller alter Laubbaumbestand. Da ich in mittelbarer Nachbarschaft lebe, habe ich beim Gartenamt angerufen und nach der Rechtmäßigkeit dieser Fällungen gefragt. Das wurde bejaht und auf meine Bemerkung hin, es seien ja fast nur noch verstümmelnd gekappte Koniferen übrig, der Bescheid erteilt, der Umbauherr würde für Ausnahmegenehmigungen bezahlen müssen. Das erhärtet überdeutlich die Beobachtung Herrn Westenbergers im vorletzten Absatz seines Leserbriefes. Zu den von Herrn Temmen so gelobten Arbeitsgruppen im Stadtentwicklungskonzept ist zu sagen, dass die Stadt den unabhängigen Agenda21-Prozess frühzeitig kanalisiert hat. Wie kann es sonst angehen, dass diese Gruppen für eine Schillergartenbebauung plädieren? Der Reader „Zukunft gestalten – Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert“ (2004) beweist auf Seite 81, dass damals mit recht hoher Bewertung sowohl von Seiten der Mandatsträger als auch von damaligen Agenda21-Teilnehmern diese Bebauung abgelehnt wurde. Nun ja, jede Gruppe kann die Dinge auch neu bewerten, aber in meinem Verständnis hat deren heutige Haltung nichts mehr mit einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu tun. Mir dünkt dies eher, eine Sichtweise à la ‚Schöner Wohnen‘ in Kronberg zu sein und diese korrespondiert mit den von Ihnen im Offenen Brief genannten ökologischen Leistungen der Stadt, die mehr Kosmetik als echte Maßnahmen sind und den Konjunktiv ‚können‘ strapazieren.

Sowohl aus Ihrem Büro als auch aus dem Planungsamt und von den meisten Politikern ist gebetsmühlenartig das Wort von der ‚behutsamen Stadtentwicklung‘ zu hören. Dies ist, so muss ich schmerzlich und klar erkennen, als ‚Begriffskorruption’ anzusehen, ein Wort das der Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich prägte. Denn weder sozial (städtisches Wohneigentum wurde veräußert, so wie im Bund die Sozialbindung in Teilen aufgehoben wurde) noch ökologisch, noch bzgl. des Stadthaushaltes (z.B. nie zweifelsfrei nachgewiesene Sinnhaftig- und Wirtschaftlichkeit der Konzerthalle und des Hotels) ist die Zukunft der Stadtentwicklung behutsam. Zudem ist Gentrifizierung in Kronberg ein Tabuthema, es sei denn die sozialpolitische Realität entlarvt die jetzige Regierungskoalition als mitverantwortlich dafür, dass sich immer größere Teile der Bevölkerung kaum mehr eine Mietwohnung leisten können. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die anvisierten Baupläne der Firma Klein in Oberhöchststadt, um günstige Wohnungen für Mitarbeiter zu schaffen, welche mit ihren offenen Garagenboxen, trotz gegenteiliger Beteuerungen der Stadt, das Stadtbild massiv dominieren werden. Kritisiert man dies, so bekommt man von Mitgliedern der SPD die Antwort, so sei eben der Markt, also der Sachzwang, und von der CDU hört man häufig, die Bürger täten sich schwer mit Veränderungen in der Stadt. Die Bürger wissen aber sehr wohl, dass das Movens des Lebens Veränderung ist. Sie wollen in der Regel jedoch ‚Veränderungen um der Kontinuität willen‘ und nicht der Diskontinuität, die der herrschende Politikbetrieb ihnen zumutet, es sei denn, man gehört zu den Privilegierten, die sich zunehmend als blinde Elite der Nichturteilsfähigen gerieren. Die vergangenen Jahre Ihrer Amtszeit sind, Ihr offener Brief zeigt es teilweise, von einer defizitären Dementipolitik geprägt. In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des designierten neuen Stadtrates zu sehen: „Man müsse sicherlich in die Innenverdichtung gehen und sich gleichzeitig bei der übergeordneten Behörde um den Ausbau bestimmter Flächen im Außenbereich bemühen.“ Aufgrund seiner Vita (Neubauten im Strukturwandelgebiet), lässt sich schließen, dass er weder kreativ den Altbestand pflegen wird oder kann, noch weiß, dass der Umlandverband keine Außenflächen in Kronberg mehr qualifiziert. Also ist ein ‚weiter so‘ zu befürchten, statt die sozioökonomischen Fragen nach dem Entstehen der Sachzwänge zu stellen, welche meines Erachtens nur tiefenökologisch beantwortet werden können. Ich erlebe nicht nur die Eschbornisierung Kronbergs, ich lebe mehr und mehr in einer Stadtverschandelungsgesellschaft.



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