Bürger holen sich den Hospitalfonds zurück

Das alte Hospital mit der Hospitalkirche am Jahreswechsel 2022/23. 175 Jahre werden es am 6. März dieses Jahres, seit die Oberurseler im Zuge der Revolution den Aufstand gegen den Landesherrn probten und den „allerwertvollsten Schatz“ in die Stadt zurückbrachten. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Wilhelm Wollenberg war ein kluger Mann. Der Lokalhistoriker wurde 1960 erster Kulturamtsleiter in Oberursel, er gründete den Bund für Volksbildung, noch heute wird mit hoher Achtung von ihm gesprochen. Nur mit einem Satz im Oberurseler Jahrbuch von 1949 tat er ein paar wackeren Oberurselern ein wenig Unrecht, die ziemlich genau 100 Jahre zuvor sehr wohl revolutionären Geist bewiesen hatten. „Nie wurde in Oberursel große Geschichte gemacht“, schrieb er da wohl. „Es lag immer etwas abseits am Wege.“ Das mag so stimmen, kehrt aber ein wenig unter den Tisch, was da einige stolze Bürger, angehaucht und mitgerissen vom revolutionären Spirit im Frühjahr 1848, mutig und sehr zielgerichtet vollbrachten.

Um 8 Uhr morgens an jenem 6. März des Jahres 1848 ertönte die große Sturmglocke. Ein Tag, an dem Oberursel die „Wiedergeburt des Bürgersinns“ feiern sollte. Um die 50 Bürger, beseelt von revolutionärem Geist, eilten zusammen, wie die Historikerin Angelika Baeumerth später schrieb, und „einten sich schnell zu einer Bürgertat“. Die gewaltübende Vormundschaft der Landesherren hatte die Papiere des „Hospitalfonds“ im Jahre 1830 gegen heftigen Widerspruch der Bürger nach Königstein bringen lassen und schaltete danach willkürlich mit dem Vermögen des Fonds. Die Oberurseler wollten sich das nicht mehr gefallen lassen. Oberursels kleine große Geschichte hatte nichts mit den „Forderungen der Nassauer“ im Revolutionsjahr zu tun, hier ging es um einen Eingriff in die gemeindliche Selbstverwaltung, wie es Stadtarchivarin Sylvia Goldhammer 175 Jahre danach beim Blick auf die Ereignisse 1848 nennt.

Also machten sich die wackeren Leute am Morgen auf den Weg nach Königstein, um sich ihren Hospitalfonds zurückzuholen, um die 200 sollen es sogar gewesen sein. Ein späterer Bürgermeister, Jacob Aumüller (1869-1890), nannte den Hospitalfonds den „allerwertvollsten Schatz, den die Stadt besitzt“. Auch August Korf, der Begründer der Oberurseler Bücherei und des Stadtarchivs, berichtet 1907 darüber. Um 12 Uhr mittags ertönten die Glocken am 6. März des Revolutionsjahrs ein zweites Mal, da hatte auch Oberursel seine Revolution. Die Nachricht „Sie kommen!“ wälzte sich „wie ein Feuerlärm durch die Stadt, und alles, wankende Greise und Weiber, Männer und Jünglinge, Frauen und Mädchen, zog, Freudenlieder singend, den kräftigen Bürgern entgegen, Fahnen wehten, Musik erklang unter fortwährendem Glockengeläute. Und als die beiden Züge sich trafen, füllte ein donnerndes Hoch von beiden Seiten die Lüfte.“ Nach der Übergabe der Kiste mit den Papieren an den Stadtvorstand und einem letzten Hoch der Freiheit und dem Recht ging jeder wieder an seine Geschäfte, es war getan, was getan werden musste. Der Schatz war zurück in der Stadt.

Die Berichte über die Ereignisse in Oberursel beruhen vor allem auf mündlichen Aussagen. Der legendäre Bürgermeister Joseph Füller, nach dem später eine Straße benannt wurde, hatte 1898 noch das Glück, mit einem lebenden Zeitzeugen zu reden, dem Schuhmacher Ludwig Calmano. Das hat die aktuelle Stadtarchivarin bei ihren Forschungen im eigenen Haus gefunden. Calmano konnte auch noch Namen nennen, etwa den des Gastwirts Georg Pfaff. Um die zehn Personen hatten sich demnach am Vorabend jenes 6. März in Pfaffs Gaststätte versammelt, um die aktuellen politischen Ereignisse zu diskutieren. Bei der großen Volksversammlung vor dem Wiesbadener Schloss am 4. März mit mehr als 30 000 Menschen waren nur einige Oberurseler Bürger dabei, die Nachricht davon machte erst am Abend zuvor gegen 22 Uhr die Runde in der Kneipe. In Wiesbaden ging es um die Nassauer Forderungen nach Volksbewaffnung, Pressefreiheit, freies Vereinigungs- und Versammlungsrecht, öffentliche Gerichtsverhandlungen und die Einberufung eines nationalen Parlaments, was zur ersten deutschen Nationalversammlung führte, die schließlich am 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche eröffnet wurde.

„Die Revolution auf dem Land unterschied sich von der städtischen Protestbewegung, hier hatte sie einen sozialrevolutionär-agrarischen Charakter“, so Sylvia Goldhammer. Viele bäuerlichen Betriebe mussten immer noch Feudalabgaben zahlen, die Steuerlast war erdrückend. Ernteausfälle und Hungersnöte waren dazugekommen, 1845 tauchte erstmals auch in Oberursel die Kartoffelkrankheit auf, die Lebensmittelpreise stiegen rasant. Zum spezifisch lokalen Streitpunkt entwickelte sich im Zusammenhang mit der 48er-Revolution die Geschichte um den Hospitalfonds, die das Volk seit Langem ärgerte. Der Fonds beruhte auf einer Stiftung Oberurseler Bürger aus dem 16. Jahrhundert. Durch Spenden, weitere Stiftungen und Zehnterhebungen kamen regelmäßig Einkünfte dazu, der Fonds war finanziell immer gut ausgestattet, Nutznießer waren vor allem Oberurseler. Das war unter nassauischer Verwaltung nicht immer so. Daher beschloss man am Abend im Gasthaus, die Sache zu klären und den Fonds zurückzuholen.

Weniger prosaisch liest sich das Ende der Geschichte, die Amtliche Bekanntmachung über die Aufhebung der Stiftung „Hospitalfonds“ vor knapp 50 Jahren. Verbunden mit der Maßgabe, dass das bestehende Stiftungsvermögen auf die Stadt übergeht und zur Finanzierung von Einrichtungen der Altenhilfe zu verwenden ist. Wieviel drin war im großen Topf zu diesem Zeitpunkt 1971, wird nicht bekanntgegeben, gut im Futter stand der Fonds allemal. Das alte Hospital erlebte eine mehr als 400 Jahre währende wechselvolle Geschichte, 1728 kam die benachbarte Hospitalkirche dazu. Eigentümerin des Gotteshauses ist die Stadt. Das städtische Altersheim im Hospital wurde 1958 geschlossen, 1976 wurde das hübsch sanierte „Alte Hospital“ Heimat für Altentagesstätte und Sozialstation, genutzt werden die Räume auch für diverse kulturelle Zwecke. Auch für das „Kulturcafé Windrose“ war das alte Hospital mal im Gespräch, es hat jetzt seine Heimat im einstigen Alberti-Haus gegenüber gefunden.



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