„Europa ist auf dem Weg zu einer Wertegemeinschaft“

Zwei Europäer aus Überzeugung: Hildegard Klär und Johannes Volkmann. Foto: VFSO

Oberursel (pit). „Europa – Lust oder Frust?“ Wie nahe beide Stimmungen beieinander liegen können, zeigte die vierte und letzte Kooperationsveranstaltung des Vereins zur Förderung der Oberurseler Städtepartnerschaften (VFOS), der Stadt, der Europa-Union Hessen sowie der Volkshochschule (VHS) Hochtaunus. Zunächst musste Moderatorin Hildegard Klär, stellvertretende Vorsitzende der Europa-Union Hessen und Vorsitzendes des Kreisverbands Hochtaunus der Europa Union, die kurzfristige Absage des Referenten Sven Simon, Spitzenkandidat der CDU für die Europawahl, verkünden. Als Vertreter konnte sie zwar dessen Doktoranden Johannes Volkmann ankündigen, allerdings: „Er kommt aus Sindelfingen angereist und wegen Staus wird er etwas später kommen.“

Auf der anderen Seite nutzte Hildegard Klär die Zeit, um dem überaus interessierten Publikum einen kleinen, informativen Einblick in die Geschichte der Europa-Union zu geben: „Die Europa-Union ist überparteilich und unabhängig, ihr Grundstein wurde 1946 gelegt und steht für die Stärkung der europäischen Gemeinsamkeiten.“ Der ursprüngliche Gedanke zu einem solchen Verband sei jedoch schon auf der Europäischen Föderalisten Konferenz 1944 in Genf in Anbetracht der verheerenden Weltkriege geäußert worden. Und 1947 sei schließlich die Europa-Union Deutschland gegründet worden. Über den Referenten des Abends verriet sie, dass der 22-Jährige im Völker- und Europarecht zum Thema „Die Legitimationsmechanismen supranationaler Staatlichkeit im Spannungsfeld zwischen Demos und Ethnos“ promoviere und zwei Semester seines Bachelorstudiums im Auslandsstudium in Shanghai und Peking verbrachte. Außerdem sei er stellvertretender Bundesvorsitzender der Paneuropa-Jugend und arbeite im Wahlkampfteam von Sven Simon.

Dann aber konnte Johannes Volkmann nach einer frustreichen, fast fünfstündigen Fahrt von Sindelfingen nach Oberursel aus eigener Anschauung versichern: „Die Bürger waren seit 1992 noch nie so begeistert von der EU wie heute.“ Allerdings gebe es auch Regierungen wie in Italien oder Polen, die nichts von der Staatengemeinschaft halten würden – und dann gebe es noch das Thema Brexit. Somit reiche das Spannungsfeld von Begeisterung bis hin zu Dingen, die nicht so gut laufen, wofür es viele Gründe gebe. Etwa das Informationsdefizit über Europa. Außerdem werde es nationalen Eliten leicht gemacht, auf Europa zu zeigen. Als Beispiel nannte er die Gurkenverordnung, die Johannes Volkmann lächelnd als sein „Herzensthema“ bezeichnete. Zwar gebe es sie seit zehn Jahren nicht mehr, doch diente sie als guter Aspekt dafür, dass es auf europäischer Ebene Regelungen geben müsse: „Schließlich basiert Europa auf einem Binnenmarkt, und man muss den Weltmarkt im Auge behalten.“ Besagte Gurkenverordnung hatte das Ziel, dass mehr Gurken auf Paletten untergebracht würden und somit weniger Stauraum verbraucht werde. Gleichzeitig häten sie einheitlich drapiert und die Transportkosten gesenkt werden können: „Der deutsche Handel hat gegen die Aufhebung am stärksten protestiert, weil die Vorteile so offensichtlich waren.“

Im Grunde gelte es, nicht ständig das Ja oder Nein hinsichtlich der EU zu diskutieren, sondern herauszuarbeiten, was verbesserungswürdig sei, denn: „Die Nationalstaaten tragen meist die Verantwortung, wenn die EU nicht funktioniert, nicht Brüssel.“

Auch Northstream II war ein Thema, das zur Sprache kam: „Das ist ein ganz entscheidendes Beispiel dafür, dass Deutschland eigene Wege geht und gleichzeitig ein ganz entscheidendes Beispiel für die Solidarität in Europa.“ Schließlich könnten den übrigen Mitgliedsstaaten die Sorgen der Polen, Ukrainer und Balten nicht egal sein. „Energieversorgung ist kein privatwirtschaftliches Projekt“, meinte Johannes Volkmann mit Blick auf die Familie Europa.

Erläutert wurde auch die Lage der Westbalkan-Staaten mit ihren unterschiedlichen Problemen hinsichtlich eines EU-Beitritts, die Frage, ob zivilrechtliche Organisationen dieser Staaten unterstützt werden sollten, und das Einstimmigkeitsprinzip innerhalb der EU.

Letztlich aber die unmissverständliche Aufforderung mit Blick auf die bevorstehende Europawahl: „Wir brauchen Bürger, die sich für Europa einsetzen. Sie alle können sich einbringen.“ Vieles werde als selbstverständlich betrachtet, doch man müsse sich mit Blick auf die Geschichte der Fallhöhe bewusst werden: „Die Europäische Union wird künftig mehr Verantwortung bei der Verteidigung haben, was auch daran liegt, dass der amerikanische Präsident die Nato in Frage stellt.“ Grundsätzlich müsse viel mehr darüber diskutiert werden, was für ein Europa angestrebt werde. Viele Menschen fühlten sich nicht wahrgenommen: „Daher müssen wir mit Mindestlohn und Mindestsozialsicherung einen Rahmen schaffen, anhand dessen jedes Mitgliedsland ausrechnen kann, wie viel der Mindestlohn beträgt.“

Als „kommunale Außenpolitik“ seien auch in Zukunft die Städtepartnerschaften zu betrachten, die weiterhin von der EU unterstützt werden. Identitäten würden sich in einem Europa nicht ausschließen, Heterogenität sei auszuhalten: „Europa ist keine Zweckgemeinschaft, sondern auf dem Weg zu einer Wertegemeinschaft.“

Hildegard Klär blieb es überlassen, dem Redner und dem engagierten und viel fragenden Publikum ihren Dank für einen überaus informativen Vortragsabend auszusprechen. „Sie haben Ihre Rolle mit Bravour ausgefüllt“, sagte sie zu Johannes Volkmann, und Carsten Koehnen, Leiter der VHS Hochtaunus, meinte in einem Schlusswort: „Wir haben definitiv Lust bekommen, den europäischen Weg weiter zu beschreiten.“



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