Michael Quast fesselt mit blutrünstigen Balladen

Vollen – auch körperlichen – Einsatz zeigt Michael Quast in der Kreuzkirche bei der Lesung von Balladen, die trotz tropischer Hitze das Blut gefrieren lassen. Foto: bg

Oberursel (bg). Zu Sex-and-Crime-Balladen, gelesen und erlitten von Michael Quast, hatte der Kulturkreis in die Kreuzkapelle auf dem Alten Friedhof eingeladen. Zur Freude des Veranstalters war die Lesung schnell ausverkauft. Am heißesten Wochenende im Juni schwitzten die Besucher in dem alten Gemäuer still vor sich hin und wurden dabei großartig unterhalten.

Es war schon starker Tobak, den der Schauspieler da zum Besten gab. Balladen aus vergangenen Zeiten, darunter echte Schauergeschichten, bei denen Mord und Totschlag an der Tagesordnung waren. Von gekrönten Dichterfürsten wie Goethe, Schiller, Hebbel, Heine, Fontane, Busch, Thoma und C. F. Meyer, aber auch heute gänzlich unbekannten Poeten wie Falke, Geibel oder Pape. „Sex sells“, Verbrechen ebenso, das wussten schon die Altvorderen und fassten beides so geschickt in Reime, das den andächtige lauschenden Zuhörern manchmal der Atem stockte. „Von der Zeitung tropft das Blut, aber sie ist dennoch gut“ – der Sponti-Spruch machte vor einigen Jahrzehnten die Runde über ein Blatt mit Millionen-Auflage. Die Balladen, die der begnadet Vortragende mit vollem Körpereinsatz zum Besten gab, konnten da locker mithalten.

„Die Zuhörer mögen sich bitte das Datum 1772 merken, da wurde nämlich der Göttinger Hainbund gegründet, und die Ballade war das Kind der Zeit“, erläuterte Michal Quast. Eigentlich waren die Romantiker empfindsame Seelen, aber „Die Nonne“ von Hainbund-Mitbegründer Ludwig Christoph Heinrich Hölty schlägt jede Daily-Soap um Längen. Ingredienzien: Heuchelei, Verführung, Treuelosigkeit, Verrat, Rache, so weit so gut, aber Meuchelmörder und mehrfache Leichenschändung von einer Braut Christi, das bekommt man nicht alle Tage geboten. Dem Einstieg folgten weitere Schmankerl der besonderen Art.

„Balladen sind die würdigen Nachfolger des blutrünstigen Bänkelgesangs, der auf Jahrmärkten unters Volks gebracht, die Yello-Press der damaligen Zeit“, so Michael Quast. Der Name Kunigunde sei damals sehr beliebt gewesen, er tauchte bei Wilhelm Busch auf, der in „Verwunschen“ über das traurige Los einer im Turm schmachtenden Jungfrau berichtet. Ihr Verbrechen: Sie hatte einen Heiratskandidaten ausgeschlagen. Etwas zum Schmunzeln servierte Gustaf Falke, ein Spätromantiker, mit einer „Love-Story“ der besonderen Art. Titel „Das Wunder“. Inhalt: Wie die Kreuzfahrt eines Ritters nach Jerusalem tatsächlich für den gewünschten Nachwuchs sorgte, sogar schneller als gedacht.

Auch Deutschlands Dichterfürsten Goethe und Schiller nahmen sich der Ballade an und lieferten sich einen Wettstreit. Schiller obsiegte zwar, und Michael Quast trug „Der Handschuh“ aus seiner Feder vor, aber Goethe brachte es mal wieder auf den Punkt, mit der Aussage, die Ballade sei das „Urei“ der Poesie. Wie liest man einen Text, den fast jeder kennt? Nun, der Schauspieler wusste sich zu helfen und trug „Beim Erlkönig“ imaginär reitend vor – zur Begeisterung des Publikums. Alle Register seiner Kunst zog er auch bei der Ballade „Die Brücke am Tay“ von Theodor Fontane, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. In echter Hexenmanier zischte, pfiff und heulte er „Tand – ist das Gebilde von Menschenhand“. Fontane, der einige Jahre in London als Korrespondent lebte, berichtet vom spektakulären Einsturz einer Brücke am 28. Dezember 1879. Diese Brücke galt als Wunderwerk der Technik, sie war sozusagen der Vorläufer der Titanic.

Interessante Kriminalfälle, unter diesem Genre servierte Michael Quast „Die Goldgräber“ von dem zu seiner Zeit sehr berühmten Emanuel Geibel und „Die Vergeltung“ von Annette von Droste-Hülshoff. Als einzige weibliche Stimme unter den zahlreichen männlichen Kollegen schlug sie sich wacker mit einer kernigen Piratengeschichte, bei der zum Schluss einer am Galgen aufgehängt wurde. Von Georg Thoma trug Michael Quast die Abenteuer eines Freisinger Gymnasiallehrers vor, der sich in den Münchner Sündenpfuhl aufmachte und prompt in die Hände eines „Domino“ fiel. „Das war so etwas wie eine Wellness-Dame“, erklärte Quast den Begriff.

Besonders beklemmend geriet zum Abschluss des Programms die Ballade von Conrad Ferdinand Meyer, die einige Anwesende bereits in der Schulzeit kennengelernt hatten: „Die Füße im Feuer“. Eine fürchterliche Geschichte aus der Zeit der Hugenottenverfolgung in Frankreich. Ein Verbrecher kehrt an den Ort seiner grauenvollen Untat zurück. Mit dieser Ballade hat der Schweizer C. F. Meyer einem edlen Ritter, der Recht und Gesetz mehr achtet als seine Rache, ein würdiges Denkmal gesetzt. Solche Edelmänner kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Tosender Beifall - auch für den fulminanten, körperlichen Einsatz - prasselte auf den wunderbaren Geschichtenerzähler am Ende der Performance nieder.



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