Zeitenwende in der parlamentarischen Arbeit

Völlig losgelöst im Zeichen neuer Gemeinsamkeit: „Es kann gut werden, es wird gut“, hat Grünen-Fraktionschefin Christina Herr befunden. Die Stimmung bei Schwarz-Grün ist bestens, dafür stehen CDU-Parteichef Thomas Poppitz, der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Uhlig, Christina Herr und Ilja Moreth vom Ortsvorstand der Grünen (v. l.). Foto: js

Oberursel (js). „Aufbruch wagen – mit einer neuen Politik Oberursel nachhaltig gestalten“. Eine Überschrift von kraftvoller Symbolik und hohem Anspruch schmückt die „Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Stadtverordnetenfraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen“. Das Wort Koalition wird darin bewusst ausgespart, der „neue Weg“, der wiederholt beschworen wird, verträgt keinen allzu engen Geist. Daran werden sich die neuen Partner in den nächsten fünf Jahren messen lassen müssen.

Vertrauen statt Vertrag, noch so eine Variante in der Formulierung, die Spielraum lässt. Beschworen wird dieser im politischen Geschäft oft vernachlässigte Wert von beiden Seiten. Jens Uhlig, der Fraktionsvorsitzende der CDU, würde sogar auf eine Unterschrift unter dem elf Seiten langen auf Recycling-Papier für die Presse ausgedrucktem Papier verzichten. Sagt er bei der Vorstellung des Zukunftsmodells. Noch sind keine Signaturen auf der letzten Seite zu sehen, weder von Jens Uhlig noch von Grünen-Fraktionschefin Christina Herr, dem CDU-Parteivorsitzenden Thomas Poppitz oder dem „Ortsvorstand“ der Grünen, der als Parteivorsitz zustimmen muss. Stattdessen eine halbe Seite darüber, welche Philosophie den „Aufbruch wagen“ bestimmen soll. „Ergebnisoffene Diskussionen mit Respekt für die Meinung der Andersdenkenden, neugierig und optimistisch“ sollen sie die kommunalpolitische Arbeit prägen. Immer wieder wird ein Miteinander propagiert, das nicht die Welt der alten Parlamentspolitik darstellen würde. „Wir laden SPD, OBG, FDP, Linke und Klimaliste dazu ausdrücklich ein, genauso wie unsere künftige Bürgermeisterin. Einen neuen Aufbruch für unsere Stadt zu wagen und dabei verlässlich zu bleiben, um Vertrauen zu bewahren.“

Die neue Partnerschaft hat sich gut angelassen, das ist den Worten der beiden Fraktionsvorsitzenden, die sich freundlich duzen, allenthalben zu entnehmen. Es seien „intensive Wochen“ gewesen, sagt Christina Herr. Es hätten sich „zwei gefunden mit durchaus unterschiedlichen Meinungen bei einigen Themen“. Kompromisse seien gefunden worden, für die Grünen habe das Thema Klimaschutz ganz oben auf der Agenda gestanden. Es soll sich durch alle Bereiche ziehen, vom Verkehr bis zur Vereinsförderung. „Spannende Neuigkeiten für Oberursel“ verspricht Jens Uhlig mit Blick auf die politische Zusammenarbeit und auch die „eine oder andere inhaltliche Überraschung“. Überrascht seien auch die Grünen über die Offenheit der CDU beim Thema Klimaschutz gewesen. „Ja, das ist nicht nur der Partei mit dem Sonnenblumen-Logo vorbehalten“, so Uhlig fast spitzbübisch mit einem Lächeln. Schließlich sei es bereits „fünf nach zwölf“ und Zeit zu handeln. Es habe „schnell keine Zweifel am Willen zur Zusammenarbeit gegeben“, dies unterstreichen beide. Bis in die Parteibasis hätten in vielen Arbeitsgruppen alle zukünftigen Partner am Programm mitgeschrieben. Noch nie habe eine „Koalitionsfindung in so einem transparenten Prozess stattgefunden“, so Uhlig. Da ist das verpönte K-Wort dann doch einmal rausgerutscht. Einen weiteren Vertrag aber, in dem es vorkommt, werde es nicht geben, versichert Christina Herr.

Die neue Zeit in der Oberurseler Kommunalpolitik beginnt heute Abend mit der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung ab 19.30 Uhr in der Stadthalle. Großes Publikum ist aufgrund der Corona-Regelungen nicht zugelassen, der Neustart wird also im engeren Kreis über die Bühne gehen. „Wir wollen das starre Politik-Modell Koalition gegen Opposition aufbrechen“ verkünden die neuen Partner im Vorspann zu ihren politischen Zielsetzungen vorab. Unterstreichen wollen sie das mit einem ersten kleinen Zeichen in Personalfragen. Der Vorsitz in allen drei Fachausschüssen des Parlaments wurde den anderen Fraktionen angeboten. FDP und SPD haben die Geste angenommen, sie werden dem Haupt- und Finanzausschuss (FDP) und dem Bau- und Umweltausschuss (SPD) vorsitzen, die OBG will keinen Vorsitz übernehmen, den Sozial-, Bildungs- und Kulturausschuss wird wohl die CDU führen.

Die Eröffnung der Sitzung obliegt zum letzten Mal Bürgermeister Hans-Georg Brum (SPD), wenig später wird das an Jahren älteste Mitglied der Stadtverordnetenversammlung die Sitzungsleitung übernehmen, bis der neue Stadtverordnetenvorsteher den Vorsitz übernimmt. Traditionell stellt ihn die stärkste Fraktion, für die CDU soll der 57-jährige Lothar Köhler Nachfolger von Ex-Bürgermeister Gerd Krämer werden, der seinen Abschied bereits angekündigt hat. Eine stadtpolitisch entscheidende Personalfrage wollen CDU und Grüne noch nicht in den Vordergrund stellen, dabei geht es um die Besetzung der Stelle eines zweiten hauptamtlichen Stadtrats neben dem Ersten Stadtrat Christof Fink. Da wird es bei der alten politischen Arithmetik bleiben, die CDU wird Anspruch auf den Posten erheben. Frühestens im Sommer soll das Thema laut Christina Herr und Jens Uhlig diskutiert werden.



X