Diversity soll nicht Frauen helfen, sondern den Institutionen

Frauen an die Macht? Das reicht nicht!“, meint Antje Schrupp. Foto: Bistum Limburg

Hochaunus (how). Die klassischen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft sind in der Krise, ob Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften. Auf allen Ebenen haben die Verantwortlichen versagt, angefangen beim Klimaschutz über die Finanzkrisen bis hin zur systematischen Vertuschung sexualisierter Gewalt in der Kirche. Die alten Autoritäten haben ihren Kredit verspielt. Beim Jahresempfang des katholischen Bezirks Hochtaunus im Gemeindezentrum St. Crutzen in Oberursel-Weißkirchen hat die Politikwissenschaftlerin, Autorin und Journalistin („Evangelisches Frankfurt“) Antje Schrupp vor rund 85 Teilnehmern aus Kirche, Gesellschaft und Politik eine ernüchternde Bilanz gezogen und dabei nicht nur den „alten weißen Männern“ den Spiegel vorgehalten, sondern zugleich pointiert festgehalten, „dass Frauen allein die Welt nicht retten werden“.

„Frauen an die Macht? Das reicht nicht!“ lautete der Titel ihres Vortrags, in dem sie ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Demokratie hielt, die in der Lage sei, mit Ungleichheit und Differenzen zurechtzukommen, die ihren Namen verdiene, weil sie die vielen verschiedenen Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit einbeziehe. Ebenso müssten sich nach ihren Worten die Institutionen ändern, wenn sie mehr Diversität wollten. Gleichstellungsmaßnahmen wie Quotenregelungen verglich Schrupp mit dem Medikament Kortison: Die Symptome würden gelindert, aber die Krankheit nicht geheilt. Man müsse trotzdem noch die Ursachen der Krankheit bekämpfen. Zur Ursachenforschung gehöre in diesem Fall die Einsicht, dass die Dominanz „der alten weißen Männer“ in den kraftlos gewordenen Institutionen nicht einfach nur ein Zufall sei, sondern dass sie unter explizitem Ausschluss der Frauen gegründet worden seien, „dass ihr Konzept von Anfang an war, dass hier nur Männer mitmachen sollen.“

Das gelte unter anderem auch für die christlichen Kirchen, „von denen wir wissen, dass Frauen in den Anfangsjahren zu den maßgeblichen Protagonistinnen der Jesusbewegung gehörten, aber im Zuge der Konstituierung einer Institution namens „Kirche“ systematisch aus allen Ämtern hinausgedrängt wurden.“ Frauen hätten die auf Ausschluss und männliche Exklusivität gegründeten Institutionen dabei schon immer kritisiert und Vorschläge dazu unterbreitet, wie man es anders machen könne. Aber man habe nicht auf sie gehört, sie verbrannt, eingesperrt, verleumdet, nicht ernst genommen. Entscheidend sei die Frage, ob es heute ein wirkliches Interesse an mehr weiblicher Diversität gebe in dem Sinne, dass es nicht darum gehe, Frauen Gerechtigkeit für vergangenes Unrecht widerfahren zu lassen, sondern darum, wie Institutionen sich verändern könnten, um relevant zu bleiben. „Diversity ist nicht da, um Frauen zu helfen, sondern den Institutionen.“, betonte die Rednerin. Eine Chance zur Veränderung bestehe nicht darin, Frauen zu nötigen, mitzumachen, sondern Frauen dabei zu unterstützen, es anders zu machen.

Was andere zu sagen haben

Zum Abschluss ihres mit viel Applaus aufgenommen Vortrags wies Antje Schrupp auf den entscheidenden Unterschied zwischen Diversity und Differenz hin: Ihn zu bedenken sei das Wichtigste beim Übergang zu einer offenen, pluralistischen Gesellschaft. Es sei nach Hannah Arendt die Unterscheidung zwischen dem „Was“ und dem „Wer“. Diversity teile die Menschen in bestimmte demografische Gruppen auf. Aber: „Wer wir sind, was wir zu sagen haben, was wir uns wünschen – das ist nicht determiniert von unserem Geschlecht, von unserer Hautfarbe, von unserem Alter, von irgendeinem demografischen Kriterium.“ Ob man sich für das, was Frauen und andere „andere“ zu sagen hätten, interessiere und die Chance nutze, die darin liegt, „das muss jeder selbst für sich entscheiden.“



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