Täterarbeit ist Opferschutz – Bilanz nach fünf Jahren „Täterarbeit bei häuslicher Gewalt“

Der Diplompädagoge Sebastian Göbel (links) übernimmt ab April die Arbeit von Peter Leiding, der in den Ruhestand geht. Mit auf dem Bild, von links nach rechts: Die Leiterin der Diakonie Hochtaunus, Stefanie Limberg, Sozialdezernentin Katrin Hechler, Heinz Rahn, Leiter des Jugendamtes des Hochtaunuskreises, Täterberater Peter Leiding und Ursula Kopp-Salow, Familienrichterin am Amtsgericht Bad Homburg. Foto: HTK

Hochtaunus (kw) – Das Diakonische Werk Hochtaunus hat zusammen mit dem Hochtaunuskreis eine Bilanz nach fünf Jahren „Täterarbeit bei häuslicher Gewalt“ vorgestellt. Im Oktober 2013 haben Kreis und Diakonisches Werk eine Beratungsstelle mit 30 Stunden in der Woche geschaffen. Sie ist beim Diakonischen Werk angesiedelt und wird vom Hochtaunuskreis bezahlt. In dieser Zeit waren weit mehr als 150 Männer in der Beratung, die an insgesamt über 1.500 mindestens einstündigen Trainingsterminen teilnahmen. Therapeut Peter Leiding führte außerdem über 150 Gespräche mit den (Ex)Partnerinnen dieser Männer und über 70 Paargespräche mit Frauen und Männern.

Wertvoll und nötig

„Täterarbeit ist aktiver Opferschutz“, darin sind sich die Fachleute einig. „Wir helfen mit dieser Beratung nicht nur den Männern, sondern vor allem den Frauen und ihren Kindern“. Auf Initiative der ehemaligen SPD-Landtagsabgeordneten Petra Fuhrmann und des Arbeitskreises HIP (Hochtaunusinterventionsprojekt bei häuslicher Gewalt) ist das Projekt 2013 entstanden. „In den letzten fünf Jahren haben wir gesehen, wie wertvoll und nötig diese Arbeit ist“, sagte Katrin Hechler, Sozialdezernentin des Hochtaunuskreises „Wir wollen in den Familien die Kette der Gewalt unterbrechen und die Weitergabe an die nächste Generation verhindern.“

Jährlich fliehen bundesweit etwa 25.000 Frauen (meist mit ihren Kindern) in Frauenhäuser. Das sind drei Prozent aller von Partnergewalt betroffenen Frauen. Jede vierte Frau (zwischen 16 und 89 Jahren) in Deutschland ist mindestens einmal Opfer von Partnergewalt geworden, zwei Drittel dieser Frauen mehrfach.

Formen der häuslichen Gewalt sind physische Gewalt, soziale Gewalt (Verbote und Kontrolle von Sozialkontakten), psychische Gewalt (Herabwürdigung, Beleidigung, Drohung), ökonomische Gewalt oder auch Stalking.

Hohe Dunkelziffer

Männer sind zu knapp 90 Prozent die Täter, Frauen die Opfer. In gut zehn Prozent der Fälle sind Männer die Opfer und Frauen die Täterinnen, wobei es hier eine hohe Dunkelziffer gibt. Im Hochtaunuskreis gab es laut Polizeistatistik 2016 insgesamt 279 Fälle von häuslicher Gewalt. Von 2009 bis 2016 waren es 199 bis 279 Fälle. Das sind wöchentlich durchschnittlich fünf bei der Polizei angezeigte Fälle. Die Dunkelziffer ist nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums fünfmal so hoch.

Die Männer in der Beratung im Hochtaunuskreis sind zwischen 18 und 72 Jahren alt, der Altersschwerpunkt liegt zwischen 20 und 50 Jahren. Diese Gruppe macht mehr als die Hälfte aus, innerhalb dieser Gruppe überwiegen die 20 bis 30-Jährigen. Die Altersstruktur hängt mit der Kinderphase zusammen, in der es bei Paaren häufiger zu Konflikten kommt – zum Beispiel, weil sich Männer von der Partnerin vernachlässigt fühlen, weiß Leiding zu berichten. Gewalttätige Männer gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten, auch im Hochtaunuskreis. Die Männer in der Beratung waren unter anderem Auszubildende, Handwerker, Ingenieure, Lehrer, Gärtner, Rentner, Manager oder Taxifahrer.

Kinder sind immer Opfer

Jede Tat hinterlässt tiefe psychische Spuren oft traumatischen Ausmaßes bei den Opfern und ist immer auch schädigend für die Kinder, auch sie sind Opfer. Selbst kleine Kinder fühlen sich angesichts der Gewalt des Vaters und der Ohnmacht der Mutter hilflos, ausgeliefert und verantwortlich für das Geschehen. Durch Partnergewalt entstehen jährlich in Deutschland rund 14,8 Milliarden Euro an Gesundheits- und Sozialkosten, Arbeitsausfall, Polizei- und Justizkosten.

Durch Täterarbeit werden die Wiederholungstaten zu etwa 50 Prozent vermieden. Täter, die ein Training erfolgreich durchlaufen haben und deren Partnerinnen erleben das Training für ihre Beziehung als großen Gewinn. Voraussetzung für eine gelungene Täterarbeit ist die Übernahme der Verantwortung für die eigene Gewalttätigkeit durch den Täter. Der Täterberater akzeptiert nicht, dass der Täter Gewalthandlungen abstreitet, relativiert oder verharmlost.

Individueller Notfallplan

Wichtige Bestandteile eines Trainings sind die Bearbeitung der eigenen Täter- und Opferbiografie des Klienten. Er muss sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen, mit seinem Selbstbild, den eigenen Stärken und Schwächen, seinem Männer- und Frauenbild. Er muss lernen, Empathie mit den Opfern zu entwickeln. Kernpunkt des Trainings ist die kleinschrittige Rekonstruktion der Gewalttat(en) mit dem gesamten Gefühlserleben und Ausstiegsmöglichkeiten aus der Gewaltspirale. Außerdem geht es um gewaltfreie Kommunikationsstrukturen und die Erarbeitung eines individuellen Notfallplans.

Wichtig ist (wenn möglich) der Kontakt mit der (Ex)Partnerin. Für das Opfer ist der Kontakt selbstverständlich freiwillig. Die (Ex)Partnerin kann wichtige Infos zum Gewaltverhalten des Täters geben und ihr muss auch mitgeteilt werden, wenn der Täter das Training abbricht. Täterarbeit zusammen mit der Partnerin ist ebenfalls möglich. Ein Training mit einem einzelnen Klienten ist auf mindestens 20 Sitzungen angelegt, bei Gruppenprozessen auf 26 Sitzungen.

Zusammen mit anderen Institutionen

Die Täterarbeit ist gut vernetzt in einem umfangreichen Hilfesystem. Zu diesem gehören die Frauenunterstützungseinrichtungen, die Polizei, die Justiz (mit Staatsanwaltschaft, Familien- und Strafgerichten, Gerichts- und Bewährungshilfe), die Jugend- und Sozialämter, die Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und die Gleichstellungsbeauftragten, die Stadtteil- und Familienzentren.

Mit den Frauenunterstützungseinrichtungen und dem Jugendamt werden die Chancen der Täterarbeit auf den Einzelfall bezogen erörtert. Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn die Polizei schon bei der Vernehmung der Täter auf die Teilnahmemöglichkeit an der Täterarbeit hinweist, weil Täter im unmittelbaren Anschluss an eine Gewalttat noch am ehesten offen sind für Veränderungen im Denken, Fühlen und Verhalten. Auflagen der Justiz und des Jugendamtes sind zwingend notwendig, da sie den Druck und die Verbindlichkeit für eine aktive Mitarbeit auf die Täter erhöhen.

Freiwillig oder als Auflage

Manche Klienten kommen aus eigenem Antrieb in die Täterberatung, andere werden von Beratungsstellen oder der Polizei geschickt. Die Männer können auch von Strafrichtern, Familienrichtern und Jugendämtern als Auflage zur Beratung geschickt werden. Selbstmelder brechen das Training eher ab, wenn es unangenehm wird, z. B. wenn es um die Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken und dem Verhalten geht.

Der bisherige Trainer Peter Leiding geht in Rente. Seine Nachfolge übernimmt zum 1. April der Diplompädagoge Sebastian Göbel.



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