Fastnachtspredigt trotz Corona: „Gott freut sich, wenn wir lachen“

Pfarrer Herbert Lüdtke begrüßt die Vereinsvertreter: Ganz hinten Andrea Bechthold und Frank Görner (Pitschetreter), in der Mitte Jasmin Müller und Thomas Kilb (Carnevalsverein). Vorn Alisa-Marie und Vater Andreas Jell (Tanzgarde). Szenen aus dem Videogottesdienst der St.-Georgsgemeinde, Kamera Andreas Mehner. Foto: Mehner/St.-Georgs-Gemeinde

Steinbach (HB). Corona hat den Narren das Zepter aus der Hand genommen. Die Kampagne sollte in dieser Woche eigentlich ihren Höhepunkt erreichen. Daraus wurde nichts, doch in der altehrwürdigen St. Georgskirche lebte wenigstens die Tradition der Fastnachtspredigt fort. Nicht vor großer Kulisse reimte Pfarrer Herbert Lüdtke, sondern im Angesicht einer Delegation aus den drei Steinbacher Vereinen, die dem Frohsinn verpflichtet sind.

In Pandemiezeiten zeigt sich die evangelische Gemeinde weltoffen. Zum Videogottesdienst im Oktober lud sie die vom Virus ausgebremsten Kerbeborsche, die im Foyer des Bürgerhauses für den alten Brauch werben durften. Jetzt waren die Narren an der Reihe, die sich auf den Kirchenbänken vorschriftsmäßig verteilten, anstatt Gott Jokus beim Fastnachtsumzug in Oberursel zu frönen. Die schwerste Stunde hat Vorsitzender Thomas Kilp schon im Herbst erlebt, als er die Kampagne des Carnevals Club ad acta legen musste. Von stürmischem Wetter abgesehen, wurde den Narren ein vergleichbarer Verzicht nur Anfang der Neunziger durch den Golfkrieg gegen Saddam Hussein auferlegt.

Ab Januar befinden sich die Karnevalisten eigentlich im Ausnahmezustand. Im Bürgerhaus wird in der „fünften Jahreszeit“ eine Stimmungsrakete nach der anderen gezündet. Die Narrhalla lebt von Emotionen, von spritzigen Büttenreden, vom Schunkeln und gemeinsamen Singen. Und von der Lust am Verkleiden. Man hat die Wandlung von Lars Knobloch zum Piraten und den Musketier in Stefan Naas wirklich vermisst. Das Bürgerhaus war öd und leer. Die Fremdensitzung der Carnevalisten, der Raub der Stadtkasse beim Rathaussturm und auch das Männerballett wurden ersatzlos gestrichen. Die Enttäuschung sitzt vor allem bei den Tanzgruppen tief, die bereits monatelang für den Bühnenauftritt trainiert hatten.

Trübsal haben auch die Pitschetreter geblasen, die zunächst die Absage der Bachrechtstaufe hinnehmen mussten, bei der bereits Legionen von Steinbachern in die Bütt auf dem Freien Platz getunkt wurden. Damen- und Kappensitzung mussten storniert werden, weshalb ein paar tauend Euro in der Vereinskasse fehlen, wie der Vorsitzende Frank Görner rekapituliert. Nunmehr ist die Bachrechtstaufe für den 20. Juni terminiert. Die Tanzgarde 08 ist normalerweise ein Dutzend mal im Sitzungprogramm vertreten, diesmal hatte sie einen einzigen Internet-Auftritt. Zum Glück blieb auch der TG ein Mitgliederschwund erspart, freut sich Vorsitzender Andreas Jell. Die drei Vereine brauchen um ihre Existenz nicht zu bangen, aber sie wollen endlich wieder dem Vereinszweck Genüge tun und haben in ihren Fürbitten beim Herrgott um die baldige Rückkehr in den ganz normalen Alltag nachgesucht.

Der Pfarrer spielte auf dem Schifferklavier, Ellen Breitsprecher auf dem Piano und Melissa Bartel hat gesungen und auch der Narrhallamarsch wurde eingespielt. Schließlich ging Herbert Lüdtke diesmal vor und nicht auf der Kanzel in Position, dekoriert mit dem Tigerorden der Tanzgarde und einem Anstecker der „Pitschies“. Für ihn ist Fröhlichkeit eine Christenpflicht: „Gott freut sich, wenn wir lachen.“ In diesem Kontext zitierte der Seelsorger den Apostel Paulus mit dem Ratschlag: „Freut Euch mit den Freudigen.“ Es folgte sein närrischer Vortrag, der am Fastnachtssonntag Tradition ist unter dem Kirchendach und gerne gehört wird. Diesmal war dem Gottesmann freilich nicht nach roter Nase zumute, denn wegen Corona ging ihm „die närrische Ausgelassenheit total ab.“ Anstatt beißendem Spott, bekamen die Zuhörer moderate Töne von einem „sanften“ Herbert zu hören. Der outet sich als treuer Merkel-Gefolgsmann, „ihr folgsamstes Schaf“. In der Pandemie „tut a bissi Gottesvertrauen jedem gut. Reißt Euch zusammen! Tretet für einander ein, nur so kann das Leben lebenswert sein,“ textet der Pfarrer und stellt fest: „Im Wahlkampf in Staabach wurd noch nie so leis gesunge, um en Park zum Spaziern wird da gestritte und gerunge.“. Wahlgewinner ist für den Pfarrer schon jetzt die Demokratie, „denn die AfD is net dabei.“



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