Schüler holen sich eine Portion Zuversicht

Gerda Füller (l.) spielt am liebsten mit Elena (Mitte) und Maria (r.) Gesellschaftsspiele. Dabei erzählen sich die Drei, was sie bewegt. Die Begegnung zwischen Alt und Jung ist teil des sozial-ökologischen Schuljahrs der Phorms-Schule und der Sozialen Stadt. Foto: fk

Von Christine Sarac

Steinbach. Geduldig schieben Maria und Elena, beide 15 Jahre alt, die bunten Puzzleteile über den Tisch. Gertrud Füller beobachtet sie dabei und lächelt. Eine alltägliche Szene – eine Großmutter spielt mit ihren Enkelinnen. Nur, dass die drei nicht miteinander verwandt sind. Sie bilden eine Art Zufallsgemeinschaft, zusammengestellt von Heike Dittrich, Lehrerin an der Phorms-Schule, und Quartiersmanagerin Bärbel Andresen im Rahmen des sozial-ökologischen Schuljahrs.

Sie hätten es nicht besser miteinander treffen können, da sind sich die Schülerinnen und die Seniorin einig. Maria und Elena besuchen die 9. Klasse der Phorms und absolvieren gerade, wie ihre 20 Klassenkameraden mit ihnen, ein sozial-ökologisches Schuljahr. Seit 2021 heißt es so, davor war es als soziales Schulhalbjahr bekannt.

Bärbel Andresen hat das Projekt vor fünf Jahren ins Leben gerufen. „Ich finde es schade, dass viele Jugendliche immer weniger oder manchmal auch gar keinen Kontakt zu ihren Großeltern haben“, erklärt sie. 2002 habe Andresen in ihrem Heimatort erstmals sogenannte Jung-Alt-Begegnungen organisiert. „Diese Treffen haben sich als unglaublich fruchtbar für beide Seiten erwiesen. Daher habe ich meine Idee in der Phorms-Schule vorgetragen und bin dort mit offenen Armen empfangen worden“, erinnert sie sich. Insgesamt zehn Mal hintereinander, immer dienstags, treffen sich die Senioren mit „ihren“ Schülern im Saal des Bürgerhauses. Begonnen hat das Projekt nach den Osterferien, es endet somit in dieser Woche.

Was die beiden Generationen während der Stunde miteinander unternehmen, das liegt ganz bei ihnen. Die einen spielen, die anderen basteln, manche unterhalten sich oder alles zusammen. „Da werden ganz schnell gemeinsame Leidenschaften festgestellt und geteilt“, lacht Bärbel Andresen. Gertrud Füller, von allen Gerda genannt, greift zum Memory „Berühmte Frauen“. 84 Jahre alt ist die Steinbacherin. Ihr ganzes Berufsleben lang hat sie in verschiedenen sozialen Einrichtungen mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Darunter ein Mädchen- und Säuglingsheim in Frankfurt. Zuletzt war sie 18 Jahre lang im städtischen Kindergarten „Wiesenstrolche“ als Erzieherin tätig. „Nächste Woche ist dort Kindergartenfest. Da bin ich natürlich dabei“, berichtet Gerda Füller voller Tatendrang. Nur ihr Rollator, den sie neben ihrem Stuhl geparkt hat, und ihr weißes Haar zeigen, dass sie doch ein gewisses Alter erreicht hat. Fünf Steinbacher Bürgermeister habe sie inzwischen erlebt, erzählt sie munter drauflos und noch so einiges andere in den vergangenen acht Jahrzehnten. Davon erzählt sie natürlich auch ihren Schützlingen Maria und Elena. „Zu unserem ersten Kennenlernen hat Frau Füller uns auch Fotos von früher mitgebracht. Das war interessant“, erinnert sich Elena. „Ich bin 1938 geboren. Den Krieg habe ich miterlebt. Musste unter Fliegeralarm aus der Schule nach Hause laufen“, erinnert sich Gertrud Füller mit Schrecken. Maria und Elena hören interessiert zu, während Gerda Füller aus ihrem Leben erzählt. „Trotzdem bin ich immer positiv geblieben“, sagt sie. „Solche Lebenswege sind Mut machend“, findet auch Bärbel Andresen. „Es ist so bereichernd für junge Menschen, sich mit den Senioren auszutauschen, die durch Krisen gegangen sind, Hunger und Not erlebt haben. Sie sind ein Kraftpol, bei denen man sich eine Portion Zuversicht abholen kann“, so Andresen.

In Bezug auf die Alt-Jung-Begegnungen arbeiteten die Schule und die Soziale Stadt mit dem Seniorenheim „Avendi“, dem Verein „brücke“ und dem VdK Hessen-Thüringen zusammen. Letzterer nimmt die Jugendlichen noch vor der ersten Begegnung mit ihrem Senior mit auf einen Sinnesparcours, in dem die Schüler erleben können, wie es sich anfühlt, nicht mehr gut zu sehen und sich mit einem Rollator fortzubewegen. „Das soll Verständnis und Sensibilität bei den Jugendlichen für die Lebenswelt älterer Menschen wecken“, erläutert Bärbel Andresen die Idee hinter dem Parcours. Auch der Hospiz- und Palliativdienst Oberursel sind inzwischen Teil des sozial-ökologischen Jahres. Trauriger Anlass war der plötzliche Tod eines Seniors während des Projekts. „Wir alle mussten mit dem Verlust umgehen, und vielleicht war die Zeit vorher auch noch nicht reif für das Thema Tod“, überlegt Bärbel Andresen. „Wir haben aber eine sehr gute Kooperation aufgebaut. Der Hospiz und Palliativdienst spricht sehr einfühlsam über Sterben und Tod mit den Schülern, und wir haben auch schon das Hospiz St. Barbara in Oberursel besucht.“ Während der Coronapandemie haben die Teenager für die Gäste des Hospiz gebastelt, um so den Menschen dort eine kleine Freude zu bereiten.

Freude, das ist es auch, was Gerda Füller empfindet, wenn sie mit Maria und Elena zusammen ist. „Ich könnte den ganzen Tag hier mit den Mädchen sitzen“, schwärmt Gerda Füller. Maria und Elena sind nicht die ersten „Patenenkel“, die sie über das Projekt kennengelernt hat. Zuvor hat sie zwei Jungs begleitet. „Sie schreiben mir beide noch ab und zu eine Postkarte, da freue ich mich immer sehr drüber“, sagt sie. Wenn sie jedoch daran denkt, dass die Treffen jetzt vorbei sind, wird sie etwas traurig. „Wir werden Sie auch vermissen“, geben Maria und Elena zu. „Meine Oma lebt in Brasilien, ich habe sie vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen“, sagt Maria ein wenig traurig. „Wir haben uns schon so an Frau Füller gewöhnt. Der Abschied wird nicht leicht“, glaubt sie. „Kommen Sie uns doch am Tag der offenen Tür in der Schule besuchen“, schlägt Elena vor.

Dann wird es Zeit für die Schüler, wieder zurück zur Schule zu laufen. Gerda Füller lässt ihre Mädchen aber nicht einfach so ziehen. „Hier, das ist für euch. Das könnt ihr ja auf dem Weg naschen“, sagt sie und gibt beiden eine kleine Plastiktüte mit je einem Apfel und einer Serviette darin. Eine kleine, liebevolle Geste. Genau so hätte eine Großmutter ihre Enkelinnen verabschiedet.



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