Zwischen Narzissen und Blausternchen

Farbenfrohe Zeugen vom „kleinen Auferstehungsfest“ der Natur im Frühjahr: die Osterglocken vor der Thai Sala im Kurpark. Foto: Bergner

Von Astrid Bergner

Bad Homburg. Ich hatte Zweifel, wenig Hoffnung. Es war zwar schon zwei Wochen nach dem meteorologischen Frühlingsanfang, aber bei meinen Streifzügen durch Kurpark und Schlosspark hatte ich bisher nicht viele Frühlingsblumen gesehen – außer Winterlinge, im Frost flachliegende blasse Krokusse und einige Märzenbecher. Diese großen Schneeglöckchen werden auch „Frühlings-Knotenblumen“ genannt. Der Frühling hat dieses Jahr einen Knoten im Hals, schlechte Bedingungen für einen farbenfrohen Oster-Artikel, dachte ich.

Und das Gedicht „Spätwinter“ von Karl Krolow fiel mir ein, wo der Dichter von „Hungerblumen“ spricht, die sich aus dem Dunkel zum Licht ziehen. Aber dann war sie doch da, die Sonne, die die Frühblüher am Schopf packt und sie wachsen lässt, als ich mit Gärtnermeister Peter Vornholt einen Spaziergang durch den Schlosspark unternahm. Eine Inspiration, über das Keimen von Hoffnung nachzudenken, über Ostern.

„Wenn alle sagen: Es wird nicht hell, dann sind wir Gärtner dankbar für die Kälte und jeden Tropfen, der jetzt fällt und hilft, die natürlich gegebene Reihenfolge der Pflanzen einzuhalten“, sagt Peter Vornholt, als wir an Goethes Ruh’ vorbeigehen, um die Geophyten im Park zu suchen, die im Boden überwinternden Frühlings-Zwiebelgewächse. „Ich mag die Überraschungen gern, wie die kleinen Narzissen-Büschel – das finde ich so schön! Das erste Aufblühen ist ein Anfang, der Beginn allen Wachstums ist für mich als Gärtner ein Symbol für Neubeginn“, meint er und bückt sich am Abhang zum Gartenhäuschen im Schatten der Erlöserkirche über die gefüllten Blüten kleiner Narzissen: „Rijk van Winkle“ stehen hier.

Der Schlossgärtner kennt und liebt sie alle, die wilden Frühblüher-Sorten, die an den Hängen hoch zum Landgrafenschloss und im unteren Schlosspark um den Teich herum nun aus der Erde gekommen sind. Die, einmal gesetzt, von Januar bis April eher unscheinbar das Jahr bejahen. Winterlinge und Schneeglöckchen erst, dann „Crocus tommansianum“, der Elfen-Krokus, der sich in mehr als 50 Jahren hier wild ausgebreitet hat und die Wiesen mit einer weiß-lilafarbenen Zartheit überzieht. Eine Zartheit, die ausdrückt: Wir wollen’s nicht gleich übertreiben, aber wir erwarten etwas von diesem aufblühenden Jahr. „Auf diese kleinen wilden Krokusse warten die Homburger jedes Jahr“, so Vornholt.

Vor einigen Jahren sei eine Dame aus Oberstedten im frühen Frühjahr durch den Schlosspark spaziert, habe ihn angehalten und gesagt, es gebe ja viel zu wenige Frühblüher hier im Obergarten. „Seither bringt sie jedes Jahr eine Kiste mit Winterlingen und Schneeglöckchen aus ihrem Garten hierher, viele Sorten Schneeglöckchen, die wir noch nicht haben, und pflanzt sie selbst ein“, freut sich Peter Vornholt. „Im März kann man die Geophyten im eigenen Garten gut mit einem Spaten einfach teilen und umsetzen.“

Zwischen lauter verschrumpelten Eicheln, die am Boden herumliegen wie kleine Erinnerungen ans vergangene Jahr, zeigt der Gärtnermeister mir Schneeglöckchen und einen kleinen „Narzissen-Klump“, die Schüler der Hölderlinschule einmal vor Jahren am Hang zum Schlossparkteich gesteckt hatten – Überraschung! Und überraschend ist auch die Menge der Blausternchen: Mehr als 10 000 dieser blauweißen „Scilla“ haben sich im unteren Landschaftspark ausgebreitet. Wenn die dottergelben Narzissen aufblühen, die die Gärtner mit dem Boot auf die Insel im Teich gebracht haben, sind die blauen Sterne schon wieder verschwunden und überdauern in der Erde.

Was wir Menschen schon alles gehegt und wieder in der Erde begraben haben: Hoffnungen, Menschen, Erwartungen. In diesen Passions- und Ostertagen geht es um Aufwachsen, Leben, Sterben und Auferstehen – und die Natur lässt uns jedes Jahr neu an ihrem „kleinen Auferstehungsfest“ teilhaben. Ein Sinnbild für das christliche Osterfest.

Wir stehen vor dem zartroten Zierquittenstrauch am Teichufer. Schon Landgräfin Eliza hatte 1825 aus Kew Gardens in London solche mit nach Homburg gebracht. Den Hartriegelstrauch am Hang suche jedes Jahr Anfang April eine hochbetagte Besucherin des Parks auf, um die vielen kleinen Blüten zu genießen, und auch er habe diesen Frühlingsblüher besonders gern, schwärmt Peter Vornholt. Zum Osterfest steht in der großen Vase der Familie Vornholt zwischen Lärchengrün und Laubgehölz immer ein einziger blühender Zweig des Hartriegels, „den schenke ich meiner Frau“. Auch die kleinen gelbgrünen Blüten des alten Kornelkirschen-Baums an der Brücke zwischen Schlossteich und Landschaftsgarten zeugen von Lebendigkeit nach der Winterstarre. So wenig grell und pompös sich das Aufleben der frühen Blütenpracht bis Ende März hier durchsetzt, so mag auch der erste Ostermorgen gewesen sein, als das Leben über den Tod gesiegt hat. Mit Liebe statt kriegerischer Geste.

Mensch, ist denn schon Ostern? Dem kalten Frühlingswind zum Trotz, der uns mitunter entgegenbläst? Ja, das Leben wird auch in diesem Jahr bunt, wenn wir den Gedanken der guten Hoffnung über das Negative stellen – davon zeugen nicht nur die Teppichbeete im oberen Schlosspark, die von Gärtnern mit Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen und Bellis jetzt zum Leuchten gebracht werden. Auch das herrliche Teppichbeet vor der russisch-orthodoxen Allerheiligen-Kirche im Kurpark und die vielen Frühlingsbeete dort zeigen sinnbildlich das Aufkeimen und Blühen der Hoffnung: Die 17 Mitarbeiter der Kurpark-Gärtnerei hätten im vergangenen Herbst überall rund 7500 Zwiebeln von Frühjahrsblühern eingesetzt, erzählt Gärtnermeister Thomas Schäfer, dazu würden jährlich 5000 weitere zum Verwildern an den Gehölzrändern im ganzen Park gepflanzt.

In diesem Jahr trumpft der große Landschaftspark zu Ostern zusätzlich noch mit 9000 aufblühenden Zwiebeln einer Tulpen-Pflanzaktion der Bad Homburger Rotary-Clubs auf – eine Pracht wird das sein! Wer die besonderen Tulpen auf dem Beet vor der Bad Homburger Spielbank noch nicht gesehen hat, sollte hingehen. Dort stehen Triumph-Tulpen der Sorten „Shirley“, „Inzell weiß“, „Jan Reus“ und „Gabriella Rosa“. Triumph-Tulpen! Die weißen und rosaroten Magnolien überall – Wolken der Zuversicht! Und die großen Osterglocken-Büschel im Rasen vor dem Siamesischen Tempel leuchten mit dem goldenen Dach um die Wette. Der englische Dichter William Wordsworth dichtete auf den Frühling: „And then my heart with pleasure fills/ and dances with the daffodils.“ Auf Deutsch gesagt: Freut Euch im Herzen alle und tanzt! Der Frühling ist da! Das Leben überwindet den Tod!

Lonicera purpursii, die Winter-Heckenkirsche, erfreut alle, die trotz niedriger Temperaturen im Landschaftsgarten unterhalb des Landgrafenschlosses spazierengehen. „Dieser Busch blüht drei Monate lang bis Ostern – und duftet!“, schwärmt Schlossgärtnermeister Peter Vornholt. Foto: Bergner

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