Schulpflicht mit Hindernissen

Es ist einsam geworden auf dem Schulhof der Mendelssohn-Bartholdy-Schule in Sulzbach. Statt Tischtennis im Hof ist momentan bestenfalls ein kleiner Ausflug in den Eichwald möglich. Foto: Scholl

Bad Soden (Sc) – Eigentlich sollte in den Schulen momentan Endspurt-Stimmung herrschen: Die Abiturienten haben ihre mündlichen Abiturprüfungen bereits abgelegt oder sind im Begriff, dieses zu tun. Die Abschlussklassen der Haupt- und Realschulen haben ihre schriftlichen Prüfungen ebenfalls abgeschlossen und alle Nicht-Abschlussklassen wären normalerweise damit beschäftigt, die letzten schriftlichen Arbeiten zu schreiben und sich mündlich nochmal „richtig reinzuhängen“, um die Zeugnisnote noch ein bisschen zu pushen, oder zumindest das Schlimmste zu verhindern. An dieser hektischen Betriebsamkeit zum Ende eines Schuljahres ging bisher kein Weg vorbei, sodass am Schluss immer alle heilfroh waren, wenn es denn endlich in die Sommerferien ging – nicht so in diesem Jahr!

Die Corona-Pandemie stellt unser aller Leben auf den Kopf und auch Schule ist in diesen besonderen Zeiten absolut nicht mehr das, was sie bisher war. Keine wilden Schulhofdiskussionen über Lehrkräfte und deren Notengebung oder über Strategien zur Vermeidung der Jahrgangs-Wiederholung. Was bisher niemand jemals für möglich gehalten hätte – Sitzenbleiben gibt es in diesem Jahr nicht! Unfassbares Erstaunen bei der Schülerschaft, gemischt mit unbändiger Freude und der Lizenz zum Faulenzen. Auf Seiten des Lehrkörpers mischt sich banges Entsetzen mit der Erkenntnis, dass es einer unglaublichen Anstrengung bedürfen wird, alle Kinder und Jugendlichen wieder „einzufangen“, denen die in diesen Zeiten so notwendige Unterstützung der Eltern nicht zu Teil wird.

Verwaiste Schulhöfe

In den Schulen selbst sieht es auch eher trostlos aus: Die Schulhöfe sind verwaist, weil Lerngruppen mit maximal 15 Schülern gebildet werden mussten, die Gruppenweise unterrichtet werden und als solche einen eigenen „Pausenbereich“ zugewiesen bekommen haben, in dem sie sich aufzuhalten haben. Teilweise finden die Pausen auch gleich in den Klassenräumen statt. Dem Umstand der begrenzten Schülerzahl pro Gruppe ist auch die Tatsache geschuldet, dass nicht alle Schüler/-innen gleichzeitig in der Schule erscheinen können. Jeder Jahrgang hat bis zu den Sommerferien festgelegte Präsenz-Tage zugeteilt bekommen. Diese Einteilung kann jede Schule individuell und mit Rücksicht auf die jeweiligen räumlichen Gegebenheiten vornehmen, aber im Wesentlichen sind immer zwei Jahrgangsstufen gleichzeitig in der Schule, sodass es möglich sein wird, dass jeder Schüler und jede Schülerin noch acht PräsenzSchultage bis zu den Sommerferien absolvieren kann und soll. Dazu wurden besondere Lehrpläne im Lehrerkollegium erstellt, Lehrinhalte mussten mit einem großen zeitlichen Einsatz neu konzipiert und so aufbereitet werden, dass ein individuelles Weiterlernen zuhause möglich ist, damit die Lücken im Lehrstoff nicht zu groß werden. Die Lehrkräfte, denen ihre Schüler sehr am Herzen liegen, versuchen dabei auch, die schwächeren Schüler nicht aus den Augen zu verlieren und sind bestrebt, den persönlichen Kontakt auch zuhause aufrecht zu erhalten, sei es per E-Mail, WhatsApp oder Telefon. „Schule ist individueller geworden“, beschreibt Lothar Hennig, Schulleiter der Mendelssohn-Bartholdy-Schule in Sulzbach, die aktuelle Situation. In Sulzbach bedeutet das neue Präsenz-Schulkonzept, dass die Klassen zweimal wöchentlich für je drei Schulstunden in die Schule kommen. Die Pausen müssen auch hier in einem vorher festgelegten Bereich verbracht werden, jedoch kann Lothar Hennig auch berichten, dass „die Lehrkräfte glücklicherweise die Möglichkeit haben, mit den Schülern „kurz in den gegenüberliegenden Eichwald zu gehen“, um die Pause entspannt im Grünen verbringen zu können. Die Schulen selbst sind zu hygienischen Hochsicherheitsgebieten geworden, in denen Maskenpflicht besteht, die Toiletten (Zugang unter Aufsicht) nur einzeln betreten werden dürfen und bei jedem Betreten des Schulgebäudes die Hände desinfiziert werden.

Was die Klassenräume betrifft, so ist auch hier Nähe ein Fremdwort geworden. Die begrenzte Zahl von Schülern sitzt mit mindestens 1,5 Metern Abstand an Einzeltischen, Kommunikation untereinander ist da kaum möglich, auch wenn in den Klassenräumen keine Maskenpflicht für die Schüler und Schülerinnen herrscht. Abgesperrte Schul- und vorgegebene Pausenbereiche, ausgemusterte Tische und Absperrbänder – so sieht momentan der Schulalltag aus. Da das generelle Abstandsgebot von 1,5 Metern in der ganzen Schule gilt, ist auch der zwischenmenschliche Austausch unter den Jugendlichen stark eingeschränkt. Bedenkt man, dass das soziale Leben der Jugendlichen bisher in großen Teilen in der Schule stattfand, kann man vielleicht erahnen, was der eingeschränkte Präsenz-Unterricht für viele von ihnen bedeutet.

Studie

Es geht für die jungen Leute nicht nur um fehlendes Schulwissen, sondern auch um den Verlust von sozialen Bindungen und sozialer Interaktion. Die bundesweite Studie „JuCo“ der Goethe Universität Frankfurt und der Universität Hildesheim hat darüber hinaus ergeben, dass sich die jungen Leute mit ihren Ängsten, Fragen und Gedanken von den Erwachsenen nicht ernst genommen fühlen. Sie sehen sich auf das „Schüler sein“ reduziert und beklagen, dass sie als solche nur „funktionieren“ (lernen) sollen. Den Wegfall sozialer Bindungen und der fehlende Austausch mit Freunden und Mitschülern hinterlässt bei vielen eine emotionale Leere, die oft zuhause nicht gefüllt werden kann. In der Konsequenz werden die Kinder, die auf die Unterstützung der Eltern zurückgreifen können, einigermaßen gerüstet in das neue Schuljahr starten können, während diejenigen, die mit sozialen und familiären Problemen zu kämpfen haben, weiter ins Hintertreffen geraten. Berechtigterweise weist Lothar Hennig darauf hin, dass im neuen Schuljahr für jeden einzelnen Schüler ein weitaus individuellerer Ansatz gewählt werden muss, um die jungen Leute auffangen zu können. Allerdings findet sich dort, wo Schatten ist auch immer irgendwo Licht, und Lothar Hennig kann berichten, dass die Rückmeldungen der Lehrkräfte aus den aktuellen Präsenz-Stunden durchaus positiv seien. Das Arbeiten in Kleingruppen von maximal 15 Kindern sei angenehm, der Lernstoff könne besser vermittelt werden, wozu auch die Jugendlichen selbst beitragen, die sehr diszipliniert und ruhig mitarbeiteten. So organisieren die Schulen einen „Teilzeitunterricht“, der dem Spagat zwischen hygienischen Anforderungen, der Fürsorge für die Schüler und einem wenig ausgegorenen Digitalkonzept gerecht werden muss. Ein Anspruch, dessen Umsetzung dem engagierten Lehrerkollegium unzählige Mehrarbeitsstunden und der Schulleitung schlaflose Nächte bescherte. Dass die Schüler/-innen einen Großteil ihrer schulischen „Arbeit“ digital erledigen sollen, stößt auch auf wenig Gegenliebe, da das digitale Lernkonzept unausgereift ist, die notwendigen Kommunikations-Plattformen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen und nicht jeder Schüler/jede Schülerin zuhause über die notwendige digitale Ausstattung verfügt. Da ist auch der gute Wille des Main-Taunus-Kreises, 50 iPads für den „Notfall“ zur Verfügung zu stellen, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Worst Case

Wenn dann – wie in der Mendelssohn-Bartholdy-Schule passiert – auch noch der worst Case (siehe weiteren Bericht in dieser Ausgabe) in Form einer Corona-Infektion in der Schülerschaft eintritt, ist wohlorganisiertes Krisenmanagement gefragt. Aber auch in dieser Situation blieb Hennig ruhig und freute sich, dass die betroffenen Schüler und Schülerinnen wenigstens ihre Mathe-Prüfungsklausuren regulär schreiben konnten. Die – wegen der Quarantäne – versäumte Prüfungen in Deutsch und Englisch müssen nun nachgeschrieben werden. Bezogen auf das soziale Miteinander droht noch ein ganz anderer Supergau – die Abschlussfeierlichkeiten. Sie markieren normalerweise den ersten großen Wendepunkt im Leben der Jugendlichen, den sie zu Recht gerne feiern möchten. In diesem Jahr wird das jedoch schwierig werden. Große Bälle, bei den Abiturienten sehr beliebt, können wegen der Kontaktbeschränkungen und des Verbotes von Großveranstaltungen nicht stattfinden. All die schönen, bereits im Frühjahr gekauften Kleider – nutzlos! Die Anzüge der jungen Herren werden beim ersten Vorstellungsgespräch nicht mehr passen – ein Drama! Momentan denkt Lothar Hennig, gemeinsam mit dem Lehrerkollegium darüber nach, wie die Feierlichkeiten für die erfolgreichen Absolventen der Haupt- und Realschule aussehen könnten, denn auch hier möchte die Schulgemeinschaft die erfolgreichen Schüler und Schülerinnen nicht ohne eine entsprechende Würdigung ihrer individuellen Leistung „einfach so“ von der Schule verabschieden. Es wird also spannend bleiben – wobei heute auch noch niemand weiß, wie denn Schule nach den Sommerferien aussehen wird!



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