Oberursel (gt). Es war eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung, die von vielen Menschen mit Spannung erwartet wurde, was auch an den Livestream-Zuschauerzahlen zu erkennen war. Immerhin stand an diesem Abend die Wahl des neuen Ersten Stadtrats auf der Tagesordnung. Doch 15 Minuten nach dem geplanten Beginn der Sitzung war auf dem Bildschirm nur zu sehen, dass der Livestream „in Kürze“ beginnen werde. Was sie nicht sehen konnten: Nach einer Sitzung des Ältestenrats setzten sich die Fraktionen zusammen, um etwas Dringendes zu besprechen. Mit 23 Minuten Verspätung eröffnete Stadtverordnetenvorsteher Lothar Köhler die Sitzung und erklärte, dass aufgrund eines „Konkurrenteneilverfahrens“ mehrere Punkte von der Tagesordnung gestrichen wurden, darunter die Amtseinführung, Aushändigung der Ernennungsurkunde und Ablegung des Diensteids des neuen – noch nicht gewählten – Ersten Stadtrats. Es entfiel auch der Tagesordnungspunkt „Bildung eines Wahlvorbereitungsausschusses“, um die Stelle des weiteren hauptamtlichen Stadtrats auszuschreiben.
Köhler stellte zur Debatte, ob man den Livestream für die Dauer der Wahl ausschalten soll. „Es ist uns von Juristen entsprechend geraten worden, weil wir in einem laufenden Verfahren sind, um so unsere Position nicht zu schwächen.“ Grünen-Fraktionschefin Christina Herr kritisierte, dass die Fraktionen erst kurz vor der Sitzung informiert wurden und keine Unterlagen dazu erhalten hätten. Die Grünen könnten so weder entscheiden, ob sie dem Rat folgen oder ob die Sache substanzlos sei. Sie plädierte dafür, das Verfahren ordentlich und öffentlich durchzuführen und die Wahl um vier Wochen in die nächste Sitzung zu verschieben. Dieser Vorschlag fand keine Mehrheit fand. Daraufhin erklärte Herr, es sei wichtig, die Öffentlichkeit auch über den Livestream herzustellen und keine Gründe für spätere Behauptungen zu liefern, irgendwas sei gemauschelt worden.
Auch Michael Planer von der ULO kündigte an, gegen die Abschaltung zu stimmen. „Wir haben auch hier im Saal eine Öffentlichkeit und sehen hier die Unterscheidung nicht zwingend als notwendig“, sagte er. Jürgen Aumüller (CDU) widersprach: „Den Livestream abzuschalten heißt nicht, dass wir keine öffentliche Sitzung haben.“ Es sei eingeladen worden, und es gebe Besucher. Der Raum sei öffentlich, und alle könnten kommen. „Aber wenn Juristen von der Stadt und vom Deutschen Städtetag uns empfehlen, um Schaden für die Stadt Oberursel abzuwenden, den Livestream zu unterbrechen, dann haben wir in der Koalition uns da sehr eindeutig geäußert“, sagte er und machte klar, dass die Koalition für die Unterbrechung des Livestreams stimmen werde. Sein Koalitionskollege Wolfgang Burchard (SPD) unterstrich, „es wäre doch fatal, wenn wir jetzt diesen Livestream durchführen“, obwohl Juristen davon abgeraten. Burchard zeigte Unverständnis für jene, die den Livestream trotzdem aufrechterhalten wollten. Ingmar Schlegel (Linke) fand es falsch, die Wahl einem Teil der Öffentlichkeit zu entziehen, auch weil es zur gängigen Praxis in der Wahlzeit geworden war, Wahlen im Livestream zu übertragen. Er plädierte auch für die Verschiebung der Wahl. Für die AfD erklärte Claudia Koch-Brandt: „Wir sehen keine Gründe, weshalb man sich wissentlich gegen den Rat der Juristen verhalten sollte.“ Claudia von Eisenhart-Rothe schlug vor, die Wahl um mindestens 30 Minuten zu verschieben, damit die Livestream-Zuschauer sich auf den Weg ins Rathaus machen könnten, „obwohl Unwetter ist“. Die OBG äußerte sich nicht während der Aussprache. In der Abstimmung waren CDU, SPD, OBG und AfD für die Abschaltung des Livestreams, ULO, Grüne und Linke stimmten dagegen. Die Klimaliste enthielt sich. Auf den Bildschirmen erschien der Satz: „Aus juristischen Gründen ist der Livestream aktuell unterbrochen und wird in Kürze fortgesetzt.“ Nach einer weiteren Stunde wurde der Livestream wieder geschaltet.
Nachdem Jens Uhlig den Saal verlassen hatte, trug Lothar Köhler als Vorsitzender des Wahlvorbereitungsausschusses dessen Bericht vor. 24 Personen hatten sich innerhalb der Bewerbungsfrist bis zum 1. März beworben, vier hatten jedoch schon vor der Sichtung der Bewerbungsbriefe ihre Kandidatur zurückgezogen. Unter den 20 verbliebenen Kandidaten, deren Namen und Wohnort verlesen wurden, waren sechs aus Oberursel: außer Jens Uhlig waren das Sascha Lehmann, Dominik Braza, Dominik Eppler, Christoph Springer und Peter Lutz. Acht Kandidaten wurden zum Vorstellungsgespräch am 15. April eingeladen. Davon zogen vier ihre Kandidatur sofort zurück, zwei weitere später. In der Abstimmung über die beiden verbliebenen Bewerber waren im Ausschuss CDU, SPD, OBG, ULO und AfD für Jens Uhlig, die GRÜNEN stimmten dagegen und der Vertreter der LINKE war bei der Abstimmung nicht anwesend.
Der 51-jährige Uhlig stellte sich vor seiner Wahl, wie aus dem Parlament gewünscht, vor: Zu seiner zweijährigen Erfahrung im Rathaus sagte er: „Ich habe den Eindruck, dass mir die Rolle des Stadtkämmerers auf den Leib geschrieben ist.“ Er habe sich nicht gescheut, im ersten Jahr nach dem Amtsantritt eine Grundsteuererhöhung durchzuführen, da die Stadt sonst ihre Rücklagen schnell aufgebraucht hätte, und blickte auf die anstehenden Herausforderungen für die Stadt, aber machte auch klar, dass es eine Entscheidung der Bürgermeisterin sein werde, sollte er zum Ersten Stadtrat gewählt werden, ob er die Kämmerei dort auch behält.
Dr. Angela Helbling-Marschall (Grüne) warf der CDU vor, die Kooperationsvereinbarung gebrochen zu haben, nachdem die Grünen ihren Teil erfüllt hätten mit der damaligen Wahl von Jens Uhlig zum Stadtkämmerer (Anmerkung: In der veröffentlichten Version der Vereinbarung ist darüber nichts zu finden). Die fehlende Unterstützung für Christof Fink im vergangenen November bezeichnete sie als „persönlich verletzend, unfair, und politisch intransparent“ und nannte die CDU „unzuverlässig“. Es sei verwunderlich, dass sie es nun geschafft haben, Teil einer neuen Koalition zu werden. Mit Blick auf die bevorstehende Wahl zum weiteren hauptamtlichen Stadtrat und der Koppelung der Haushaltsgenehmigung an die Besetzung der Stelle, warf sie der Koalition vor, den Haushalt als Druckmittel zu verwenden, „bis die OBG versorgt ist“. Sie ergänzte, Uhlig müsse nicht Erster Stadtrat sein, um seine Aufgaben erfüllen zu können.
Schlegel sagte, seine Fraktion schätze die Kompetenzen von Uhlig als Stadtkämmerer, bedauere jedoch, dass es keinen Gegenkandidat gab. Die Linke wolle die Wahl Uhligs unterstützen. Jens Uhlig sei bemüht, als Stadtkämmerer Prozesse zu optimieren, um in Oberursel weitere Steuererhöhungen zu vermeiden, sagt Claudia Koch-Brandt für die AfD. Sie begrüßte auch die neue Koalition von CDU, SPD und OBG. Viele Sachen, die die AfD gefordert habe, seien im Koalitionsvertrag wiederzufinden. Martin Bollinger (CDU) erläuterte die Vorteile, die die CDU bei Jens Uhlig sieht: Er habe Erfahrung, gezeigt, dass er Oberursel durch unruhiges Fahrwasser manövrieren kann, und er setze sich leidenschaftlich für seine Stadt ein. Melanie Lauer (OBG) begrüßte die Empfehlung des Wahlvorbereitungsausschusses. Uhlig sei bestens geeignet, die Aufgaben des Ersten Stadtrats anzugehen. „Gemeinsam wollen wir die Defizite der vergangenen Jahre ausgleichen“, erklärte sie und machte klar: „Mit Jens Uhlig können wir viel bewegen“. Von der Kritik der OBG aus der November-Sitzung, dass man eine Wahl haben möchte, war nichts mehr zu hören. Als letzte sprach Eleanor Pospiech für die SPD. Sie möchte, dass Jens Uhlig weiterhin eine tragende Säule im Magistrat sei, und „wir sind der Überzeugung, dass es eine gute Besetzung ist, die wir gerne unterstützen möchten“.
Nachdem die Stimmen ausgezählt waren, wurde der Livestream wieder gestartet, Lothar Köhler gab das Ergebnis bekannt: 43 Stadtverordneten waren anwesend und genauso viele Stimmen wurden abgegeben. Auf Uhlig entfielen 26 Stimmen, es gab 15 „Nein“-Stimmen, eine Enthaltung und eine ungültig Stimme. Jens Uhlig nahm die Wahl an und bedankte sich für das Vertrauen. Nachdem ihm gratuliert worden war, wurde die Sitzung in Anbetracht der Wetterlage beendet.
Da CDU, SPD, OBG, LINKE und AfD in der Sitzung über 28 Stimmen verfügten, muss offensichtlich jemand trotz angekündigter Unterstützung sein Kreuz in der Wahlkabine anders gesetzt haben. Mit der ULO, die im Ausschuss für Uhlig gestimmt hatte, wären es sogar 31 Stimmen gewesen. Aber da die Mehrheit klar ist, wird diese Frage die Fraktionen vermutlich weniger beschäftigen, als die Frage nach der „Konkurrentenklage“ und nach dem Zeitpunkt, wann Jens Uhlig sein Amt antreten kann.