„Du musst einen Plan haben und dein Leben aufbauen wollen“

Eine Geschichte gelungener Integration und gelingender Menschlichkeit: Henriette Trebeljahr und der junge Arfan Suddigi, der heute bei Fresenius als Küchenleiter arbeitet. Foto: a.ber

Friedrichsdorf (a.ber). Eine gute Ausbildung? Stabile Verhältnisse im privaten und beruflichen Umfeld? Freiheit und Selbstbestimmung in einer Gesellschaft, die von Respekt vor dem Einzelnen geprägt ist, die Chancen gibt, aber auch Leistung und Solidarität einfordert? Für den jungen Mann, der an diesem Samstagmorgen der Friedrichsdorferin Henriette Trebeljahr hilft, Stellwände in ihr Auto zu laden, ist all dies in den vergangenen sechs Jahren Wirklichkeit geworden – tausende Kilometer weit weg von seiner Heimat im fernen Afghanistan.

Arfan Suddigi, 25 Jahre jung und 2016 als Flüchtling nach Friedrichsdorf gekommen, hatte nicht nur Glück – das Glück, sich mit Hilfe dreier engagierter Frauen in die deutsche Gesellschaft und seine neue Heimat im Taunus integrieren zu können. Der junge Afghane hatte auch den Mut und die Kraft, seine Chancen zu sehen und zu ergreifen. Heute arbeitet Arfan Suddigi als Küchenleiter des Betriebsrestaurants von Fresenius in Friedberg. „Es war mein Wunsch, mein Leben so erfüllt und eigenverantwortlich zu leben, wie ich mir das vorstelle“, sagt er und redet offen über seine Erfahrungen.

2016 kam Arfan Suddigi in die Asylanten-Unterkunft in der Max-Planck-Straße in Friedrichsdorf, lebte für sechs Monate mit vier anderen Flüchtlingen in einem Zimmer. Zwei Sprachlehrerinnen hätten Unterricht in Deutsch angeboten, „aber leider nicht regelmäßig – so konnte ich dort die Sprache nicht richtig lernen“, erzählt der junge Afghane. Doch Karin Dinter, Leiterin des Waldkindergartens Friedrichsdorf, und ihre Freundin Inga Schmidt, die das Lernangebot ehrenamtlich machten, griffen dem ehrgeizigen und ambitionierten 18-Jährigen unter die Arme, vermittelten ihm eine erste Arbeit als Reinigungskraft im Schwimmbad. „Da habe ich grüne Algen aus den Fugen gekratzt und bin darin Meister geworden“, lacht Arfan Suddigi. Bei einer weiteren kleinen Arbeitsstelle als Spülkraft im Taunus-Tagungshotel entstand sein Wunsch nach einer Ausbildung zum Koch. Karin Dinter hatte ihren Schützling zum Ausbildungstag an der Philipp-Reis-Schule mitgenommen; sie bezahlte ihm auch einen guten Deutsch-Sprachkurs an der Berlitz-School in Frankfurt – „die Fahrkarte dorthin konnte ich schon selbst bezahlen“, erzählt Arfan Suddigi nicht ohne Stolz. Im Jahr darauf begann er eine Ausbildung als Koch im Betriebsrestaurant der Metzler-Bank in Frankfurt. Dass er sie im Juli 2020 mit gutem Ergebnis abschließen konnte, verdanke er nicht zuletzt dem Einsatz von Henriette Trebeljahr. „Die Aufgabe, Arfan beim Deutsch lernen zu helfen, hat mich gefunden, nicht ich sie“, schmunzelt die 1949 geborene studierte Lehrerin Henriette Trebeljahr. „Es ist schön, für einen anderen Menschen da sein zu können, nicht nur ihn zu unterrichten, sondern auch in eine intensive Freundschaft einzutreten.“ Mehrmals in der Woche übte sie mit ihrem Schützling, der in der Berufsschule manches erst nicht verstand, „weil die Lehrer so schnell sprachen“, lernte mit ihm anhand des Unterrichts-Materials und der Kochrezepte und half ihm auch beim Lernen für die Führerscheinprüfung.

Wenn Arfan Suddigi auf die vergangenen sechs Jahre zurückblickt, äußert sich der junge Mann selbstbewusst und sehr differenziert. „Ich bin selbst Flüchtling, aber ich sage auch meinen Landsleuten, die hierher kommen: Du musst, wenn du kommst, einen Plan haben, dein Leben selbst aufbauen wollen. Man kann sich auf den Sozialstaat hier verlassen, aber man muss dafür kämpfen, finanziell auf eigene Füße zu kommen. Miete, Steuern und ein gewisser Wohlstand, alles gehört doch zusammen. Aber nicht alle Flüchtlinge hier haben diesen Wunsch. Und manche verzweifeln schon an der Bürokratie, die einem auferlegt wird.“ In Henriette Trebeljahr habe er „ein Stück Familie gefunden“, sagt Arfan Suddigi. Mit der engagierten evangelischen Christin büffelt er heute nicht mehr Deutsch. Er besucht sie, hilft im Garten, kocht mit ihr, „wir haben einfach viel Spaß miteinander!“ Und Henriette Trebeljahr, die ihm bei Behördengängen weiterhin zur Seite steht, sagt nach diesen Jahren der Begleitung entschieden: „Natürlich muss es menschlich passen, wenn man einem Flüchtling über längere Zeit hilft. Aber über eines müssen sich alle Verantwortlichen der Flüchtlingspolitik im Klaren sein: Man kann nicht zu vielen helfen – es ist ein intensiver ehrenamtlicher Einsatz.“



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