„Man muss dem Zufall huldigen“

Wiebke Knabe vor ihrem Coronabild. Es entstand in einer Zeit, in der viele Menschen ähnlich fühlten wie sie: einsam, eingesperrt, hilflos. Foto: Judith Ulbricht

Steht man in der Alten Kirche in Hornau in der derzeit laufenden Ausstellung von Wiebke Knabe, dann weiß man gar nicht so genau, wo man zuerst hinschauen soll. Die ersten Eindrücke sind überwältigend, denn hier hängen nicht nur einfach Gemälde an den Wänden, nein, die kleine Kirche scheint zu leben, zu atmen ob der vielen verschiedenen Kunstwerke, die jedes in seiner Art und Weise einzigartig sind. „Zwischen Traum und Realität“ lautet der Titel der Ausstellung und er hält, was er verspricht. Schon am Eingang schaut man auf Arbeiten, die einen zweiten und dritten Blick verlangen. Denn Wiebke Knabe hat in ihnen Fotografie und Malerei vermischt – Crossover nennt sie es. Anstoß für diese Art von Gemälde gab eine Reise nach New York. Vor einem Schaufenster stehend, spiegelte sich die Architektur der Häuser von der gegenüberliegenden Straßenseite im Fensterglas, innen eine teure Robe und Bildschirme, die Pferde zeigten. Eine Komposition von verschiedenen Eindrücken. Wiebke Knabe drückte auf den Auslöser, und die Idee war geboren. Wieder daheim hob sie mit Malerei Details hervor, stellte verschiedene Posen des Pferdes in den Vorder- oder Hintergrund, über allem die Architektur der Häuser thronend. Die Künstlerin arbeitet mit vielen verschiedenen Materialien. Gelegentlich macht sie Entwürfe zu ihren Gemälden, „doch häufig bekommen dann die großen Formate eine gewisse Eigendynamik beim Malen“, gesteht Wiebke Knabe. „Es setzen sich andere Eindrücke und Ideen durch, die wirklich erst beim Malen entstehen.“ Die Fotografie ist in diesem Fall ihre Realität, sie ist echt, hält einen Augenblick fest. „Für mich besteht der Reiz darin, dieses Träumerische, von der Realität Entkoppelte, reinzubringen.“

Ein großer Kontrast dazu ist ihr „sogenanntes“ Coronabild. Im März vergangenen Jahres hatte sie damit begonnen. Ein überwältigend starkes Gefühl von Eingesperrtsein hatte sich in ihr breit gemacht und suchte nach einem Ausweg. Es entstand ein fast symbolhaftes Gemälde – auf rotem Untergrund mit schwach durchschimmerndem Sonnenschein steht ein Käfig. Die Gitterstäbe ragen in den Himmel, ein Mensch klettert hinauf, bricht das Gestänge auf und drängt nach außen. Ein Aufbruch, ein Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten.

Seit 30 Jahren malt Wiebke Knabe und probiert sich doch immer wieder aus, geht an Grenzen, überschreitet sie. Sie erschafft Gemälde mit Farbschüttungen, die ihre ganz eigene Dynamik haben. Denn jede Schüttung braucht eine geometrische Form als Gegenpart. „Es ist so eine Art Ping-Pong, jede Aktion erfordert eine Reaktion“, erklärt sie ihren völlig freien kreativen Prozess beim Malen. Auch Wachs ging schon durch ihre Hände und auf Leinwände. Halbtöne arbeitet sie damit heraus und entdeckt dabei immer wieder die Veränderung der Realität. „Man muss dem Zufall huldigen“, so ihr Credo. Zufälle annehmen und damit arbeiten. „Ich habe schon etliche Felder bespielt und agiere nach Lust und Laune.“

Wer sich davon überzeugen möchte, muss sich beeilen. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Oktober geöffnet, Samstag und Sonntag von 11-13 Uhr und von 15-18 Uhr.



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