Schneidhain (nd) – Wenn man das bekannte Bild benutzt, dass die Menschen mit den Füßen über die Beliebtheit einer Veranstaltung abstimmen, dann lieferte das vergangene Wochenende einen eindeutigen Beweis, wie populär und zeitlos die Schnaademer Kerb ist. So viele feierfreudige Gäste wie in diesem Jahr waren zuvor selten nach Schneidhain gekommen, um die althergebrachte Kirchweih zu feiern. Ausgerichtet wird die Kerb vom Heimat- und Brauchtumsverein Schneidhain (HBV), dem auch die Kerbeborsch und -mädels angehören. Traditionell wird das Fest am Wochenende nach dem Johannistag, dem 24. Juni, gefeiert, denn beide christlichen Kirchen in Schneidhain sind Johannes dem Täufer geweiht.
Kerbegottesdienst zur Eröffnung
Los ging es am Freitag mit dem Kerbegottesdienst im großen Festzelt vor der Heinrich-Dorn-Halle. Den Gottesdienst hielt in diesem Jahr der Pfarrgemeinderatsvorsitzende der Pfarrei Maria Himmelfahrt, Walter Schäfer aus Falkenstein. Er segnete die Kerb und die neue Kerbefahne. Die musikalische Begleitung übernahm der Gesangverein 1893 Schneidhain.
Seit wie vielen Jahren das Kirchweihfest im Ort gefeiert wird, ist nicht bekannt, möglicherweise schon seit Jahrhunderten. Erste schriftliche Erwähnungen einer Kirche im Ort datieren jedenfalls um das Jahr 1200. Im Verlaufe der Reformation wurde Schneidhain lutherisch, später calvinistisch – der „Bergsträßer Rezess“ 1650 ordnete die Konfessionsverhältnisse neu. Schneidhain wurde Kurmainz zugesprochen und war fortan katholisch, allerdings wurde den calvinistischen Protestanten das Recht auf freie Religionsausübung zugesprochen. Das Kirchengebäude wurde in eine Simultankirche umgewandelt – die Protestanten nutzen das Kirchenschiff und die Katholiken den Chor für die Gottesdienste. Im 18. Jahrhundert wurde das Gebäude größtenteils abgerissen und neu erbaut. Die Weihe des Neubaus „An den Geierwiesen“ erfolgte im Jahr 1741, aber ob seitdem die Kerb gefeiert wird? Man weiß es nicht. Im 20. Jahrhundert wurde der Kirchenbau zu klein. Die katholische Kirche in der Waldhohlstraße wurde erbaut und im Jahr 1949 geweiht. Seither gibt es zwei Kirchen, aber eine Kerb und einen ökumenischen Kerbegottesdienst.
Party mit DJ Oli
Magnet für das jüngere Publikum ist der Discoabend am Freitag. Inzwischen ist es schon zu einer festen Tradition geworden, dass der Zweite Vorsitzende des HBV, Oliver Ernst, als DJ Oli die Musik auflegt bzw. heutzutage streamt. Neben den Schnaademer Kerbeborsch und -mädels waren außergewöhnlich viele Kerbegesellschaften gekommen. Die Kerbeborsch aus Mammolshain, Neuenhain, Altenhain und Heftrich zählten zu den rund zwanzig Kerbegesellschaften, die sich die Ehre gaben. Zu den neuesten Hits und gängigen Partyknallern wurde ausgelassen getanzt, gesungen und gelacht. Zwischenzeitlich war das Kerbezelt auch von den traditionellen Kerbegesängen der unterschiedlichen Kerbegruppierungen erfüllt.
Aus Immissionsschutzgründen endete das heitere Fest um Mitternacht, was bei vielen Besuchern Unverständnis auslöste. Auf die Auflagen des Hochtaunuskreises hat der HBV allerdings keinen Einfluss – nur unter diesen Vorgaben wurden die Feierlichkeiten überhaupt genehmigt. „Die Besucher werden sich in den kommenden Jahren auf die neuen Zeiten einstellen – wir werden uns aber auf keinen Fall auf ein Ende vor 12 Uhr nachts drücken lassen“, erklärte Ernst.
Pünktlich zum traditionellen Kerbeumzug trafen sich die Kerbeborsch und -mädels um 15 Uhr in der Johanniswaldkurve. Unter Begleitung der Egerländer Blaskapelle aus Vockenhausen zogen die 19 Kerbeborsch und -mädels mit der neuen Kerbefahne und – bei der Hitze sinnvoll – mit sehr tief gespritztem Äbbelwoi in den Bembeln durch das Dorf zum Kerbeplatz. Vorneweg wurde der Kerbebaum gezogen, dahinter fuhr der Schlagges im Leiterwagen. Und die Burschen und Mädels mit den weißen Hemden bzw. Blusen sangen: „Wenn wir durch den Ort marschieren, geht der Schlagges uns voraus.“ Für den Umzug entlang der mit Fahnen und Bäumchen geschmückten Häuser wurde sogar die Bundesstraße für gut 20 Minuten gesperrt.
Ein besonderer Dank galt Uwe Gregori, der wie jedes Jahr mit seinem Unimog den Kerbebaum transportierte, und Dirk Ernst, Fahrer des „Schlaggestaxis“, in dem auch einige Mini-Kerbeborsch Platz nehmen durften. Die Schneidhainer und die Zuschauer von außerhalb hatten sich an den Straßenrändern ein Plätzchen im Schatten gesichert, um das kleine Spektakel zu erleben. Zur Abkühlung verteilten die Kerbeborsch von ihrem selbst gekelterten „Ebbelwoi“. Beschweren wollte sich aber keiner, denn vergangenes Jahr hatte es beim Umzug geregnet.
Die Kerbefahne, die von den Burschen und Mädels immer selbst bemalt wird, zierte in diesem Jahr die Kerbeborsch bei der Apfelernte für den „Ebbelwoi“. In Gedanken sind sie dabei schon bei der Kerb, deswegen zeigten große Gedankenblasen den Autoscooter und was eben sonst noch typisch für die Schnaademer Kerb ist.
Eine große Aufgabe hatten sie aber noch zu bewältigen: Nachdem sie den Schlagges am Kerbebaum gut befestigt hatten, damit dieser noch drei Tage über die Kerb wachen konnte, hieß es, die Fichte in die Senkrechte zu bewegen. Das geschieht in Schneidhain noch traditionell mit Muskelkraft per Stangen und nicht wie mancherorts mit einem Teleskopkran, der den Baum ganz einfach nach oben zieht. Aus Sicherheitsgründen war Andi Glossner mit seinem fast schon historischen Feuerwehr-Drehleiterwagen vorgefahren, den er zusammen mit Compagnon Peter Kiesow privat besitzt. Glossner nahm den Baum an den Haken – „nur zur Sicherung, falls die Stangen versagen“. Was nicht passierte. Die aktuellen und einige Alt-Kerborsch schafften das Aufrichten mit großer Mühe und einigen Anläufen selbst – auch wenn der Schweiß in Strömen floss.
Bongaz live
Ab 20 Uhr sorgte die Band „Bongaz“ wieder für den perfekten Abend. Die Party- und Coverband spielt nun schon seit vielen Jahren samstags auf der Schnaademer Kerb. „Sie sind einfach eine absolute Bank für Partystimmung. Die Bandmitglieder freuen sich auch schon immer auf die besondere Atmosphäre in Schneidhain“, erklärte Oliver Ernst. Schnell war die Stimmung im Zelt auf dem absoluten Höhepunkt; sogar einige Standardtänzer fanden sich ein. Auch die Besucher genossen diese besondere Atmosphäre sehr. „Ich finde es toll, dass so viele Alteingesessene da sind – die Stimmung ist einfach super“, freute sich die Schneiderhainerin Jenny Klinger. Judith Gregori pflichtete ihr bei: „Es ist richtig schön – die Kerb ist immer das Highlight im Ort.“ Auch wenn es später einen üblen Zwischenfall gab (s. Kasten).
Traditionsreicher Sonntag
Der Sonntag dürfte wohl der traditionsreichste Tag der Kerb sein. Los ging es um 10 Uhr mit dem Weckruf der Kerbeborsch. Mit Pauken und Trompeten zogen diese durch Schneidhains Straßen, damit die Besucher rechtzeitig zum Frühschoppen auf dem Kerbeplatz vor der Heinrich-Dorn-Halle eintreffen konnten. Dort erwartete die Gäste erneut die Egerländer Blaskapelle. Bei „Dickebackenmussig“ und der traditionellen Erbsensuppe genossen die Besucher den heißen Sommertag. Der Nachwuchs drehte zufrieden eine Runde auf dem Kinderkarussell, versuchte sein Glück beim Entenangeln oder unternahm eine rasante Fahrt mit dem Autoscooter.
Ein besonderer Höhepunkt war der Auftritt der Kinderballetts des HBV. Die „Lollipops“ und die „Sweet Angels“ zeigten ihre tollen Mottotänze, die sie schon bei der Karnevalssitzung vorgeführt hatten.
Vereine teilen sich Ausschank
Für die Verpflegung war an diesem Wochenende ebenfalls bestens gesorgt. Neben Bratwürsten gab es saftigen Spießbraten und Crêpes. Fehlen durfte natürlich auch nicht der Äbbelwoi von der Apfelschmiede Neuenhain. Da man sich im Ort und in der Stadt Königstein gegenseitig hilft, wurde der Dienst hinter der Theke aufgeteilt. Während am Freitag und am Montag die Mitglieder des HBV und die Kerbeborsch selbst Hand anlegen, übernahmen am Samstag die Mammolshainer Kerbeborsch den Ausschank. Am Sonntag wurde der Schankdienst von Freunden des Vereins übernommen – dem Ersten Stadtrat Jörg Pöschl dem Vorsitzenden der Plaschis Daniel Georgi und dem aktuellen Träger des WoogBachWasserBaaBambeler-Ordens, Walter Schäfer.
Schlagges zu Grabe getragen
Am Montag wurde noch ein wenig auf der After-Work-Kerb gefeiert, bevor der Schlagges schließlich feierlich zu Grabe getragen wurde. Zunächst musste aber der Kerbebaum gefällt und dann von den Kerbeborsch und -mädels in handliche Stücke zersägt werden. Denn der Baum wird jedes Jahr versteigert und zumindest innerhalb Schneidhains auch persönlich von den Kerbeborsch geliefert. Moderiert wurde die Versteigerung vom neuen „Kerbevadder“ Moritz Grafe, Sohn der ersten Vorsitzenden des HBV, Christine Grafe-Vidakovich. Er übernimmt das Amt von Florian Selg, der letztmals der Anführer der Kerbeborsch war. „Der Baum, eine Fichte, ist 45 Jahre gereift, um das Beste zu werden, was ein Baum werden kann – ein Kerbebaum“, so Moritz. Sein Wunsch, dass der Baum in Schneidhain bleibt, wurde erfüllt. Nachdem ein regelrechtes Bietergefecht entbrannt war, bekam Familie Stahl den Zuschlag. Dabei ging es nicht darum, das höchste Gebot abzugeben, sondern kurz vor Ende des Coutdowns das letzte Gebot zu platzieren.
Der große Dank der Kerbeborsch und -mädels galt den Mitgliedern und dem Vorstand des HBV, auf deren Unterstützung sie immer zählen können. Eine gute Zusammenarbeit, die auf Gegenseitigkeit beruht. „Danke, dass Ihr hier wart und mit uns gefeiert habt – vielen Dank auch an die Kerbeborsch“, so Lisa Büttner, Schriftführerin des HBV.
Die Predigt auf die Kerb und den Schlagges hielt Kerbepfarrer „Padre Marco Montana“. Unter großer Erheiterung betrauerte er mit dem Publikum das Ableben des Schlagges. Dieser sei kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern Symbol und Legende. Ein großes Lob richtete der Kerbepfarrer im rot-schwarzen Fastnachts-Talar an die Kerbeborsch und -mädels. „Ihr seid Herz, Puls und Seele dieser Kerb – die Kerb lebt durch Euch – das ist Grund genug, nicht traurig zu sein, sondern dankbar und durstig“, so Montana. Für viel Gelächter sorgten auch die Fürbitten an den „Äbbelwoigott“. Schließlich wurde der Schlagges unter lautstarkem Geheule dem Feuergrab übergeben.
Eine schöne und erfolgreiche Kerb, ganz im Zeichen der Tradition, neigte sich dem Ende zu. Der HBV blickt zufrieden zurück. „Die ultimative Hitze hat positiv zur Stimmung beigetragen – vor allem die Disco am Freitag war grandios“, erklärte Oliver Ernst – erschöpft, aber glücklich.