Kein Morgen in Sicht – Palmyra, die zerstörte Ruinenstadt

West-östlicher Dialog in vollem Gange: SPD-Bundestagsabgeordnete Ilja-Kristin Seewald, Hans Puttnies, Autor und Regisseur des Essay-Films über Palmyra, im Gespräch mit einem Geflüchteten aus Syrien, der orientalisches Gebäck und Tee anbot. Andrea Poerschke (SPD) moderierte die Filmmatinee, im Hintergrund Fraktionsvorsitzender Christoph König.

Foto: Sura

Kronberg (aks) – Die SPD hatte am Sonntagmorgen den renommierten Autor und Filmemacher, Prof. Dr. Puttnies, nach Kronberg eingeladen, der in den auverkauften Kronberger Lichtspielen, gemeinsam mit Vertretern der SPD, zum vierten Mal die Ausstrahlung seines Films erlebte. Herzlich begrüßte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Poerschke die zahlreichen Gäste und wies auf das Schicksal der Geflüchteten hin, die ihre Heimat verloren haben, hin. Sie sehe es als gutes und sinnvolles Ziel, das Ankommen in einer neuen Heimat, in Kronberg, zu ermöglichen. Mit dabei war auch Bundestagskandidatin Ilja-Kristin Seewald, die früher aufbrechen musste, um pünktlich beim Benefizlauf in Königstein aktiv dabei zu sein, bestens gestärkt von arabischen Süßigkeiten und Tee, die die Familie von Dr. Talaat Said, Koordinator der Flüchtlingshilfe Kronberg, mit Flüchtlingen vor der Vorstellung anbot.

Hans Robert Philippi, ehemaliger Integrationsdezernent der Flüchtlingshilfe Kronberg, SPD-Fraktionsvorsitzender Christoph König und sein Stellvertreter, Wolfgang Haas, waren ebenfalls anwesend. Der Eintritt ins Kino war frei, eine Spendenbox wurde mit 840 Euro großzügig gefüllt.

„Zerstöre die Kultur eines Volkes und es ist, als hätte es nie existiert“, das ist die Einsicht der amerikanischen „Monuments Men“, die am Ende des Zeiten Weltkrieges die Kunstwerke des Westens vor der Zerstörung der Nazis retten sollten. Palmyra, die antike Oasenstadt in Zentral-Syrien, geriet 2015 in die Schlagzeilen, als der sogenannte Islamische Staat dort den 82-jährigen Chefarchäologen erhängte und den Beel-Tempel sprengte. Wie durch ein Wunder blieb das 15 Meter hohe Portal stehen. Diese Barbarei, die Puttnies in seinem sehr engagierten Essay-Film thematisiert, geht nicht nur unter die Haut – er schmerzt. Diesen Film, der letztes Jahr in einzelnen Kinos, auch in Frankfurt, gezeigt wurde haben drei Personen realisiert: Hans Puttnies, emeritierter Professor für Kommunikationsdesign in Darmstadt, seine Ehefrau Sigrid Brügel-Puttnies, Produktion mit ihrer Firma Zentralpark, und Daniel Kirschbaum, verantwortlich für Schnitt und Sound. Die Aufnahmen entstanden 2008, als Puttnies mit einer Freundin, der Witwe des Archäologen Heinz Kähler, den historischen Ort bereiste und mit seiner Kamera die Ruinen dieser einst prunkvollen Stadt festhielt – Aufnahmen eines Palmyra, das es so nicht mehr gibt, ein wertvolles Zeitdokument. Diese historische Stätte zählt seit 1980 zum UNESCO Welterbe und kämpft seit seiner Entstehung nicht nur gegen den Verfall durch Witterung, Plünderung und Vernichtung, sondern auch gegen Klischees, die diese Stadt zu einem Sehnsuchtsort machten – sogar Atlantis vermutete man hier. Das heutige Tadmor wurde durch zwei Quellen inmitten der Wüste als Karawanenstraße zu einer reichen Stadt. Die Römer gaben ihr den Status einer „Colonia“ und Palmyras Händler entlang der Seidenstraße verkauften ihre Luxusgüter in der ganzen Welt. Der Beel-Kult hielt sich bis in die Spätantike: der Beel-Tempel war das Zentrum dieses lebhaften Orts, an dem sich griechisch-römische und auch orientalische Elemente vermischen. Im 4. Jahrhundert wurde es Bischofssitz, doch da war der Prunk bereits verblüht. Architektur-Zeichnungen der Ruinenstadt sorgten im Europa des 18. Jahrhunderts für Aufsehen und schufen einen neuen Trend in der klassizistischen Architektur. Mit kolorierten Postkarten verbreitete sich in Windeseile ein Wüsten-Idyll, das zur Legendenbildung beitrug – postfaktisch sozusagen. Palmyras Verfall wurde vor allem wegen der stimmungsvollen Zeichnungen von Cassas romantisiert und zu einer „zeichnerischen Fata-Morgana“. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschien es wie eine Szene aus 1001-Nacht – mit dem Alltag der Menschen, die dort lebten hatte das nicht viel zu tun. Die realen Fotos von Bonfils zeigten später die wahre Zerbrechlichkeit, aber auch das Leben in den Ruinen.

Puttnies Kamera wackelt im grellen Tageslicht und fängt die „versteinerte Zeit“ ein. Der Tempel, der dem Gott Beel geweiht wurde, „von Gigantenhand hingewürfelt“, steht heute nicht mehr. Der IS ist für diesen Frevel verantwortlich, vorher und nachher auch das Assad-Regime von Vater und Sohn. Im angrenzenden Ort Tadmor wurden in den Foltergefängnissen der Regierung 20.000 Männer ermordet. So steht Palmyra nur noch ein Schatten des einstigen Glanzes. Und wir staunen „über den Schatten“: Puttnies’ Film, zeigt eine vergangene Pracht, deren Urzustand wir in unseren Köpfen zu rekonstruieren versuchen. Puttnies: „Es gibt keine Geschichte, nur ehemalige Gegenwart, die immer wieder neu aus den Spielkarten konstruiert wurde.“

Die Vergangenheit zu stilisieren sei ein Denkfehler, denn die Antike von damals ist immer auch „von unserer Zeit umhüllt“. Heute ist Palmyra ausgestorben, die Touristenbusse gibt es nicht mehr und das lebendige kleine Dorf Tadmor inmitten der Ruinen ist kaum noch belebt. Einige Menschen dort sind nach Europa geflüchtet. Tempel und Götter beherrschen die gespenstische Szenerie, Menschen gibt es hier nicht mehr. Puttnies beeindruckt die Vielzahl der Götter und das Nebeneinander der Stämme und Religionen, der Tempel, Kirchen, Moscheen. Einst herrschte hier ein friedliches Miteinander. Er lobt ausdrücklich das Buch des deutschen Archäologen Theodor Wiegand über Palmyra von 1932, das bis heute unübertroffen ist. Übrigens begleitete ihn auch Kaiser Wilhelm II. bei seinen Expeditionen. In dieser Zeit gelangten erstaunlich viele Reliefs in den Louvre und die Eremitage in St. Petersburg. Palmyra wurde zum Lehrstück für das Bürgertum. 1930 wurden die Einwohner wegen der Ausgrabungen umgesiedelt. Daniel Schlumbergers Werk „Syria“ erhöhte die Beliebtheit und Bekanntheit und so kam der erste Tourismus in Gang. Der Bruch – auch im Film – kommt mit dem Krieg in Syrien und so sind die Ruinen, als Zeugen einer besseren Zeit, heute tot und es wird eine übermenschliche Energie, Zeit und Geld nötig sein, um sie wieder zu beleben und um dem Land Syrien und der Welt seine und unsere Kultur zurückzugeben.

Die positive Resonanz machte deutlich, dass es Puttnies sehr eindrucksvoll gelungen ist, Palmyra nicht nur als antikes historisches Monument, sondern auch als Begegnungs- und Lebensraum für die Generationen in der Gegenwart darzustellen. Die Zuschauer wurden so für die menschlichen Schicksalsschläge sensibilisiert, die durch die Zerstörung dieser Stätten des Weltkulturerbes verursacht wurden. Der Terror des IS und die Brutalität des syrischen Bürgerkriegs hat auch in Palmyra (bzw. Tadmor) wie in anderen umkämpften Gebieten Syriens einen erheblichen Teil der Einwohner zu Flüchtlingen gemacht. Hans Robert Philippi berichtete, dass einige von ihnen in Kronberg Zuflucht gefunden haben: 25 der 151 Geflüchteten, die die Burgstadt aufgenommen habe, stammen aus Syrien. Bei der Aufnahme der Flüchtlinge sei nicht nur Deutschland allein, sondern die Europäische Union insgesamt gefordert. Puttnies stimmte dem zu, bemerkte aber, dass Deutschland aufgrund seiner historischen Erfahrungen mit politisch Verfolgten eine besondere Verantwortung zukomme. Schließlich wäre es nicht nur für Kommunisten, sondern auch für Sozialdemokraten aus Deutschland in der Zeit des Nazi-Terrors lebensrettend gewesen, dass die Nachbarländer ihnen bereitwillig Asyl gewährten. Dr. Talaat Said sieht die USA und Russland gefordert, sich auf einen Weg zur Befriedung des Landes (ohne Bashir al-Assad) zu einigen. Dies sei gewiss wünschenswert, meinte Puttnies dazu, doch gebe es derzeit keine Anzeichen für eine Verständigung unter den Supermächten. Ermutigendes wusste er nur aus seinem privaten Umfeld zu berichten. Mohammad, ein Andenkenhändler, den er vor neun Jahren für seinen Film interviewt hatte, ist die Flucht nach Dänemark gelungen. Dem 24-jährigen Syrer will Puttnies einen Traum erfüllen und ein Studium finanzieren.



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