Epinay-Platz reicht für Demo nicht aus

Der Treffpunkt für die Teilnehmer der Demo ist der Bahnhofsvorplatz. Von dort aus ziehen sie mit Schildern und Gesängen durch Adenauerallee, Liebfrauenstraße und Feldbergstraße bis hinauf zum Epinay-Platz.Foto: gt

Von Graham Tappenden

Oberursel. Seit dem Bekanntwerden des geheimen Treffens in Potsdam, bei dem eine sogenannte „Remigration“ geplant gewesen sein soll, gehen in Deutschland immer mehr Menschen auf die Straße, um gegen Rechtsextremisten und den Rechtsruck in der Gesellschaft zu demonstrieren. Am Freitag war es auch in Oberursel soweit. 40 lokale Institutionen hatten sich zusammengeschlossen, um unter der Federführung von „Fridays for Future“ zu demonstrieren. Angemeldet wurde die Demonstration von Dr. Claudia von Eisenhart Rothe.

Am Bahnhof wurde rasch eine provisorische Bühne aufgebaut, und nach der Begrüßung durch Clara Ehrmann („Fridays for Future“) stellte Elke Lieder die neue Taunusgruppe „Omas gegen Rechts“ vor. Aber auch „Opas gegen Rechts“ waren zu sehen sowie eine Reihe anderer Fahnen und Plakate, unter anderem von der evangelischen Kirche, dem Bund der Pfadfinder (BdP) und dem VzF Taunus. Auf einem Plakat direkt vor der Bühne stand mit deutlichen Worten: „Jetzt können wir endlich herausfinden, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten.“

„Toll, dass ihr alle hier seid“, sagte Mitorganisatorin Claudia von Eisenhart Rothe, bevor sich die Gruppe um 17.30 Uhr auf den Weg in die Adenauerallee machte. Dabei rief der gesamte Protestzug: „Wehrt euch, leistet Widerstand“ und wurde dabei von der Trommelgruppe „Impuls“ begleitet. „Wenn die AfD die Antwort ist, wie dumm ist dann die Frage?“, war auf einem Schild zu lesen. „Das B in AfD steht für Bildung“ auf einem anderen. „Menschenrechte statt rechte Menschen“ forderte ein weiteres Plakat.

Oben in der Adenauerallee angekommen, stellte man fest, dass die Liebfrauenstraße gar nicht für den Verkehr gesperrt wurde. Die Polizei verhinderte, dass der Verkehr aus der Oberhöchstadter Straße in die Bärenkreuzung einfahren konnte, aber an der Feldbergstraße wurde der Verkehr weiter in die Liebfrauenstraße gelassen, so dass die Demonstranten nur eine Straßenseite nutzen konnten und die Bus- und Taxispur an der Platane verwenden mussten.

Und so kam es, dass eine Minute vor dem Start noch längst nicht alle Teilnehmer auf ihrem Platz waren. „Oberursel, wir haben eine gute Nachricht. Wir passen nicht auf den Epinay-Platz“, rief von Eisenhart Rothe. Tatsächlich mussten viele Teilnehmer auf die Kumeliusstraße und die Vorstadt ausweichen.

Als fast alle Teilnehmer, darunter auch einige Oberurseler Lokalpolitiker, die Feldbergstraße verlassen hatten, sprach zuerst der evangelische Pfarrer Jan Spangenberg. „Manche sagen, die Kirchen sollten unterschiedlichen Meinungen Gesprächsraum bieten. Das ist auch nicht falsch. Aber Rassismus, Antisemitismus, Hass und andere Formen der Menschenfeindlichkeit sind keine politischen Meinungen“, sagte er, und bekam sofort Jubel und Applaus vom Publikum dafür. „Sie sind eine Gefahr für die Demokratie und für unser friedliches Zusammenleben, und deswegen treffen sie uns alle. Nie wieder ist jetzt.“

Andreas Unfried, katholischer Pfarrer, folgte als nächster Redner: „Antisemitismus, Rassismus, das Verächtlichmachen anderer, Lüge und populistisches Kürzen der Wahrheit sind mit christlichen Werten unvereinbar. Darum ist für mich als Christ die AfD schlicht nicht wählbar.“ Er hatte aber auch eine Warnung dabei: „Unser Widerstand darf nicht dazu führen, dass wir selber anfangen zu hassen.“

An dieser Stelle hätte Bürgermeisterin Antje Runge auf der Bühne sprechen sollen. „Sie wollte unbedingt mit eingegipstem Arm kommen“, erzählte von Eisenhart Rothe. Doch dann kam ein grippaler Infekt hinzu und sie musste zu Hause bleiben. Runge habe daraufhin Staatssekretärin Katrin Hechler gebeten, sie überparteilich zu vertreten.

Die ehemalige Kreisbeigeordnete zeigte sich beeindruckt von der großen Menschenmenge auf dem Epinay-Platz. „Ich habe viele Demonstrationen erlebt. Und das, was wir in den vergangenen Tagen erleben, macht wahnsinnigen Mut“, sagte Hechler: „Wir wissen, wohin Wegschauen führt. Wir wissen, wohin es führt, wenn Menschen aufeinander losgehen. Mal sind es die Juden, mal sind es die Muslime, mal sind es die Ausländer allgemein, dann sind es die Schwulen oder andere, irgendwann bleibt keiner mehr übrig. Wir müssen alle zusammenhalten und, wir brauchen jeden Einzelnen.“

Den Verein Windrose vertrat der Vorsitzende Michael Behrent. Er sprach über Rechtsextremismus, demokratische Politik und bürgerliches Engagement. Mit Blick auf Björn Höcke und den rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner sagte er, sie „haben uns zu ihren Feinden erklärt“. Die Beziehung der beiden sei völlig klar. „Sie sind Faschisten, wir nicht!“ Er kritisierte dabei die AfD-Politiker, die sich als konservativ in Interviews bezeichnen und sich als Stimme des Volkes ausgeben. Mit Blick auf die Vereinsarbeit warnte er: „Falls die Blau-Braunen an die Macht kommen, werden sie vielen Vereinen das Leben schwer machen und fordern, dass eine bewährte Praxis geändert wird.“ Das werde die Windrose nicht zulassen. Behrent hatte auch einen klaren Hinweis für Politiker anderer Parteien auf allen Ebenen. Sie sollten die Demonstrationen als Forderung sehen. Politiker müssten auch ihren Job machen und bei der Lösung von Problemen die Zusammenarbeit suchen. „Sprich mehr Klartext. Sag was erreichbar ist und was nicht. Sag was jetzt geht und was später geht. Und nicht tarnen, tricksen, täuschen“, forderte er.

Zum Schluss sprach Behrent die neue Flüchtlingsunterkunft an, die angeblich im ehemaligen Thomas-Cook-Gebäude eingerichtet werden soll, und kritisierte die Politik. „Das ist natürlich wirklich eine Vorlage für alle rechtsextremen Hetzer und alle Leute, die an der Politik verzweifeln.“

Nach einer musikalischen Pause mit Klezmermusik von der Gruppe „Crotchets“, folgte Annette Andernacht von der Initiative Opferdenkmal und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Sie erzählte von Parallelen aus der Geschichte von 1933 und wie die AfD heute agiert. „Wir hatten bei der Errichtung eines Denkmals aus allen politischen Parteien Unterstützung mit einer Ausnahme: natürlich nicht schwer zu erraten: Wir sahen nie einen AfD-Vertreter.“

Als letzter Redner sprach Nasser Djafari vom Verein zur Förderung der Integration Behinderter (VzF Taunus). „Behinderte sind Teil unserer Gesellschaft. Sie benötigen unsere Hilfe und unsere Unterstützung.“ Danach erklärte er, dass die AfD von einer Integration nichts wissen will und sogar im Wahlprogramm stehe, dass man die Integrationsmittel streichen soll. Auch unterscheide das AfD-Programm zwischen „Biodeutsche“, „Passdeutsche“ und anderen. „Ich bin ein Passdeutscher“, sagte Dhafari, auch wenn er seit 70 Jahren hier wohne und sich für die Gesellschaft einsetze.

Das Schlusswort gehörte Sofia Valter von „Fridays for Future“. „Ich wurde 2007 geboren. Als ich sechs Jahre alt war, wurde die AfD hier in Oberursel gegründet. Ein Jahr später war sie im ersten Landtag vertreten. Zu meinem zehnten Geburtstag war sie auch im Bundestag. Heute bin ich 16 Jahre alt, und die AfD ist so stark, so gefährlich und so radikal wie nie zuvor. Ich erzähle das, um zu verdeutlichen, dass meine Generation in einer Zeit aufwächst, in der sie den Aufstieg von rechten und rechstextremistischen Kräften erleben muss.“ Sie warnte vor dem Einfluss von rechten Kräften auf Jugendliche in den sozialen Medien, gleichwohl gebe es in ihrer Generation eine große Sensibilität für Rassismus, Sexismus oder LGBTQ-Feindlichkeit. „Wir wollen nicht in einer Gesellschaft erwachsen werden, in der faschistische Ideologien Fuß fassen können“, sagte Valter: „Wir wollen in einer Gesellschaft erwachsen werden, die bunt und vielfältig ist, in der jeder so leben und lieben kann wie er möchte. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass Hass und Hetze, Gewalt und Rassismus in Oberursel keinen Platz haben!“, rief sie zum Abschluss, bevor die Demonstranten spontan begannen, „wir wollen Frieden für alle“ zu singen.

Laut Veranstalter waren rund 3500 Teilnehmer bei der Kundgebung auf dem Epinay-Platz und damit deutlich mehr als die zuvor rund 800 angekündigten Teilnehmer. Die Polizei sprach von knapp 1500.

Wer am Freitag nicht dabei sein konnte, sich die Reden aber noch gerne anhören möchte, kann sie auf YouTube über den Link aufrufen: obu.li/niewieder abrufen.

Weitere Artikelbilder



X