Buchtipp

„Das Dämmern der Welt“ von Werner Herzog,
Hanser 2021, 19 Euro

Nein, es ist kein neuer Film des Magiers des Autorenkinos. Werner Herzog hat nach 17 Jahren wieder einen Roman geschrieben. Doch wenn man das Buch liest, sieht man vor dem inneren Auge gleichsam einen Film ablaufen. Im Jahr 1997 weilt Herzog in Japan, um eine Oper zu inszenieren. Da kommt während eines Abendessens die Nachricht, dass der Kaiser den Regisseur zu einer Privataudienz einlädt. Ohne darüber nachzudenken lehnt Herzog ab – ein unverzeihlicher Fauxpas! In die darauffolgende beklemmende Stille hinein fragt jemand, wen, wenn nicht den Kaiser, Herzog denn in Japan wolle. Spontan antwortet dieser: „Onoda!“. Herzog trifft ihn und wird schließlich diesen Roman über ihn schreiben. Onoda ist in Japan eine nationale Ikone. Er ist der Mann, der seinem Befehl, die Insel Lubang bis zur Rückkehr der kaiserlichen Truppen durch Guerillakriegsführung zu verteidigen, von 1944 bis zum Frühjahr 1974 unbeirrbar gefolgt war. Herzog gelingt es, die 30 Jahre, die Onoda mit drei weiteren Soldaten im Dschungel verbracht hat, auf poetische Weise sinnlich erfahrbar zu machen. Er verzichtet dabei auf jede Bewertung der Männer, sondern konzentriert sich ganz auf die Natur, die den einsamen Kämpfern ihren Rhythmus vorgibt. Die letzten beiden Jahre wird Onoda allein im Urwald verbringen, getreu einem ungeschriebenen Ehrenkodex, der Realität entrückt und doch eins mit der Welt, die ihn umgibt. Dabei wird er für die Bewohner zu „dem Geist im Wald, von ihm wird nur im Flüsterton gesprochen.“ Herzog lässt uns in seinem Buch tief in das Herz einer anderen Welt blicken. Unbedingt lesenswert! Erhältlich in allen Buchhandlungen.



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