Frauen zeigen sich kämpferisch –„Wir müssen wieder anfangen, uns für unsere Rechte einzusetzen!“

Kronberg (mw) – Zum Internationalen Frauentag trafen sich in Kronberg über 200 Frauen und Männer in der Stadthalle auf Einladung der AG Kronberger Frauenverbände und der Stadt Kronberg. Anlass ist jährlich die Verleihung des Kronberger Frauenpreises und zum zweiten Mal in Folge Dank der Unterstützung des Zonta Clubs Kronberg-Bad Soden auch die Verleihung eines Nachwuchspreises. So standen denn Charlotte Engel, die den Kronberger Frauenpreis erhielt, und Svenja Appuhn als Nachwuchspreisträgerin im Mittelpunkt, deren engagiertes Wirken für die Gemeinschaft im vergangenen Kronberger Boten bereits ausführlich beleuchtet wurde. Aber nicht allein auf sie, sondern anlässlich des Internationalen Frauentags, wurde der Blick auch auf die Veränderung des Frauenbildes und der Gesetze im Laufe der Zeit gelenkt.

Kämpferische Frauen

Der Festabend mit seinen Preisträgerinnen war eindrucksvoll und bewegend im zweifachen Sinne: Denn die Frauen, die sprachen, die Vorsitzende der AG Kronberger Frauenverbände Christina Nicolai, Heike Stein von der städtischen Gleichstellungsstelle und die Nachwuchspreisträgerin Svenja Appuhn, sie zeigten sich kämpferisch an diesem Abend.

Ein großer Teil junger Frauen halte Feminismus heute für veraltet und überflüssig, bemerkte Nicolai eingangs. Weil das so sei, und heute mit Svenja Appuhn auch eine junge Frau geehrt werde, fanden es Nicolai und Stein wichtig, sich Zeit für einen Rückblick auf die Veränderung der Gesetze und des Frauenbildes in der Gesellschaft zu nehmen. Die Veränderung begann mit dem BGB, das 1900 in Kraft trat. Darin stand: „Dem Mann steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu.“ Die Vorsitzende erinnerte an mehr als 100 weibliche Reichstagsabgeordnete, die nach Einführung des Frauenwahlrechts ab 1920 gewählt wurden. „Sie setzten sich stark für die Belange der Frauen ein.“ Ihre Themen seien jedoch von den männlichen Kollegen oft als „Weiberkram“ abgetan worden. Mit dem Nationalsozialismus wurde schließlich das Bild einer emanzipierten, arbeitenden Frau wieder zurückgedrängt, politische oder gesellschaftliche Organisationen wie die Frauenbewegung verboten. „Frauen sollten möglichst viele Kinder gebären und sich dem Mann unterordnen. Der Mann hatte die Rolle des Ernährers und Beschützers“, rekapitulierte Nicolai. Nach dem Krieg waren es die Trümmerfrauen, die die Kriegsverwüstungen hauptsächlich allein beseitigten. Sie erhoben ihren Anspruch, am Aufbauprozess beteiligt zu werden: „Noch vor der Wiedergründung der Parteien entstanden die sogenannten Frauenausschüsse, die die Gleichberechtigung als selbstverständliches Menschenrecht ansahen“, erinnerte sie. Der größte Meilenstein der Frauen in der Nachkriegszeit sollte die Aufnahme des Satzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz werden. Damals war es die Juristin Elisabeth Selbert als eine der nur vier weiblichen Abgeordneten des parlamentarischen Rates, die das für die Frauen durchsetzte.

Doch diese Gleichberechtigung existierte zum Teil nur auf dem Papier: Bis 1977 waren die Frauen gesetzlich „zur Führung des Haushalts verpflichtet“, erst ab 1962 durften sie auch ein Bankkonto eröffnen, immerhin seit 1962 ohne Zustimmung ihres Ehemannes oder Vaters den Führerschein machen: Die ARD-Sendung „Frau am Steuer“ von 1975, die Nicolai und Stein für die Versammelten einspielten, sorgte für Lachtränen im Saal, aber auch für ungläubiges Kopfschütteln über das Frauenbild, das damals herrschte. Die Frau als Lustobjekt und emotional so stark gelenkt, dass sie eigentlich nicht hinters Steuer gehört, ganz abgesehen von ihrer technischen Hilflosigkeit.

Der Kampf musste also weitergehen: 1971 kämpften junge Frauen für die Gleichheit und Freiheit auch im sexuellen Bereich. In der Zeitschrift „Stern“ gestanden 374 Frauen, abgetrieben zu haben. Initiiert worden war die Aktion von der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. „Es gab keine Verurteilung, obwohl die Frauen gegen geltendes Recht verstoßen hatten. Das Gesetz wurde 1974 geändert“, führte die Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Kronberg aus. Die Weiterentwicklung des gleichen Rechts für Mann und Frau führt bis zu uns heute – und ist noch lange nicht abgeschlossen. Das machten die beiden Frauen mit ihren Beispielen unmissverständlich deutlich: Ein Zurücklehnen ist noch lange nicht angesagt! Beispielsweise ist seit 2000 erst durch eine Klage einer Frau das Soldatengesetz geändert worden: Seitdem sind Frauen erst alle Laufbahnen bei der Bundeswehr eröffnet worden.

Noch bis 1997 galt „als Vergewaltigung ausschließlich der erzwungene außereheliche Beischlaf“, erinnert Nicolai. Erst mit der Strafrechtsreform stehen alle erzwungenen – auch ehelichen – sexuellen Handlungen unter Strafe. Doch es gibt immer wieder Nachbesserungsbedarf: So mussten die Politiker nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015 feststellen, dass das, was die Männer dort taten, nämlich Frauen an den Busen oder zwischen die Beine fassen, in den meisten Fällen gar nicht strafbar war. Auch der Straftatbestand der sexuellen Nötigung bedurfte dringend der Reform: denn „sexuelle Handlungen“ seitens des Täters mussten „erheblich“ sein, um strafbar zu sein. Heike Stein dazu: „Seit 2016 heißt es nunmehr im Gesetz: „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Dazu zähle nun auch das sexuelle Grabschen. Zwar sei Gewalt gegen Frauen als gesamtgesellschaftliches Problem dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit kein Tabuthema mehr, auch ein Hilfssystem sei aufgebaut, doch es fehle deutlich an finanziellen und personellen Ressourcen für den niedrigschwelligen Zugang in Beratungsstellen und die verlässliche Strukturförderung der Frauenhäuser in den Städten und Kreisen, schlug Stein den Bogen zurück in den Hochtaunuskreis.

„Tatsache ist“, so fasste Nicolai zusammen und wendete sich damit wieder den jungen Menschen, die der Einladung zur Frauenpreisverleihung am Internationalen Frauentag in die Stadthalle gefolgt waren, zu, „wenn sich Verhältnisse zwischen Männern und Frauen weiter ändern sollen, muss auch die heutige Generation der Realität ins Auge blicken: Frauen und Männer sind in der Realität nicht gleichberechtigt, auch wenn es auf dem Papier so aussieht. Und daran wird sich nichts ändern, wenn wir Frauen nicht wieder anfangen, uns für unsere Rechte einzusetzen“, warb sie dafür, selbst aktiv zu werden. Es sei wieder mehr Feminismus nötig in Deutschland und „zwar vor allem in den Köpfen, im individuellen Handeln, in zwischenmenschlicher, beruflicher und politischer Hinsicht.“ Dabei ging es ihr nicht darum, den alten Geschlechterkampf wieder aufleben zu lassen. „Wir können als Frau unsere kurzen Röcke anlassen und Männer können sich auch mal einen Knopf annähen lassen, ohne dass das zum Politikum werden muss“, meinte sie. Das feministische Denken, das heute gebraucht werde, bemühe sich vielmehr um Formen des Umgangs, in denen Frauen und Männer zwanglos, aber tatsächlich gleichberechtigt leben könnten. Dafür brauche es wieder mehr Solidarität der Frauen untereinander, aber auch zwischen den Geschlechtern.

An dieser Stelle kam Svenja Appuhn gerade recht ans Rednerpult: Zunächst malte jedoch Laudator, Studienrat Thomas Brinkmann vom Taunusgymnasium Königstein, ein liebevolles Bild dieser quirligen, energischen jungen Dame: Genau solche jungen, mutigen, energiegeladenen Menschen brauche es, um etwas zu verändern, sagte er. Er beschrieb das Handeln seiner ehemaligen Schülerin, ihre Erfolge, etwas zu bewegen, ihre mitunter unbequemen Fragen, ihr Einmischen en détail und schloss mit den bewegenden Worten: „Liebe Svenja, schmeiß das Schild weg, das Du Dir aus der ersten Stunde aufgehoben hast, auf dem stand, ,ich halte mich mal ein bisschen zurück, andere wollen auch etwas lernen‘. Und, liebe Svenja, lass Dir bitte niemals den Mund verbieten, wenn Du es für richtig hältst, etwas zu sagen.“

Das ließ sich die junge Frau nicht zweimal sagen und hielt eine flammende Rede für ihre Ziele, die sie klar und knapp umriss: Als in der Gesellschaft Privilegierte kämpft sie für Bildungsgerechtigkeit und ein Schulsystem, das nicht nach dem Elternhaus sortiert. „Ich will nicht in einem Land leben, in dem statistisch gesehen ein Mohammed eine viel kleinere Wahrscheinlichkeit hat, eines Tages zu studieren als eine Sophia Viktoria“, erklärte sie unmissverständlich. Und: „Ich kämpfe für mehr Demokratie und Beteiligung in Schulen, Hochschulen und darüber hinaus, weil ich der Überzeugung bin, dass Politik uns alle angeht. Wer sich einmischt, kann nur gewinnen!“, appellierte sie in diesem Zusammenhang an die Kronberger Jugendlichen, sich im Jugendrat einzubringen. Außerdem kämpft sie für Bildungsgerechtigkeit weltweit und gegen den Klimawandel. Ihren Einsatz bei Childaid Network erklärte sie so: „Ich will, dass die kleine Samita aus Bhandar in Nepal, die mit ihren Eltern und ihren Geschwistern unter einem Dach mit Kühen und Ziegen lebt, die davon träumt, eines Tages Ärztin zu weden, dieselben Chancen hat, in die Schule zu gehen und zu studieren, die ich auch hatte.“

Was der Frauenpreis für sie bedeutet? Auch hierauf hatte sie Antworten parat, die den Faden von Nicolai und Stein wieder aufnahm: Es muss weiter gekämpft werden, für die Gleichberechtigung der Mädchen und Frauen mit den Männern, in Deutschland, aber auch weltweit. Zirka 130 Millionen Mädchen können nicht zur Schule gehen“, führte Appuhn aus, alle sieben Sekunden wird auf dieser Welt ein Mädchen zwangsverheiratet und noch immer würden Frauen wegen „Ehebruchs“ gesteinigt. In Deutschland, fügte sie hinzu, und nach 100 Jahren Frauenwahlrecht, gibt es „Benachteiligung der Frauen und Sexismus vor der eigenen Haustür!“ Ganz abgesehen davon liege der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen noch immer 21 Prozent unter dem von Männern.

Sexismus ist allgegenwärtig

Aber besonders wütend macht sie, das war zu spüren, was sie beim Medizinstudium in Hannover schon selbst herausgefunden und erfahren hat: Hier gibt es 70 Prozent studierende Frauen, aber nur 20 Prozent Frauen unter den Professorinnen, drei Frauen unter 35 Chefärzten und einen Chefarzt, über den gesagt wird, dass er stolz darauf ist, dass bei ihm noch nie eine Frau die Facharztausbildung zu Ende gemacht hat.“

Auch sexuelle Übergriffe auf Studentinnen auf Station seien Realität. „Mit alldem muss Schluss sein! Ich will endlich in einer gleichberechtigten Welt leben! Fight Sexism, die Hälfte der Macht den Frauen und denselben Lohn für gleiche Arbeit – und zwar jetzt!“, forderte sie. 217 Jahre würde es beim aktuellen Tempo der Gleichstellungspolitik dauern, bis Frauen überall auf der Welt die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten, erklärte sie ihrem Publikum. „In 217 Jahren leben Sie nicht mehr und da lebe ich nicht mehr – also lasst uns gemeinsam Gas geben in Sachen Gleichstellung!“ Dafür erhielt sie Standing Ovations. „Du hast nicht geredet, sondern uns was gesagt“, bedankte sich Bürgermeister Klaus Temmen bei Svenja Appuhn, bevor der sich Charlotte Engel zuwandte und ihr für ihren Einsatz für die Gemeinschaft den Frauenpreis verlieh. Dr. Ursula Philippi würdigte Charlotte Engels Engagement „in ihrer ruhigen, zurückhaltenden, aber stets offenen und herzlichen Art, als Organisatorin der Service-Gruppe des Altstadtkreises und deren Kassiererin. Du hast häufig den Boden mit bereitet für eine gute und kontinuierliche Zusammenarbeit mit zahlreichen anderen Kronberger Vereinen und der Stadtverwaltung. Das bedeutet Vernetzung, Ausnutzung von Synergien und gemeinsames Handeln zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger.“ Charlotte Engel meistere ihre Service-Gruppe nach dem plötzlichen Tod „unserer unvergessenen Conny Temmen“ souverän alleine. „Ihre“ Servicegruppe stehe für eine erfolgreiche Einbindung zahlreicher Mitglieder des Altstadtkreises in ein soziales Miteinander und erwirtschafte Geldmittel, die zum Wohle der Stadt eingesetzt werden könnten. Und sie brachte es mit Altbundespräsident Joachim Gaucks Worten auf den Punkt: „Ihr seid die Konsumenten. Ihr seid die Bürger, das heißt Gestalter, Mitgestalter. Wem Teilhabe möglich ist und wer ohne Not auf sie verzichtet, der vergibt eine der schönsten und größten Möglichkeiten des menschlichen Daseins, nämlich: Verantwortung leben.“ Und sie schloss ihre Laudatio auf die Frauenpreisträgerin 2019 mit den Worten: „Charlotte Engel hat sich dieser Verantwortung gestellt.“ Ein großes Bild und je eine rote Rose gab es von der großen Service-Mannschaft. „Damit wollen wir Dir sagen, wie sehr wir Dich mögen“, so der Vorsitzende des Alstadkreises, Hans-Willi Schmidt.

Den passenden Rahmen für diese zum eigenen Handeln aufrufende Veranstaltung boten im Foyer verschiedene Vereine und Organisatoren, darunter auch die Kirchen, denn als Ruth Kötter damals, 1983, am Weltgebetstag die Katholischen Frauengemeinschaftsgruppen genauso wie die Evangelische Frauenhilfe einlud, wurde die Idee geboren, eine Veranstaltung über die historische Frauenbewegung zu erarbeiten und gemeinsam anzubieten. Dafür gab es auch Blumen für Ruth Kötter, die sozusagen Gründungsmitglied der AG Kronberger Frauenverbände war, und für Gisela Haak. „Ruth Kötter hat für den Verband der katholischen Frauen und auch für den Verband ,Frauen vernetzt‘ in der Arbeitsgemeinschaft mitgewirkt und diese mit hohem Einsatz vorangebracht“, sagte Nicolai. Gisela Haak war für den Verband ,Frauen vernetzt‘ in der AG. „Mit ihrem klugen Verstand, ihrer Empathie und ihrem diplomatischen Geschick hat sie die Diskussionen in der Arbeitsgemeinschaft stets bereichert und zu konstruktiven Lösungen beigetragen“, würdigte Nicolai den jahrzehntelangen Einsatz von Haak.

Musikalische Akzente an diesem aufrüttelnden Festabend setzten vier Männer vom Musikverein, die sich als „Hama-Quartett“ zusammengefunden haben, und das „Duo Saxodeon.“

Sehr gerührt war die Präsidentin der Zonta-Frauen, Antje Reimann-Manai bei der Verleihung des Nachwuchspreises an Svenja Appuhn. Auf allen Seiten war die Freude groß, diese energiegeladene und tatkräftige junge Frau ehren zu dürfen. V.l.n.r. Heike Stein, Thomas Brinkmann,Christina Nicolai, Antje Reimann-Manai und Svenja Appuhn Foto: Westenberger

Bürgermeister Klaus Temmen (links) und Stadtverordnetenvorsteher Andreas Knoche bei der Preisverleihung an Charlotte Engel Foto: Westenberger

Große Freude über die Ehrung bei den Preisträgerinnen Charlotte Engel (rechts), die den Kronberger Frauenpreis erhielt und Svenja Appuhn (links), die mit dem Nachwuchspreis geehrt wurde. Foto: Westenberger

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