Leserbrief

Unser Leser Dr. Henning Schrader, Merianstraße, Kronberg, schreibt zum Thema Rasenmähen und Umweltschutz Folgendes:
Weil mich gerade wieder einer der ungefähr alle zwei Wochen samstags oder feierabends eingesetzten Rasenmäher in der Nachbarschaft nervt, was sich bei mehreren Nachbarn summiert, scheint es mir angezeigt, diesen Leserbrief zu schreiben: Zu bedenken sind nicht nur der überflüssige Lärm und der vermehrte Wasserbedarf, der gerade dringend eingeschränkt werden muss, bei ständig geschrubbtem Rasen aber nötig ist, um ein völliges Verbrennen zu hindern, vor allem ist auch an den Naturschutz zu erinnern, der bei der häufigen Mäherei völlig aus den Augen verloren wird. Alle Welt redet von Naturschutz. Der Bundesgesetzgeber hat sich in einem Wirrwarr von Vorschriften für den Naturschutz stark gemacht, die Länder sind durch eigene Naturschutzgesetze gefolgt – bei Hessen allerdings vermisst man einen Bußgeldkatalog, darf also sündigen. Aber niemand scheint der Naturschutz zu interessieren, wenn es um die eigenen Belange geht. Die rücksichtslose Freizeitnutzung unserer Natur zeigt dies dramatisch. Ich möchte hier speziell den Vogelschutz thematisieren. Prof. Peter Berthold, Leiter der Vogelschutzwarte Radolfzell, nennt in seinem lesenswerten Buch: „Vögel füttern – aber richtig“, Kosmos-Verlag 2021, jene ständig gemähten Rasenflächen „Psychopathen-Rasen“ und hat damit meines Erachtens einen treffenden Ausdruck gefunden. In diesem Buch finden sich viele statistische Zahlen. Seit 1800 hat sich die Vogelwelt in Deutschland um rund 80 Prozent verringert. Alleine der Bestand des Rebhuhns, das sogenannte Feldhuhn, das ich in den 80er Jahren noch als jagdbares Wild ständig erlebte, ist seit 1950 um 95 Prozent zurückgegangen – nach meiner eigenen Beobachtung schwand es spürbar erst ab 1995. Die sog. Rote Liste umfasst gegenwärtig 580 Seiten, erfasst allerdings auch Pflanzen und andere Tiere. 40 Prozent aller Arten sind derzeit in ihrem Bestand gefährdet. Schuld daran ist die Vernichtung des Lebensraumes und bei den Vögeln das Fehlen der Nahrung. Immer mehr Gelege verhungern – bei mir im letzten Jahr zwei Kohlmeisenbruten mit zusammen sieben nahezu flüggen Vögeln und eine Blaumeisenbrut von vier Jungvögeln, obwohl ich ganzjährig zufüttere. Seit den 50er Jahren sind auf unseren Äckern durch das Giftspritzen rund eine Million Tonnen jährlicher Sämereien verschwunden. Die heutigen Naturschutzgebiete können dies nicht ersetzen. Sie machen knapp 4 Prozent der Landesfläche Deutschlands aus. Prof. Berthold hat aber folgenden Vorschlag: Wenn auch nur ein Zehntel aller Hausgärten (in Deutschland insgesamt laut Prof. B. rund 15.000qkm) naturnah belassen würden, zusätzliche ganzjährige Futterstellen erhielten und absolut katzenfrei gehalten wären (für Großbritannien schätzt der Wild Bird Aid 55 Mio Singvögel jährlich als Opfer freilaufender Katzen, für Deutschland nennt der NABU unglaubhaft hohe Zahlen), dann wäre rund 30 Millionen Brutpaaren geholfen. Ob alle Zahlen so stimmen, weiß man natürlich nicht genau. Aber der Ansatz ist richtig. Und er findet auch in den Gesetzen einen Hebel, den die Verwaltung nur nutzen müsste. Das Bundesnaturschutzgesetz gibt in § 1 Abs 6 die Möglichkeit, Freiflächen im besiedelten Bereich zu regulieren, die Gemeinde könnte hier eingreifen – z.B. wie im Hessischen Landschaftspflegeprogramm für Wiesen vorgesehen, die Maht erst ab 16. Juni zulassen, so wie ja auch der Baumschnitt zeitlich beschränkt ist. Kronberg scheint so mit den Wiesen im Stadtpark zu verfahren. Man könnte es problemlos in die Baumsatzung einfügen. In § 2 Abs 1 BNatSchG heißt es ausdrücklich: „Jeder soll nach seinen Möglichkeiten zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes ... beitragen und sich so verhalten, dass die Natur nicht mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt wird“. Dies sollte sich jeder Garteneigentümer zu Herzen nehmen, auf den Psychopathen-Rasen wenigstens bis über die erste Blüte hinaus verzichten. Es wäre allen geholfen: den Insekten, Sämereien und Vögeln, es wäre Wasser gespart und dem Nachbarn nicht der Feierabend oder das Wochenende durch saudummen Lärm verdorben.



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