Kronberg (pu) – Ihre Sommerferien haben sich die Kronberger Parlamentarier wahrlich verdient, nachdem in der letzten Sitzung vor der Pause neben dem finalen Ringen um die Hauptsatzung und die Magistratsbesetzung (wir berichteten) mit der Bereitstellung weiterer Haushaltsmittel für das Projekt „Offenlegung des Winkelbachs“ ein weiterer diffiziler Punkt auf der Tagesordnung stand.
Auf Dringlichkeitsantrag von Bürgermeister Christoph König (SPD) war an die Stadtverordnetenversammlung die Bitte herangetragen worden, durch Umschichtungen im bestehenden Investitionsprogramm für die Baumaßnahme „Offenlegung des Winkelbachs“, den im diesjährigen Haushalt stehenden Ansatz von 255.000 Euro um 1,3 Milionen Euro auf 1.555.000 Euro zu erhöhen. Die notwendigen Mittel stünden auf der Investitionsmaßnahme „Umbau/Neubau Bahnhofsumfeld“ kurzfristig zur Verfügung. Um es vorweg zu nehmen, für diesen Beschluss votierten 24 Abgeordnete bei drei Enthaltungen und fünf Gegenstimmen der Wähergemeinschaft „Kronberg für die Bürger“ (KfB).
Der bestehende Sperrvermerk für diesen Ansatz wurde von der Stadtverordnetenversammlung aufgehoben; die für die Investitionsmaßnahme „Umbau/Neubau Bahnhofsumfeld“ in diesem Jahr reduzierten 1,3 Millionen Euro müssen 2022 wieder neu zur Verfügung gestellt werden.
Begründung
Die Begründung des Bürgermeisters für diesen Antrag war umfangreich und skizzierte detailliert das bisherige Geschehen. Mit dem Beginn der Baumaßnahmen im Bahnhofsquartier (Baufeld II) war demnach der verrohrte Winkelbach vorübergehend in einen Entlastungskanal verlegt worden. Durch diese Veränderung sei der Bestandschutz des Gewässers erloschen. Die Obere Wasserbehörde des Regierungspräsidiums Darmstadt habe die Offenlegung des Winkelbachs aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) sowie die Herstellung des Gewässers in einen guten ökologischen und chemischen Zustand nach § 27 (2) WHG gefordert.
Diese Forderung vor Augen veranschlagte das Büro aquadrat ingenieure die Gesamtkosten der Baumaßnahme für den ersten Bauabschnitt (Offengelegter Bachlauf vor dem Kammermusiksaal bis Bahnhofsvorplatz am Hotel) aufgrund der vorliegenden Ausführungsplanung auf 1.897.211 Euro brutto. Die ursprüngliche Kostenaufstellung eines anderen Büros (Levin Monsigny Landschaftsarchitekten) aus 2016/2017 belief sich jedoch laut König lediglich auf 613.031 Euro brutto. „Die Mehrkosten sind nicht alleinig durch die allgemeinen Kostensteigerungen zu erklären, sondern liegen insbesondere in den hohen technischen Anforderungen an das Offenlegungs-Bauwerk, welches in der Kostenberechnung der Entwurfsplanung von Levin Monsigny Landschaftsarchitekten nicht hinreichend berücksichtigt worden ist. Zudem wurden Baunebenkosten, Kosten für Unvorhergesehenes und Kosten für weitere Gewerke nicht ausreichend berücksichtigt“, legte der Rathauschef die unerfreulichen Fakten dar.
Daraus resultierend waren zur Sicherung der Finanzierung der Maßnahme verschiedene Umschichtungen im Haushalt zwingend notwendig. Für das Jahr 2020 wurden bei dem Produkt 4-552005 (Unterhaltung von Gewässern) investive Mittel in Höhe von 422.000 Euro (I-417-009) angemeldet. Für Planungskosten und Suchschachtungen seien 56.162,96 Euro ausgegeben worden. Die verbleibenden Investitionsmittel von 365.837,04 Euro sollen vom Magistrat auf 2021 übertragen werden. Außerdem wurden für 2021 die bereits erwähnten 255.000 Euro Haushaltsmittel eingestellt. Es stehen deshalb im Ergebnis dieses Jahr rund 620.800 Euro zur Verfügung. Somit ergab sich ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf von 1.276.411 Euro, der durch die Umschichtung der Mittel aus der I-Maßnahme I618-007 Produkt 6-541003 (Umbau/Neubau Bahnhofsumfeld) gedeckt werden soll. Diese Mittel werden nach dem derzeitigen Zeitplan erst im Jahr 2022 benötigt. Grundlage für die Ausschreibung der Bauleistung – die nach Forderung des Regierungspräsidiums im Herbst 2021 erfolgen soll – und die Bewilligung der Fördermittel war jedoch die unverzügliche Bereitstellung der benötigten Mittel im Haushalt.
Hohe Förderquote
Wie der Bürgermeister weiter ausführte, wird aufgrund der hohen Förderquote die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt durch die Bereitstellung der Haushaltsmittel nicht beeinträchtigt. Zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie fördere die Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen (WI-Bank) die Herstellung naturnaher Gewässer nach § 25 Absatz 4 HWG. Die geplante Maßnahme sei bis zu 95 Prozent der anrechenbaren Kosten förderfähig. In der Regel liege der Fördersatz zwischen 65 bis 85 Prozent. Bei einem angenommenen Fördersatz von 70 Prozent ergäben sich Einnahmen von circa 1.260.000 Euro. Ein entsprechender Förderantrag sei gestellt worden. Der Fördermittelantrag habe jedoch vom Regierungspräsidium wegen der fehlenden Mittelbereitstellung durch die städtischen Gremien bisher nicht an die WI-Bank zur Festsetzung weitergeleitet werden können.
Drohende Gefahr
Diese Gefahr der gravierenden Folgen für die Stadt, die auch sehr kurzfristig einzutreten drohten, waren schließlich Beweggründe genug für den Dringlichkeitsantrag des Bürgermeisters. König zufolge war der Magistrat bereits in seiner Sitzung am 23. November 2020 vom zuständigen Mitarbeiter beim Regierungspräsidium (RP)Darmstadt, Herrn Borrmann, über den Sachverhalt ausführlich informiert worden, der deutlich gemacht habe, dass die Stadt, trotz der enormen Kostensteigerung zur Offenlegung des Winkelbachs, verpflichtet ist und die Finanzierung sicherzustellen hat. Ein öffentliches Interesse, welches die Offenlegung abwenden würde, sei nicht gegeben. Fiskalische Gründe begründeten dieses öffentliche Interesse nicht und stellten auch keine Belange des Gemeinwohls dar, die geeignet wären, einer Offenlegung entgegen zu stehen.
Fatale Folgen
Zum Unverständnis Königs sei sowohl am 19. April als auch am 17. Mai im Magistrat über die Beschlussempfehlung beraten und am 28. Juni nochmals ausführlich diskutiert worden, zu einer Weiterleitung dieser, oder einer geänderten Vorlage, an die Stadtverordnetenversammlung war es allerdings nicht gekommen.
Der Rathauschef führte in seinem Antrag mit Nachdruck vor Augen: „Mittlerweile wird von Seiten des RP ernsthaft daran gezweifelt, ob die Stadt Kronberg im Taunus tatsächlich die Umsetzung der Maßnahme betreiben will. Wenn die Stadt die Baumaßnahme in der wasserrechtlich genehmigten Ausführung endgültig aufgibt, müsste der RP die Plangenehmigung aufheben und gegebenfalls die Wiederherstellung des früheren Zustandes anordnen. Dies hätte fatale Folgen für den Bebauungsplan Nr. 154 Bahnhofsquartier Baufeld II, was wiederum bedeuten würde, dass den auf Grundlage des Bebauungsplans errichten oder im Bau befindlichen Gebäuden die baurechtliche Grundlage entzogen würde.“ Dieser Argumentation konnte die Mehrheit der Parlamentarier, wenn auch teilweise zähneknirschend, folgen. Mit dem Beschluss wurden die im Raum stehenden weitreichenden Schritte gegen die Stadt wohl abgewendet.
Akteneinsichtsausschuss
Dennoch treiben die Stadtverordneten ob der Kostenexplosion von zunächst genannten 75.000 Euro Baukosten brutto, die allerdings wohl nur für einen Teilbereich angesetzt waren, auf mittlerweile 1,9 Millionen Euro brutto eine ganze Reihe an zu klärenden Fragen um. Aus diesem Grund stimmten sämtliche Fraktionen auf Anregung der Christdemokraten für die Einrichtung eines Akteneinsichtsausschusses. „Wir sehen die Einrichtung eines Akteneinsichtsausschusses als starkes Signal an, dass die Kronberger Politik weiterhin zur Neugestaltung des Bahnhofsumfeldes steht, jedoch die hohen Kosten im Blick hat und Aufklärung über die Gründe für die Mehrkosten verlangt. Möglicherweise können Hinweise für Regressforderungen gefunden werden“, erklärte der CDU Fraktionsvorsitzende Andreas Becker, dem sich während der emotional geführten Debatte der Eindruck aufdrängte, „wir zerreden das Projekt ein bisschen.“
Im Wissen der innerhalb von sechs Jahren in unterschiedlichen Gremien (Parlament, Magistrat, Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt, Haupt- und Finanzausschuss sowie Haushaltsberatungen) wiederkehrenden Thematik und der ab einem gewissen Zeitpunkt seiner Meinung nach bekannten Kostensteigerung zeigte dagegen der SPD-Stadtverordnete Hans Robert Philippi auf: „Niemand kann behaupten, er habe von nix gewusst!“ Von 75.000 Euro auszugehen, sei schlichtweg unrealistisch gewesen. Seiner Überzeugung nach bringe ein Akteneinsichtsausschuss nicht weiter.
Sinnhaftigkeit des Projekts
Dem widersprach der FDP-Stadtverordnete Walther Kiep, der die Frage aufwarf, was die Verwaltung veranlasst habe, erneut für teures Geld die Kosten für die Freilegung ermitteln zu lassen. „Herr Siedler, wir sind Feierabendpolitiker. Informationen technischer Art, die wir von der Verwaltung erhalten, können wir nicht dahin gehend hinterfragen, welcher Qualität sie sind“, betonte er. Mit dem Entsetzen über die Kostenexplosion sei es nicht getan, es gelte vielmehr, die Entwicklung dem Bürger gegenüber zu rechtfertigen. Die Einberufung eines Akteneinsichtsausschuss daher das Mindeste, was der Bürger erwarten könne. Kiep lenkte anschließend den Blick auf die Sinnhaftigkeit des Projektes selbst. „Denn tatsächlich wird hier etwas freigelegt, was eigentlich gar kein Bach ist. Der Winkelbach mündet, sich durch den Viktoriapark windend, in den Schillerweiher. Dort endet eigentlich seine Existenz. Was danach kommt, ist ein Überlauf, der dann Wasser führt, wenn der Wasserstand des Schillerweihers entsprechend hoch ist. Dies hängt im Wesentlichen von den Regenmengen ab, die der Schillerweiher selbst aufnimmt. Der Beitrag des Winkelbaches ist minimal. Dieser ist spätestens im Sommer eh ausgetrocknet. Wir legen also ein Bachbett für 1,9 Millionen Euro an, in dem an circa 50 Tagen im Jahr ein dünnes Rinnsal zu verzeichnen ist.“ Angesichts dessen trug er die Bitte an Bürgermeister König heran, das Gespräch auf politischer Ebene mit dem RP zu suchen, weil „dort Vorstellungen über die ökologische Bedeutung des Winkelbaches bestehen, die mit der Realität nichts zu tun haben. Man sollte klar machen, dass damals der Beschluss aufgrund von Informationen erfolgte, die sich als grottenfalsch erwiesen. Sollte sich der Regierungspräsident nicht einsichtig zeigen, sondern auf der Durchführung bestehen, dann trägt er die politische Verantwortung für diesen Schildbürgerstreich.“
Atmosphärisch schwierig sei das Ganze allerdings, weil die Stadt das Projekt aus der Sicht des RP so lange schleifen ließ, bis beim RP der Geduldsfaden gerissen sei. Dennoch sah Kiep noch Spielraum, weil, so wie er das verstande habe, „die Terminsetzung des RP mündlich im Rahmen eines Telefonats erfolgte“. Dem Antrag stimmten die Liberalen dennoch zähneknirschend zu, da „wir nicht bereit sind auch nur das geringste Risiko –und wenn es nur eine Verzögerung ist – einzugehen. Drum herum kommen wir eh nicht, wenn sich der Regierungspräsident nicht einsichtig zeigt. Ich hoffe nur, dass das die letzte Überraschung bezüglich der Kosten in dieser Sache ist.“
Weitere Stimmen
Dr. Ralf A. Pampel von der KfB, stellvertretender Vorsitzender des Haupt- und Finanzausschusses, monierte einmal mehr die aus Sicht der Wählergemeinschaft „nicht zufriedenstellende Transparenz“. Die Mehrkosten seien nicht nachvollziehbar, „denn mit den Planungen für das Trennbauwerk war von Anfang an das Büro aquadrat befasst und deren ermittelte Kosten wurden eingeplant und laufend erhöht und entsprechen aktuell wohl auch der Kostenberechnung.“
Dazu zähle auch, warum „so plötzlich seitens des Regierungspräsidiums eine zeitnahe Rückmeldung“ zum weiteren Verfahren erwartet und zudem mit „weitreichenden Schritten gegen die Stadt“ gedroht worden wäre. „Hier halten wir es für notwendig, dazu einen schriftlichen Bescheid unter Angabe der relevanten Rechtsgrundlagen zu erhalten“, ergänzt er.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unabhängigen Bürgergemeinschaft (UBG), Alexandra Sauber, bezeichnete es „als richtig und wichtig“, dass Bürgermeister König den Dringlichkeitsantrag einbrachte, brachte aber ebenfalls ihre Überraschung über die Kostenexplosion zum Ausdruck.
Während Bündnis90/Die Grünen-Vorstand Udo Keil die Offenlegung des Winkelbachs aus ökologischer Sicht nochmals ausdrücklich begrüßte, unterstrich seine Parteikollegin Bettina Trittmann, der Akteneinsichtsausschuss biete „die Chance, aus Fehlern zu lernen, damit künftige Entscheidungsprozesse sauberer und verlässlicher laufen.“