Sie sind Lotsen im Erste-Hilfe-Dschungel

Jutta Gehm und Hans-Karl Temme engagieren sich für den Weißen Ring. Foto: pit

Hochtaunus (pit). Vor 43 Jahren gründete der Fernsehjournalist Eduard „Ede“ Zimmermann, Initiator und erster Moderator der Fernsehreihe „Aktenzeichen XY… ungelöst“, die Organisation „Weißer Ring“. Deren Bestreben ist es, Opfern von Kriminalität und Gewalt zu helfen. Mit der Etablierung des Vereinssitzes in Mainz wurden nahezu zeitgleich im Bundesgebiet 18 Landesverbände und sukzessive die dazugehörigen 400 Außenstellen eingerichtet. Auch die im Hochtaunuskreis ist bereits über vier Jahrzehnte installiert. Vor ein paar Wochen haben nun Team und Leitung aus Altersgründen oder wegen anderer Verpflichtungen gewechselt.

Ein guter Zeitpunkt, um einmal innezuhalten und auf die Tätigkeit des Weißen Rings in der Region zu blicken. „Auch hier ist nicht die heile Welt“, muss der neue Außenstellenleiter Hans-Karl Temme, der sich seit zwei Jahren für die Organisation engagiert, mit Bedauern feststellen. „Allein im Jahr 2018 wurden hier 135 Fälle vom Weißen Ring betreut“, bestätigt seine Stellvertreterin Jutta Gehm, die gerade von der Online-Beratung in die Außenstelle gewechselt hat. Neu im Team sind auch Ulrike Drasen und Simone Lucht – und somit befasst sich bei insgesamt vier Kollegen jeder von ihnen mit mindestens einem Fall pro Woche, manchmal aber auch mit zwei bis drei Fällen.

Bei diesen „Fällen“ handelt es sich um Menschen, die in irgendeiner Form Opfer geworden sind. Sei es durch Gewalt oder durch Einbruch, Raub, Diebstahl oder Bedrohung: „Dabei steht die persönliche Befindlichkeit der Betroffenen im Mittelpunkt.“ Ausschlaggebend für die Hilfestellungen sei daher auch nicht, ob die Straftat angezeigt werde oder ob es Beweise gibt: „Wir glauben den Opfern, und der Sinn unserer Arbeit besteht darin, die Folgen der Tat zu lindern.“ Und das kann in vielfältiger Weise geschehen. Zum Beispiel kann kurzfristig ein Termin beim richtigen Rechtsanwalt oder beim passenden Therapeuten arrangiert werden, wobei der Weiße Ring auch die Kosten der Erstberatung übernimmt: „Wichtig ist die schnelle Fachbehandlung des Betroffenen, damit sich zum Beispiel ein Trauma nicht verfestigt“, betont Jutta Gehm, und Hans-Karl Temme ergänzt: „Bei einem Sexualverbrechen würden wir das Opfer aber auch in die Gerichtsmedizin begleiten und auch hier die Kosten übernehmen.“

Grundsätzlich betrachten sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Weißen Rings als „Lotsen durch den Hilfe-Dschungel“: „Für jeden gibt es einen individuellen Weg, auf den wir ihn bringen können. Nur gehen muss ihn der Betroffene dann selbst“, erläutert Jutta Gehm. So sei es auch kein Einzelfall, dass ihre Kollegen schon mal ein Opfer, das im Frauenhaus in Oberursel lebte, zu einem Gerichtstermin in der Heimat brachten. Das seien Einsätze, bei denen der Verein nicht nur die Fahrtkosten übernehme, sondern auch ein wenig Taschengeld zahle: „Etwas in der Tasche zu haben, gibt auch ein Selbstwertgefühl.“

Traumatische Erlebnisse

Doch nicht nur bei aktuellen Fällen ist der Weiße Ring ein kompetenter, Richtung bietender Ansprechpartner. Traurige Erfahrungen mussten die Mitarbeiter schon mit heute Erwachsenen sammeln, die als Kinder Missbrauchsopfer wurden: „Bei vielen von ihnen verkapseln sich die traumatischen Erlebnisse und kommen wieder hoch, wenn sie Jugendliche oder junge Erwachsene sind.“ Häufig würden dann erst einmal unvoreingenommen die unterschiedlichen Fragen besprochen. Zum Beispiel, ob man noch Strafanzeige stellen kann und was die Familie dazu sagt.

Jedoch: „Wir sind Laien!“, betonen Jutta Gehm und Hans-Karl Temme. Der Weiße Ring sorge für die Supervision, Schulungen und in den Ausbildungszentren gibt es Hilfen, um bei den unterschiedlichen Situationen Rat zu geben. Aber jeder müsse seine Grenzen kennen: „Es zählt ausschließlich die Befindlichkeit des Opfers.“ Um bei der Linderung der Folgen zu helfen, sei eine professionelle Distanz unerlässlich. Diese Distanz lässt sie aber gleichzeitig auch ein weiteres Problemfeld erkennen: „Wir bräuchten noch jemand Junges im Team“, sagt Jutta Gehm mit Hinweis darauf, dass die jüngste Kollegin Anfang 50 ist. Denn sie sieht durch Cyberkriminalität, Stalking und Mobbing in den kommenden Monaten und Jahren vermehrt Opfer von Straftaten auf den Weißen Ring zukommen, „bei denen es sich nicht um Kavaliersdelikte handelt“.

!Die Außenstelle des Weißen Rings im Hochtaunus, die von Hans-Karl Temme geleitet wird, ist unter Telefon 0151-55164673, E-Mail: hans-karltemme[at]t-online[dot]de, zu erreichen. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.hochtaunus-kreis-hessen.weisser-ring.de.



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