Wenigstens das Flatterband verschwindet

Das Transparent des Lehrerkollegiums der Geschwister-Scholl-Schule macht deutlich: Die Kinder sind nicht vergessen. Foto: HB

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Die Kinder rütteln nicht voller Ungeduld am Tor, sie hängen Sehnsuchtswimpel an den Zaun und hoffen durch die sanfte Tour auf Einlass. Seit Montag sind zwar die Spielplätze wieder offen, aber für die Grundschüler bleiben die Klassen vorerst tabu. Der Weg aus der Corona-Krise zurück in die Normalität ist eine zähe Angelegenheit. Die St.-Georgs-Gemeinde setzt auch weiterhin auf Video-Botschaften, doch die Katholiken von St. Bonifatius wollen sich am kommenden Sonntag wieder zur Messe versammeln.

Seitdem die Pandemie das Verhaltensmuster bestimmt, gehört das Schlangestehen zum Alltag. Vor den Supermärkten lassen die Türsteher die Kundschaft nur stoßweise hinein und achten auch auf die beim Einkaufen obligatorischen Masken. Auf der Bahnstraße verharren die Menschen vor dem Bäcker, dem Eissalon und der Café-Theke. Der Mindestabstand ist zur Maßeinheit von Covid 19 geworden. An den Autofenstern flattern wieder die Fähnchen als Zeichen, dass wir Seit’ an Seit’ stehen wie zu Zeiten der großen Fußballturniere, und an Balkonbrüstungen wird mit einer Flaggenparade europäische Solidarität beschworen.

Die Internet-Plattform „Wir sind Steinbach“ gewinnt ständig an Popularität. Dort sucht man im Angesicht von Mund- und Nasenschutz nach positiven Emotionen und empfiehlt, mit den Augen zu lächeln. Kein Mensch weiß, wie so etwas geht. Rätsel gibt auch die Offenbarung des Jürgen S. auf, er trage die Maske vor allem „beim Küssen von schönen Frauen“. Die Lebensweisheit der Staabacher Kerweborsche, ein Äppler pro Tag mache den Hausarzt überflüssig, ist wohl auch eher eine Schmonzette.

Der Unterhaltungswert steigt, wenn man die Texte auf den zwei Dutzend Wimpeln liest, die Grundschüler an den Zaun der Geschwister-Scholl-Schule gehängt haben. Darauf erzählt Julia. S. die Geschichte von einer Lehrerin, die ihren Hut zum Gegenstand einer schriftlichen Bewertung machte, in deren Verlauf eine Schülerin die bange Frage stellte, ob sich das Wort abscheulich möglicherweise mit „äu“ schreibe. Darüber scheint sogar der schwarz-weiße Mops zu grinsen, der zu den markantesten Gesichtern der Internetbeiträge gehört.

In Corona-Zeiten fahren Pfarrer wie Werner Böck mit dem Fahrrad zur Predigt und sprechen an profanen Orten wie dem Apfelweinbrückchen in der Steinbachaue in die Videokamera. Die St.-Georgs-Gemeinde tauscht ihre Heimstatt in der Kirchgasse gegen zentrale Orte in der Stadt, um Gott inmitten der Gesellschaft „erlebbar“ zu machen. Böck sagte, die Idee sei auf „ermutigende Reaktionen“ gestoßen. Am Sonntag kommt der Video-Gottesdienst wieder aus der Kirche, aber danach wird Herbert Lüdtke aus dem Off predigen. Nach dem Schutzkonzept der Landeskirche würden in St. Georg lediglich 13 Gemeindemitglieder Platz finden. Per Video werden ungleich mehr Menschen erreicht.

Vor dem Eingang zum katholischen Gemeindezentrum in der Untergasse konnte man dieser Tage das Wort „Hallejulia“ lesen. Das galt eigentlich der Auferstehung Jesu am Ostersonntag, kann aber auch eine Reaktion auf den Gottesdienst am nächsten Sonntag um 9.30 Uhr sein, zu dem 26 Personen zugelassen werden. Es gilt die Reihenfolge der Anmeldung im Pfarrbüro.

Vor dem Hintergrund von Homeoffice und Schulauszeit haben sich Familien aufgemacht, das Stadtgebiet zu entrümpeln und damit den traditionellen Frühjahrsputz zu ersetzen, der zu einem Fixpunkt im Stadtkalender gehörte. Wenn Kind und Kegel in Wald und Flur aufbrechen, um Müllsäcke mit Plastikkram und Papiertüten zu füllen, dann heißt das „Plogging“ und wurde aus Skandinavien in den hiesigen Sprachgebrauch eingeführt. Die Reinigungstrupps trafen im Stadtwald hinter der Phormsschule auf die Teilnehmer eines Orientierungslaufs, den der Leichtathletikclub gegen die häusliche Langeweile ersonnen hat. Trainerin Claudia Franke freute sich über 30 Teilnehmer, Kinder zwischen sechs und 14 Jahre alt, die gemeinsam mit den Eltern das Suchwort „Holzstapel“ herausgefunden haben. Am Ziel wurden sie mit Energieriegeln belohnt.

Die 65 Kids aus dem Verein werden im Alltag mit Videos von Slalomläufen bei Laune gehalten. Die Übung funktioniert mit leeren Plastikflaschen, die mangels Alternative auch im Wohnzimmer aufgestellt werden.

Bis zum Einrollen der rot-weißen Sperrbänder auf dem halben Dutzend Spielplätzen dauerte es bis zum Montagnachmittag. Die Verspätung fiel nicht sonderlich auf, weil die Regenschauer kein Ende nehmen wollten.

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