Die Antwort der Botaniker auf die Virologen

Insgesamt 100 Kronen-Lichtnelken mit dem botanischen Namen „Lychnis coronaria“ haben Gartenmeister Peter Vornholt und sein Team im Schlosspark eine Möglichkeit zur Neuansiedlung gegeben. Wenn sie sich hier wohl fühlen, werden sie künftige Besucher stets an das Jahr 2020 erinnern, das Jahr der Corona-Pandemie.Foto: Pfeifer

Von Petra Pfeifer

Bad Homburg. In Zeiten, in denen das Wort „Corona“ überwiegend im Zusammenhang mit Begriffen wie „Infizierte“, „Krise“ oder gar „Tote“ verwendet wird, ist es beruhigend, sich daran zu erinnern, dass dieses Wort in der Übersetzung aus dem Lateinischen „Krone“ bedeutet – und auch von anderen Wissenschaftlern als Virologen als Klassifizierung verwendet wird. Wohltuender ist es also, sich bewusst zu machen, dass damit ganz allgemein kranz- oder kronenförmige Strukturen bezeichnet werden. Und so richtig schön ist es, dass „Corona“ von Botanikern als Bezeichnung von Blütenformen Verwendung findet, zum Beispiel bei der hübschen Kronen-Lichtnelke, der Lychnis coronaria.

Damit handelt es sich letztlich um eine Pflanzensorte, die neuerdings im Schlosspark anzutreffen ist. „Diese Staudenpflanze taucht schon Mitte des 19. Jahrhunderts in dem regionalen Herbarium von Adolf Becker auf, das auch Pflanzen des Bad Homburger Schloss-parks verzeichnet“, berichtet Gartenmeister Peter Vornholt. Doch in diesem Park war sie – zumindest in vielen vergangenen Jahrzehnten – nicht angesiedelt. Diese Tatsache gehört nun der Vergangenheit an. Zusammen mit seinem Team hat der Schlossgärtner rund 100 dieser jungen Lichtnelken nahe dem Eingang „Jugendherberge“ gesetzt.

Hintergrund ist, dass sich Peter Vornholt seit einigen Jahren mit dem Herbarium beschäftigt, das von Adolf Becker in den Jahren zwischen 1833 und 1863 angelegt und 2007 dem Senckenberg Naturmuseum vorgestellt wurde: „So eine Pflanzenliste ist wichtig, denn ihr können wir entnehmen, was hier schon gut gediehen ist.“ Darin hat der Pfarrer und Botanik-Laie unter anderem Kulturpflanzen belegt, die vornehmlich in Parkanlagen von Bad Homburg und Okarben gesammelt wurden, doch nicht zwingend dort noch immer anzufinden sind. Allerdings hat er damit einen Eindruck von der reichhaltigen Bepflanzung jener Zeit geben, die womöglich heute neuen Pflanz-Ideen Raum gibt.

„Auch wenn die Lychnis nicht direkt für den Schlosspark nachgewiesen ist, könnte sie an exakt diesem recht sonnigen, trockenen und nährstoffarmen Standort gut gedeihen“, erläutert Peter Vornholt die Wahl des Beetes. Mittels einer solchen „Initialpflanzung“ könne also eine „neue Blüte“ im Homburger Schlosspark aufgehen. Und das nicht nur für dieses Jahr. Denn die Kronen-Lichtnelke ist zwar an sich eine zweijährige Pflanze, doch sie sät sich selbst aus. Sofern es ihr also gut geht, werden an Ort und Stelle in den kommenden Jahren die Kinder und Kindeskinder der heute gesetzten Pflanzen gedeihen, die übrigens ein silberfarbenes Laub besitzen und deren „Coronaria“ im Juni mit einem strahlenden Violett-Rot ihre Blicke auf sich ziehen wird.

Überhaupt tut sich im Schlosspark derzeit so einiges, und vieles wurde in Angesicht des Frühlings schon realisiert – immerhin haben die Gärtner kein Problem, Abstand zueinander zu halten. Zahlreiche Bäume wurden gepflanzt, der Bachlauf ebenfalls neu besetzt. „Wir experimentieren immer wieder, und manches kommt auch von selbst, wie zum Beispiel die Mahonie“, so Peter Vornholt, der nicht nur deren Widerstandsfähigkeit schätzt. „Sie wird als ‚Randerscheinung‘ von Straßen häufig unterschätzt, hat aber im Frühling sehr schöne gelbe Blüten und im Herbst leuchtend blaue Beeren“, freut sich der Gartenmeister über das Erscheinungsbild der Mahonie.

Bei der Lektüre des Herbariums stellte er übrigens fest, dass darin auch Bäume aufgelistet sind, die noch heute das Landschaftsbild des Schlossparks prägen: „Dazu gehören zum Beispiel der Tulpenbaum und die Mehlbeere.“

Dass die Lychnis coronaria hier Einzug gehalten hat, ist allerdings tatsächlich von aktuellem Bezug: „Als wir die Liste der Pflanzen durchgingen, die als ‚Initialpflanzung‘ für leere Flecken im Schlossgarten geeignet wären, fiel mir die Bezeichnung ‚Coronaria‘ natürlich sofort auf“, sagt Peter Vornholt schmunzelnd. Damit habe das hier beschäftigte Gärtner-Team der ‚Corona‘ vermutlich ganz im Sinne der Besucher des Schlossparks mal etwas ‚Positives‘ abgewinnen können – und etwas, das obendrein willkommen ist: „Wenn die Lychnis sich hier nach der Starthilfe wohlfühlt, dann kann sie gerne bleiben.“

Die Lychnis coronaria wurde übrigens erstmals von dem Theologen, Humanisten, Arzt und Botaniker Otto Brunfels (1488-1534) in seinem Buch „Contrafayt Kreuterbuch“ erwähnt. Das berühmte Kräuterbuch erschien 1532 in Frankfurt am Main. Eine frühe bildliche Darstellung der Pflanze findet sich in dem um 1410/20 entstandenen Gemälde „Paradiesgärtlein“ eines anonymen oberrheinischen Meisters. Das Bild zum Beisammensein von Maria mit einigen Heiligen hängt heute im Frankfurter Städelmuseum und verbindet das „hortus conclusus“-Thema (geschlossener Garten) mit realistischen Naturbeobachtung und christlicher Pflanzensymbolik. Die Kronen-Lichtnelke galt damals als das Auge Christi.



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