Auszeit vom Krieg – Jugendliche aus Kiew an der Humboldtschule

Bad Homburg (csc). Nachts durchschlafen, zur Schule oder zur Arbeit gehen, ohne sich fragen zu müssen, wie viele Bombenalarme es heute geben wird. Die Gewissheit, in Sicherheit zu sein: Das ist ein Privileg, das uns – seien wir ehrlich – selbstverständlich erscheint. Für die zwölf Jugendlichen und ihre zwei Lehrerinnen aus Kiew, die zurzeit an der Humboldtschule (HUS) zu Gast sind, ist es eine wertvolle Auszeit aus einem unfreiwilligen Alltag, den der Krieg mit sich gebracht hat.

Die Humboldtschule nimmt zum ersten Mal an dem sogenannten „Recreation Project“, also dem Erholungsprojekt für ukrainische Jugendliche an UNESCO-Projektschulen, teil. Seit 2022 haben insgesamt 500 junge ukrainische Schüler daran teilgenommen – in ganz Deutschland. „Die Aktion wird über das deutsche Auswärtige Amt sowie das ukrainische Auswärtige Amt koordiniert“, berichtet Torben Waschke, der gemeinsam mit seinen Kollegen Thomas Böhm, Natalia Turkovska und Charlotte von Kalnein sowie weiteren Freiwilligen das Projekt an der Humboldtschule koordiniert.

Für den Pädagogen, der an der HUS Sport und Geografie unterrichtet, ist es ein Herzensprojekt. „Ich habe zum Thema russische Geopolitik promoviert und kenne daher die Thematik, doch für mich ist hier die menschliche Perspektive entscheidend“, erzählt er. „Diese Kinder haben ein Recht auf ein schönes Leben.“

Dabei denkt er auch an sein Nachbarskind, die neunjährige Milana, die mit ihren Eltern über die Karpaten geflüchtet ist und im Mai in eine Wohnung in seiner Nähe zog. „Herzenskind“ nennt er sie, als er von ihr erzählt. Daher ist es ihm ein Anliegen, auch anderen Kindern aus der Ukraine zumindest eine kleine Auszeit vom Krieg zu verschaffen. „Mitte April kam die Zusage, dass wir mitmachen können, und während wir auf den Bescheid gewartet haben, der kurz vor den Sommerferien kam, haben wir bereits mit der Planung begonnen“, erinnert sich Torben Waschke. Am Sonntag, 21. September, kam die kleine Delegation per Bus in der Kurstadt an. Insgesamt elf Tage sind die Schüler des Lyceum Nummer 30 „Ekonad“ aus Kiew zu Gast. Auf dem Programm stehen der Besuch der Experiminta, ein Ausflug nach Rüdesheim, der Besuch des Opel-Zoos, ein Kunstprojekt, ein Ausflug nach Frankfurt und der Besuch eines Pokalvorrundenspiels der Skyliners. Für den heutigen Tag ist ein Besuch des Bad Homburger Schlosses, Einkaufen auf dem Markt und ein gemeinsames Picknick geplant. Dafür werden beim morgendlichen Treffen im Gruppenraum D002 der Humboldtschule noch ein paar deutsche Vokabeln für den Einkauf geübt. Zu Fuß geht es dann los zum Schloss.

Auf dem Weg dorthin berichtet die Englischlehrerin Svitlana Hnoieva vom Alltag in Kiew. „Als der Krieg anfing, war es einfach schrecklich“, erinnert sie sich. „Wir mussten erst einmal alle begreifen, dass das jetzt unser neues Leben ist.“ Anfangs habe sie nicht gewusst, was zu tun sei. „Wir haben praktisch von Alarm zu Alarm gelebt“, so die 42-Jährige. Heute, drei Jahre später, besteht die Herausforderung darin, jeden Tag weiterzumachen. „Wir müssen für unsere Schüler stark sein, sie beschützen, denn sie sind unsere Zukunft. Meine eigenen Ängste muss ich hinten anstellen“, berichtet die Englischlehrerin. Sie erzählt, wie es sich anfühlt, wenn die Bomben einschlagen, wie man ein Gefühl dafür entwickelt, wie weit die Detonation entfernt ist, wie es sich anfühlt, wenn der Boden unter einem erzittert und die Fensterscheiben klirren. Wie sie jedes Mal aufatmet, wenn der Angriff endlich vorbei ist. „Wenn du das überlebt hast, dann machst du mit dem weiter, was du vor dem Angriff getan hast. Du musst Pläne für die Zukunft machen“, sagt sie fast eindringlich.

Dann macht sie schnell ein Foto vom Schlossgarten. Sie fängt schöne Erinnerungen ein, für später. „Ich wünsche mir, dass dieser Krieg endlich aufhört“, sagt sie, als wir uns verabschieden.

Auch die Besichtigung des Bad Homburger Schlosses steht auf dem Ausflugsprogramm der Gruppe aus Kiew.Foto: csc



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