Beten um Stärke, die aus der Liebe wächst

„Das Gebet bricht Eisen“ zitiert der ukrainische Exarch aus Frankfurt, Pfarrer Roman Lirka, ein ukrainisches Sprichwort: Am Vorabend des russischen Einmarsches in die unabhängige Ukraine versammeln sich Christen vor der Erlöserkirche zum Friedensgebet. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). „Krieg ist nicht nach Gottes Willen. Die Sicherheitsbedürfnisse Russlands können wir verstehen, aber sie berechtigen Russland nicht zum Völkerrechtsbruch. Wir solidarisieren uns mit unseren ukrainischen Geschwistern. Wir wollen keine Feindbilder aufbauen, sondern für Frieden beten.“ Mit diesen Worten positionierte sich Pfarrer Andreas Hannemann bei einem spontan organisierten ökumenischen Friedensgebet von Christen vor der evangelischen Erlöserkirche – nur Stunden, bevor der russische Diktator Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ.

Etwa 40 Menschen hatten sich mit Kerzen in den Händen vor der Innenstadtkirche versammelt. Mit unter den Betenden: der Apostolische Exarch für die katholischen Ukrainer aus Frankfurt, Pfarrer Roman Lirka, und Victoria von Rosen, Vizepräsidentin der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft für Wirtschaft und Wissenschaft.

Oberbürgermeister Alexander Hetjes sagte zu Beginn der Veranstaltung: „Die aktuelle Situation erscheint mir persönlich in allerhöchstem Maße surreal, doch die Ereignisse um die Krim 2014 hätten uns auf dieses Szenario vorbereiten können. Wir müssen in die Phalanx eintreten, die gegen Gewalt und für Solidarität und eine friedliche Konfliktlösung steht.“ Petra Kühl, Kirchenvorstandsvorsitzende der Erlöserkirchengemeinde, und die Ortsausschussvorsitzende der katholischen Kirchengemeinde St. Marien, Michaela Walter, sowie weitere Vertreter der Kirchen drückten in Gebeten Sorge und Anliegen der Anwesenden aus: „Uns fehlen Worte, unsere Kraft ist zu klein, wir verspüren Hilflosigkeit. Alles, was Angst macht, bringen wir vor Gott, denn er ist unsere Zuversicht und Stärke.“ Die Ukrainerin Victoria von Rosen, die seit 2017 mit ihrer Familie in Deutschland lebt und bekannte, dass ihr Herz derzeit intensiv bei Familie und Freunden in ihrem Heimatland Ukraine sei, betete auf Deutsch: „Das Innere der Menschen ist unergründlich und in ihren Herzen tut sich ein Abgrund auf. Aber der Gerechte sucht seine Zuflucht bei Gott.“

Der ukrainische Exarch Lirka erinnerte an die Geschichte der Ukraine, die als Ukrainische Volksrepublik 1917 nach dem Ende des Zarenreiches entstand, wenig später unter Russlands Herrschaft gezwungen wurde, in Form ihrer Exilregierung 71 Jahre überdauerte und nach der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 formal unabhängig wurde. Das ukrainische Volk hätte vieles erleiden müssen. „Dann kam endlich der Staatsaufbau – und jetzt, nach acht Jahren Krieg der Russen auf ukrainischem Staatsgebiet und nun der Anerkennung Putins der ‚selbsternannten unabhängigen Volksrepubliken‘ Donezk und Luhansk ist unsere Situation sehr gefährlich geworden.“

Pfarrer Lirka drückte mit einer biblischen Mose-Geschichte die Hoffnung der ukrainischen Menschen aus: „Das Gebet bricht Eisen, sagt ein ukrainisches Sprichwort.“ Lirka betete um die Stärke, die aus der Liebe wächst und gegen Sturheit und Machtgier. Der evangelische Pfarrer Andreas Hannemann, der am Ende das Vaterunser mit den Anwesenden betete, betonte dann noch einmal: „Es geht um mehr als Macht und Unterwerfung, es geht um Leben und Tod von Menschen.“ Knapp 24 Stunden später, am Abend des Einmarschtages zehntausender Soldaten in den unabhängigen Staat Ukraine mit blutigen Folgen, wandte sich der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, mit einem Appell im deutschen Fernsehen an die Bundesbürger, die Ukrainer nicht kaltherzig im Stich zu lassen und auch unablässig für das ukrainische Volk zu beten.



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