„Ein bisschen wie die Telefonseelsorge“

Müssen in diesen schwierigen Zeiten Bürger auf die Corona-Verordnungen hinweisen und setzen dennoch immer auf Freudlichkeit und Deeskalation: die Bad Homburger Stadtpolizisten. Foto: a.ber

Von Astrid Bergner

Bad Homburg. Sie müssen derzeit Maskenpflicht und Abstand auf dem Wochenmarkt durchsetzen, sich die Klagen und Existenzängste von Geschäftsinhabern anhören, müssen Bürgern immer wieder Fragen zu Corona-Verordnungen beantworten und kritische und aufgebrachte Kommentare ertragen: Die Stadtpolizisten, die werktags in Bad Homburg im Einsatz sind, sehen sich seit Beginn der Corona-Pandemie vor viele neue Herausforderungen gestellt.

„Wir agieren beinahe ein bisschen wie die Telefonseelsorge jetzt, doch sind wir weder Mediziner noch Theologen. Und dabei sollen wir ja die immer neuen Verordnungen auch durchsetzen und kontrollieren“, versucht Harald Kaul, Leiter des Fachbereichs Öffentliche Ordnung, das Dilemma zu umschreiben, in dem die 16 Kollegen während ihres Dienstes nun stecken.

Nicht nur die Arbeitsbelastung ist immens gewachsen, auch die inhaltlichen Anforderungen haben sich für die Polizisten geändert. „Dass die Stadtpolizei dabei mit größtmöglicher Ruhe vorgeht und mit den Bürgern kommuniziert, ist sehr zu loben“, zog Stadträtin Lucia Lewalter-Schoor in einer Pressekonferenz im Technischen Rathaus Bilanz. Fragen der Passanten in der Innenstadt zu coronagerechtem Verhalten, vermehrte Amtshilfeersuchen des Gesundheitsamts in Bezug auf die Überwachung von Quarantäne-Maßnahmen, Kontrollen von Masken- und Abstandspflicht im Einzelhandel und in der Gastronomie – „seit März sind wir dabei, das mit Fingerspitzengefühl zu schaffen“, sagt Harald Kaul. Seien zu Jahresbeginn 2020 noch neun Polizeikräfte im Schichtdienst im Einsatz gewesen, täten mittlerweile sieben zusätzliche Kräfte Dienst auf der Straße.

Letztes Glied in der Kette

Das Land Hessen erlasse eine neue Verordnung nach der anderen, und so manche kreiseigene Aufgabe werde zur Zeit an die Stadtpolizei delegiert, die als letztes Glied in der Kette Dinge am Ort umsetzen und durchsetzen müsse. Denn die Anforderung in dieser Pandemiezeit bestehe darin, „immer genau zu schauen und zu entscheiden, wie Verordnungen umgesetzt werden können“. Gegen die Frustration der Einsatzkräfte, so Martin Hake vom Ordnungsamt Bad Homburg, gebe es jetzt von 6 bis 23 Uhr täglich einen Ansprechpartner für die Stadtpolizisten, der hereinkommende Empfehlungen und Regeln aus Wiesbaden analysiere und weitergebe.

„Die Lebenssituation der Menschen hat sich durch die Pandemie-Lage stark verändert. Durch Kontaktbeschränkungen und angebrachte Vorsicht fühlen viele Menschen sich verunsichert und versuchen sich Entlastung zu verschaffen. Da werden Hunde angeschafft, Demonstrationen gegen Maskenpflicht durchgeführt und Corona-Partys gefeiert“, sagt Lucia Lewalter-Schoor. Im ersten Lockdown hätte sich mancher einen Hund angeschafft: 2020 seien bis heute so viele bissige Hunde von der Bad Homburger Polizei sichergestellt worden wie in den vorangegangenen vier Jahren zusammengenommen. „Die Tierheime sind voll.“ Auch gegen die stark gestiegenen illegalen Ablagerungen von Sperrmüll und die Vermüllung in den Parks seien die Polizeikräfte im Einsatz. Hinzu komme, dass mehr Menschen psychisch labil sind und die Zahl der Zwangseinweisungen in die Psychiatrie zugenommen habe, wobei oft auch die Polizei helfen müsse. Bei der Polizeidienststelle gingen zur Zeit drei Anfragen pro Stunde zu den Coronaregeln ein. „Und je länger diese Lage andauert, desto mehr schwindet die Toleranz mancher Bürger, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung doch einsichtig ist“, so Lewalter-Schoor.

Der Krisenstab der Stadt hat als strategisches Vorgehen vorgegeben, immer erst an die Bürger zu appellieren, mit ihnen zu reden und mit Augenmaß zu handeln. Dennoch, so Martin Hake vom Ordnungsamt, seien die Polizistengruppen ständig gefordert, sich ihre Verhaltensweisen selbst zu überlegen. Mitunter sei ein verschärftes Vorgehen durch die Ordnungskräfte aber nicht zu vermeiden.

Im November bezogen sich von 2001 Kontrollen in der Stadt allein 862 auf Corona. „Rund zwei Drittel der Kontrollen in den ursprünglichen Kernaufgaben, zum Beispiel Verkehrs- und Geschwindigkeitsüberwachungen, können aktuell nicht geleistet werden“, sagte Stadträtin Lewalter-Schoor. „Wir müssen unsere Kräfte bei der Stadtpolizei gut einteilen, damit unsere Mitarbeiter nicht ausbrennen – denn die Corona-Lage wird noch andauern.“



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