Das Einhorn zerbricht, und ein Traum zerplatzt

Mutter Amanda (Anna Thalbach) mit ihrem Sohn Tom (Louis Held), dem einzigen „Realisten“ in diesem Familiendrama. Foto: ks

Bad Homburg (ks). Wenn sich die Damen Thalbach zu einem gemeinsamen Projekt zusammenfinden, ist diesem der Erfolg sicher. Das hat auch das Familiendrama „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams im Kurtheater bestätigt. Katharina Thalbach hat es für ihre Tochter Anna und ihre Enkelin Nellie inszeniert und die Zuschauer damit begeistert. Anna spielt Amanda Wingfield, Nellie ist ihre leicht gehbehinderte Tochter Laura und Louis Held ihr Sohn Tom.

Tennessee Williams gab diesem Drama den Untertitel „Ein Spiel der Erinnerungen“, und der trifft den eigentlichen Kern eines Dramas, in dem sich eine vom Leben enttäuschte Mutter und eine verträumte Tochter der Realität verweigern und sich ihre eigenen Fluchtwelten schaffen. Amanda lebt von den Erinnerungen an ihre schöne und sorglose Jugend im Süden der Vereinigten Staaten. Laura hat ihre Menagerie aus zarten Glastieren, und ihr besonderer Liebling ist das Einhorn; jenes geheimnisvolle Fabelwesen, das nur wenige Menschen zu sehen bekommen.

Autobiografische Züge

Der einzige „Realist“ ist Tom, der in den schweren Zeiten der Rezession um das Jahr 1930 die Familie als Lagerarbeiter ernähren muss. Auch er flüchtet abends aus dem tristen Dasein in der engen Wohnung ins Kino und kehrt meist erst spät nachts betrunken zurück. Am nächsten Morgen ist ihm das Gezeter der Mutter so sicher wie ihr Weckruf „Morgenstund’ hat Gold im Mund“. Ein wenig Trost findet Tom im Dichten. Wie oft in Stücken von Williams, gibt es auch in diesem Drama autobiografische Bezüge. Der Dichter ist, wie die Wingfields, in engen Verhältnissen in St. Louis aufgewachsen und hat, wie Tom, in seiner Jugend vom Erfolg als Poet und Schriftsteller geträumt. Und er hat dieses Ziel tatsächlich auch erreicht. Regisseurin Katharina Thalbach hält sich strickt an die Vorgaben des Autors. Der Vater, der die Familie vor Jahren verließ, ist als Foto und durch sein Grammophon mit den Schlagern der 20er- und 30er-Jahre präsent. Außerdem gibt es die Figur des Erzählers, die Tom zufällt, der von Ereignissen aus vergangenen Zeiten berichtet und die Zuschauer mit seinen Zaubertricks unterhält. Er kehrt immer wieder als handelnde Figur in das Spiel zurück.

Für Jim geschwärmt

Das Leben der drei Menschen läuft ereignislos weiter, bis Tom eines Tages seinen Arbeitskollegen Jim (Sven Scheele) einlädt. Mutter Amanda, die eine Chance für ihre Tochter wittert, bereitet ihm einen übertriebenen Empfang und irritiert den jungen Mann mit ihrer Aufdringlichkeit. Laura hält sich zunächst völlig bedeckt. Sie hat gegen die geschäftige Mutter keine Chance. Erst als das Paar allein ist, stellt sich heraus, dass sie sich von früher kennen und Laura in der Highschool für Jim geschwärmt hat. Beim Tanzen, zu dem sich Laura ihrer Behinderung zum Trotz schließlich bereitfindet, kommen sich die beiden näher – doch dann zerbricht aus Versehen das Einhorn. Es hat sein Horn verloren und ist zu einem einfachen Pferd geworden.

Mit ihm zerbricht auch der Traum von Mutter und Tochter Wingfield auf eine Zukunft mit Jim. Wie sich herausstellt, ist dieser längst mit einer Betty verlobt und wird bald heiraten. Tom hat das allerdings nicht gewusst. Aber er ist seiner Rolle als Ernährer der Familie überdrüssig und beschließt, es dem Vater nachzumachen und einfach zu verschwinden.

Viel Symbolik durchzieht auch dieses Werk von Tennessee Williams, mit dem die Schauspieler dank ihres exzellenten Spiels und einer sensiblen Regie die Zuschauer bis zum Ende eines langen Abends in Atem halten konnten. Der lautstarke und anhaltende Beifall bestätigte das.



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