Mit gottgegebener Kraft, Chuzpe und Beherztheit zurück ins Leben

Musik zum Leben – die renommierte deutsche Band „Naschuwa“ begeistert in der evangelischen Kirche Gonzenheim mit Klezmer, jiddischen und hebräischen Liedern und jeder Menge lebensweisem Humor (v. l.): Rainer Ortner (Akkordeon), Matthias Helms (Gesang und Geige), Julian Keßler (Gitarre und Gesang) und Thore Benz (Kontrabass). Foto: a.ber

Bad Homburg
(a.ber). Wenn wir erstarren, weil Dinge schief laufen, dann – so legt es uns der jüdische Humor ans Herz – sollen wir uns nicht ganz so ernst nehmen. „Das Leben ist ja ernst genug. Also einmal heraustreten aus dem Schlamassel, wieder zurücktreten – denn es ist ja dein Schlamassel – und dann hat er sich nicht verändert, der Schlamassel, aber die Perspektive hat sich verändert!“ Der virtuose Akkordeon-Spieler Rainer Ortner mit der coolen Kappe, der begnadete Entertainer und Sänger Matthias Helms mit seiner Geige, der lässig dastehende wild gelockte Julian Keßler an seiner kleinen Gitarre und Thore Benz am Kontrabass, der Sehnsucht, Klage und Lebenskraft der jüdischen Musik durch dufte Rhythmen bereicherte: Die großartige Band „Naschuwa“ löste mit ihrem Konzert in der bis auf den letzten Platz besetzten evangelischen Kirche in Bad Homburg-Gonzenheim Begeisterung aus.

Die Musik der Juden ist einfach dufte – gut, von hebräisch: „tow“! Von rasanten Klezmer-Stücken und liturgischen Synagogen-Gesängen über jiddische Lieder voller Wehmut und Mutterwitz bis hin zu modernen hebräischen Liedern aus Israel. Matthias Helms, von Beruf evangelischer Pfarrer im Frankfurter Berufsschuldienst, der gemeinsam mit seinem Studienkollegen Thomas Damm vor 36 Jahren „Naschuwa“ gegründet hatte, nahm das Publikum mit. Der talentierte Anekdoten- und Witze-Erzähler entfaltete in dem zweistündigen Konzert mit seinen Musikern eine ganze Welt. Die Welt derer, die versuchen, eines nicht zu verlieren: Hoffnung, Sehnsucht nach Heimat und Unversehrtheit.

In all dem Schlamassel, der dem alttestamentlichen Gottesvolk Israel bis heute widerfährt, von Exil und Wüstenwanderung über schlimme Pogrome bis hin zu Antisemitismus und Vernichtung, Hamas-Terror und jüngst weltweit aufflammendem Hass gegen den Staat Israel und sein Existenzrecht. Es ist ein besonderes Talent zum Lebensmut, das die jüdische Musik auch an diesem Abend entfaltete. Ein Talent, sich dann, wenn man ganz nach unten gesunken ist, mit gottgegebener Kraft und Chuzpe, Unerschrockenheit und lebenserhaltender frecher Beherztheit noch vom Grund abzustoßen und wieder aufzutauchen. „Le Chaim“ – zum Leben. Es wurde viel gelacht an diesem Konzertabend. Am Anfang ein virtuoses Kontrabass-Solo von Thore Benz mit Glissando-Seufzern, eine zwischen leisen Geigentönen aufblitzende spitzbübische Miene von Sänger Matthias Helms, der Wechsel zwischen verhaltenen und expressiven Passagen, denen sich dann auch Gitarrist Julian Keßler und Rainer Ortner am Akkordeon musikalisch in die Arme warfen: „Abi gesint“ (Ein bisschen gesund), der jiddisch-sprachige Hit aus dem 1938 in den USA entstandenen jiddischen Film „Mamele“, der in Polen ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gezeigt wurde, erklang einfach umwerfend. „Die Luft ist frei, für jeden gleich“, heißt es da in einer Strophe.

Ob die schmissigen Soli im Jazz-Klezmer-Stück „It Had To Be You“ oder das einfühlsame Zusammenspiel bei einem orientalisch anmutenden Stück der libanesischen Sängerin Fairuz: Das Talent der vier Musiker beeindruckte. Besonders in den balladenhaften jiddischen Liedern wie „Dos Kelbl“ und „Belz, majn Stejtele Belz“, Liedern, die die Sehnsucht der von den Nazis bedrohten Juden Osteuropas nach der verlorenen Heimat und schmerzliche Angst vor Deportation und Ermordung ausdrücken.

Matthias Helms, der seit Jahren mit „Naschuwa“ auch in jüdischen Kultureinrichtungen und Synagogen Deutschlands spielt, sprach über das brutale Hamas-Massaker in Israel: „Die Angst breitet sich zurzeit wie eine Krake aus bei den jüdischen Menschen in Deutschland, es ist unbeschreiblich.“ Der Musiker zitierte das „614. Gebot“ des deutschen Rabbiners und Philosophen Emil Fackenheim (1916-2003) in abgewandelter Form: „Man darf Hitler posthum keine Siege verschaffen, indem man Israel verschweigt.“

Dass es „so viel Wichtigeres als die Angst“ gebe, dass es Aufgabe für uns alle sei, „Hoffnungszeichen in den Menschen zu entdecken und zu fördern“, dafür standen wunderschöne neuhebräische Lieder wie „El ha Derech“ von Shimrit Or und Nurit Hirsch. Dessen Refrain lautet: „Und bis zu den Toren des Himmels werden wir gewiss gelangen, denn unser Weg ist nicht umsonst.“ Was an diesem Konzertabend hängenblieb? Unbändige Lebenskraft und ein ergreifend langer leiser Ton im meisterhaften Solostück des Akkordeonspielers Rainer Ortner – die Brücke zum Leben ist manchmal zerbrechlich. „Aber geh einfach los, erst im Gehen erfährst du, was Gott mit dir vorhat.“



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