Ein Konzert über die Seele des Orients

Das Instrumentalensemble „Anima Shirvani“ unter Leitung von Tural Ismayilov (r. Barockposaune) und der Kammerchor der Erlöserkirche Bad Homburg unter Leitung von Kantorin Susanne Rohn (Mitte) spielen und singen orientalische und europäische Musik beim Benefizkonzert „Goethe: West-Östlicher Divan“ in der Erlöserkirche. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). Edel sei der Mensch, hilfreich und gut: Die ersten Zeilen der im Jahr 1783 gedichteten Ode „Das Göttliche“ von Johann Wolfgang von Goethe kennen viele. Das Gedicht entstand kurz nach dem Einzug des berühmtesten deutschen Dichters in das Haus am Frauenplan in Weimar. Es greift dem Aufbruch der Denker und Dichter der „Weimarer Klassik“ in den Humanismus und in die Moderne mit ihren demokratischen Entwicklungen, geistiger Freiheit und individueller Persönlichkeitsrechte voraus. Das Konzert „Goethe: West-Östlicher Divan“ der Reihe Poesie&Musik, zu dem die Stadt Bad Homburg, die evangelische Erlöserkirchengemeinde und der Rotary Club Bad Homburg in die Erlöserkirche eingeladen hatten, gab Anlass, über diese Aufforderung Goethes „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ nachzudenken.

Eine moralische Überforderung, an der wir uns heute noch reiben? Schwärmerei oder blinde Überschätzung des menschlichen (Kultur-)Wesens? Oder Hoffnungsworte für ein besseres Gelingen menschlichen Zusammenlebens, gar über Kulturgrenzen zwischen der europäischen westlichen Welt und den orientalischen Ländern des Ostens hinweg? Das Instrumentalensemble „Anima Shirvani“ und der Kammerchor der Erlöserkirche webten gemeinsam einen musikalischen Teppich aus orientalischer Musik und europäischer Renaissance- und Barockmusik, der Musizierende als Experten für einen konstruktiven Dialog fremder Kulturen auswies. Und Musik als verbindende Sprache. Der persische Dichter Hafis aus dem 14. Jahrhundert und Goethe, der sich von Hafis zum „West-Östlichen Divan“ inspirieren ließ, wurden rezitiert – „Zwillinge“, die Jahrhunderte im Geiste überbrücken könnten, wie Goethe selbst schwärmte.

Hilfreich und gut war jedenfalls, dass alle Eintrittsgelder und weiteren Spenden der zahlreichen Konzertbesucher der dringend notwendigen Sanierung des Goethe-Wohnhauses in Weimar zugutekamen. Denn das Bundesministerium hat jüngst seine Mitfinanzierung des mehr als 35 Mio. Euro teuren Projekts zurückgezogen. „Goethe machte Weimar im 18. Jahrhundert zum kulturellen und geistesgeschichtlichen Zentrum, hier lag der Kern unserer Kulturnation. Und unweit der Stadt lag im Zweiten Weltkrieg das Vernichtungslager Buchenwald – das zeigt die ganze Ambivalenz der menschlichen Existenz“: Dr. Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, der das Museum Goethe-Wohnhaus am Frauenplan untersteht, stellte dies in einer kurzen Ansprache mit gebotener Nüchternheit fest. Das Publikum wurde dann durch die Begeisterung der Instrumentalisten und Sänger unter der Leitung von Tural Ismayilov und Susanne Rohn mitgerissen.

„Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg, im Dialog liegt die Lösung“, sagte der künstlerische Leiter von „Anima Shirvani“, der aus Aserbaidschan stammende Spezialist für Alte Musik. Tural Ismayilov (Barockposaune), Deniz Mahir Kartal (orientalische Flöten Kaval, Duduk und Balaban), Heidi Gröger (Viola da Gamba), Peter Kuhnsch (Schlaginstrumente) und Pedro Alcàcer Doria (Theorbe) spielten traditionelle persische und aserbaidschanische Kunstmusik, Mugam, und begleiteten den Chor bei Sätzen aus Renaissance, Barock und orientalischem Volksliedgut. „Verleih uns Frieden gnädiglich“ von Heinrich Schütz oder Michael Praetorius‘ „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ und „Le Canarie“ wurden nahtlos hinübermusiziert in traditionelle anatolische, aserbaidschanische und kaukasische Mugams und Volkstänze. Ismayilov zitierte, von langen Tönen der Gambe und Flöte getragen, aus Hafis Büchern. Vertraute christliche Chorsätze und virtuose orientalische Tonfolgen und Rhythmen stiegen in die byzantinische Mosaik-Kuppel der Erlöserkirche hinauf. Der Kammerchor unter Kantorin Rohn beeindruckte durch Homogenität und Anpassungsgabe an die feinen Klänge der Barockinstrumente und den hauchigen Klang der dünnen Hirtenflöten. Der Percussion-Virtuose Peter Kuhnsch leitete mit dem Schellen-Tabourin vital die „Galliard“ von Samuel Scheidt aus „Ludi Musici“ ein, die in überschwänglichen Tanzrhythmen der Renaissance Anklänge an den vorher erklungenen persischen Hochzeitstanz hatte. Berührend war das Volkslied „Sari Galin“ (Die Braut im gelben Kleid), dem das Barocklied Johann Hermann Scheins „Freue dich des Weibes deiner Jugend“ folgte. Die Zuhörer erfuhren viel über „die Seele des Orients“. Menschliche Emotionen, seien sie gefasst in europäische Kompositionen oder in orientalischer Improvisationsfreude und Tonfolgen, sind hier wie dort die gleichen: Liebe und Leid, Hass und Versöhnung, Freude und Melancholie. Wenn Kultur und Musik nicht als gefühlige Parallelwelt zur Wirklichkeit begriffen werden, nicht als Droge, sondern Begegnung mit Neugier und auf Augenhöhe ermöglichen, dann regen sie zum Nachdenken über die Andersartigkeit des Anderen an, mit „edlem“ Respekt.



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