Unter den Gästen rund um die Preisträger war auch der ehemalige Oberbürgermeister Wolfgang Assmann mit Gattin, der vom amtierenden OB als „Vater des Preises“ willkommen geheißen wurde. Er hatte den jährlich ausgelobten Literaturpreis 1983 ins Leben gerufen. Überreicht wurden die Preise samt Urkunden und Hölderlinplakette von Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt und Oberbürgermeister Alexander Hetjes.
Es war manches anders und ungewöhnlich an diesem sonnigen Sonntagvormittag, und dazu gehörte auch die diesmal von Organist Lukas Adams gestaltete Musik mit Werken von Bach, Mendelssohn-Bartholdy und Schumann an der Bürgy-Orgel. Er gab eine beeindruckende Vorstellung und bewies, dass er das vom Schloss-Kuratorium vergebene Orgelstipendiat verdient hat. Das hat auch dessen Vorsitzender Karl-Josef Ernst bestätigt, der zugleich der Schlösserverwaltung für ihre Unterstützung dankte.
Anregend war der zwanglose Empfang im Weißen Saal vor der Preisverleihung, bei dem eine Begegnung mit den beiden Preisträgern möglich war. Beide kannten Bad Homburg nicht, und Joshua Groß, Jahrgang 1989, bekannte, dass er wenig über Hölderlin gewusst und sich erst nach der Preisnominierung intensiver mit ihm befasst habe. Er ist ein Kind unserer Zeit, das sich mit beneidenswerter Sicherheit und ohne Vorbehalte in der Welt der technischen Möglichkeiten und ihren zum Teil chaotischen Folgen bewegt. Sie liefern ihm den Stoff für seine gleichermaßen intelligenten wie skurrilen Ideen. Groß engagiert sich für unterschiedlichste Aufgaben, sieht sich aber „fest in der Literatur verankert“.
Das hat auch der ebenfallls sehr vielseitige Schriftsteller Marcel Beyer, 1965 geboren, für sich bestätigt. Dass er auch in der Welt der Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche und umgekehrt zu Hause sei, verdanke er der schlichten Tatsache, dass er in der einstigen englischen Besatzungszone aufgewachsen sei, bekannte er schmunzelnd. Gemeinsam ist beiden ihre Vielseitigkeit und Neugier, die Welt und ihre aktuellen Phänomene zu „begreifen“ und in „modern thinking and talking“ zu übersetzen. Gemeinsam ist auch, dass beide für ihre Arbeiten Gehör und Resonanz finden. Das beweisen die Preise, die beide bisher gewonnen haben.
Exkurs über die Kartoffel
Ungewöhnlich war auch, dass ein Hölderlinpreisträger in seinem Dank für den Preis über die Kartoffel sinnierte, angeregt von dem Gedicht „Die Stille“ von Friedrich Hölderlin. Darin wird von einem Waldspaziergang erählt, von dem ein junger Mann ein Sträußchen Erdbeeren mit nach Hause bringt und an seine Geschwister verteilt. Danach „ nahm er eilig, was vom Abendessen an Kartoffeln ihm noch übrig war und schlich sich, wann er sattgegessen, weg von seinem lustigen Geschwisterpaar“.
Da taucht sie also auf, die Kartoffel, der später auch andere Dichter huldigten. Hölderlin gebühre die Ehre, sie frühzeitig und vor allem vor den Malern gewürdigt zu haben, die diese unscheinbare nahrhafte Knolle erst viel später in Stillleben verewigt hätten. Auch in seiner Heimat Württemberg sei die Kartoffel im 18. Jahrhundert zu einem wichtigen Nahrungsmittel geworden, sagte Beyer wie zur Bestätigung für seinen Landsmann Hölderlin. Für diesen habe dieses Nahrungsmittel Kartoffel zur aktuellen Gegenwart gehört. Er habe den Mut, gehabt, „das, was aus der Sicht der Dichter und Denker eigentlich nicht zusammenpasste, Kartoffel, Klopstock, Gewöhnliches und Hohes, zu verbinden“. Mit Hölderlin sei die Welt an die krumme Knolle gekommen. Sie gebe rethorisch zwar nicht viel her, bediene aber den nahrungsbedürftigen Menschen. Daraus zu folgern, dass das Profane, Triviale existenzieller sei, wäre allerdings nicht im Sinne Hölderlins. Er war überzeugt: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“
Laudator Tobias Lehmkuhl gab einen intelligenten und recht umfassenden Einblick in Prosatexte und Gedichte von Marcel Beyer. Er verwies auf dessen Nähe zur Musik und zur Tonkunst und sprach auch dessen Begabung an, Gedichte und Erzählungen aus einem Foto heraus zu entwickeln. Beyer bringe das anscheinend Triviale in vielschichtige, vieldeutige Zusammenhänge – was er dann mit seinem Exkurs über die Kartoffel bewiesen hat. Beyers Blick umfasse nicht nur das Sichtbare, sondern auch das, was fehle. Er habe den Mut zur Lücke, zu dem, was letztlich unerklärbar sei. Lehmkuhl zeigte an Beispielen die thematische „Bandbreite“ des Schriftstellers Beyer auf, der sich auch sicher in der antiken Welt bewegt und einen besonderes Gespür hat, die Koinzidenz von Ereignissen nicht als „Zufälle“ abzutun, wie es am Beispiel 20. Juli gezeigt wurde.
Marcel Beyers Sprache ist nicht immer sanft und schmusig. Er geht zur Sache, nennt die Dinge schonungslos beim Namen. Er tut damit genau das, was diese chaotische Zeit verdient. Dabei wahre er in seiner Lyrik die traditionelle Versform, konstatierte Lehmkuhl.
Das gebe ihm die Freiheit, die er brauche, um der Vulgarität und Idiotie, um dem niederschmetternden, aber auch amüsanten Irrsinn der Gegenwart Herr zu werden. „Und nur im Zeichen der Asozialität, der eingestandenen Nutzlosigkeit kann er ihr gänzlich gerecht werden. Dass er bei allem Wahrnehmungswahnsinn die Übersicht behält, ist unser Glück. Folgen wir weiter seiner Hölderlin-Handschrift, wie sie fließend in seine Hooligan-Handschrift übergeht“, schloss Lehm-kuhl seine mit viel Beifall aufgenommene Laudatio.
Förderpreisträger Joshua Groß überraschte das Auditorum zu Beginn mit einem unaufdringlichen aber bestimmten „Hallo“ und sicherte sich damit die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer. Er hatte der Jury mit seinem Roman „Flexen in Miami“ imponiert. Darin wird berichtet, dass irgendetwas beim Einsatz des Reinigungsroboters gründlich schief gelaufen ist, denn dieser steuert ungebremst ins Meer. Zurück bleibt ein geschockter Joshua, das Bild eines „Reinigungsprogramms im Energiesparmodus für Land und Meer“ in der Hand.
Mit viel Witz führe der junge Autor dem Leser „eine überforderte Gegenwart, einen überforderten Planeten vor Augen“, hatte sein Laudator Professor Heinz Drügh festgestellt. Dieser hielt es durchaus für möglich, dass gegen Ende des Jahrhunderts dieser Roman als Ausdruck der heutigen Zeit in Schulbüchern abgedruckt werde. Hölderlin ähnlich, schaffe Groß nichts Großes, ästhetisch Hehres. Er lenke den Blick vielmehr auf die komplexen Verhältnisse der Gegenwart. Diese machten es nötig, Unterschiedliches sowohl auszuhalten als nicht auszuhalten. Kämpfen lohnt also nicht immer. Joshua Groß selbst hält nichts davon, „ohne Rätsel zu leben“, denn auf das ungelöste Chaos der Lebenswelt gebe es nicht immer Antworten. Die Kunst aber könne Gegenimpulse auslösen: „Die Kunst ist eine Sphäre, in der man sich anstrengt, aber nicht anpasst“, sagte er. Dazu braucht es Charakterstärke, und an der scheint es Joshua Groß nicht zu fehlen.