Maria braucht drei neue Finger

Mit liebevoller Hand streicht der Holzbildhauer aus dem Wispertal über die Narbe an des Königs Rücken. Es muss sich richtig anfühlen, dann ist es gut. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Bad Homburg. Ihre neuen Finger bekommt die Mutter des Jesuskinds in einer alten Lagerhalle in der Obergasse. Maßgeschnitzt von Holzbildhauer Johannes Bender, der dort das gesamte Personal der großen städtischen Weihnachtskrippe mit einem Dutzend Figuren vom kleinen Christuskind bis hin zum Esel restauriert. An den Stellen, wo es nötig ist, Risse flickt, Abgetrenntes fein ersetzt, die Narben in Feinarbeit abschleift und schließt. Knapp 100 Tage vor dem Heiligen Abend ist er so gut wie fertig mit seinem Werk.

Ein Luxus-Atelier haben die Homburger dem Krippen-Restaurator nicht gerade zur Verfügung gestellt. Dicht an dicht stehen und liegen die meist mannshohen Figuren quer durcheinander. Maria liegt am Boden, streckt die „verwundete“ Hand nach oben, das Christuskind liegt ohnehin. Ein Schaf mag sich das gar nicht ansehen, schaut in Richtung Lichterketten, die fein aufgereiht hängen, ein König starrt mit Kette um den Hals die Wand an, der Esel hat eine Rissnarbe auf der rechten Flanke, die wie ein Blitz aussieht. Hier arbeitet Johannes Bender mit Kreissäge und Flex, mit Japansäge und Schnitzmesser und vielen scharfen Stecheisen in vielen unterschiedlichen Breiten und Stechbeiteln mit Klingenkrümmungen.

Johannes Bender ist nicht unbedarft aus Espenschied im Wispertal in die Kurstadt gekommen. Dort lebt und arbeitet er in Ruhe, betreibt auch ein Malatelier für Kinder. Nina Gerlach vom Stadtmarketing hat schon im vergangenen Jahr bei ihm angefragt, ob er die Arbeit übernimmt. Da hat er die Weihnachtskrippe auf dem Kurhausvorplatz eingehend studiert.

Seit 2020 steht sie da alle Jahre wieder, zwei Jahre zuvor hat die Stadt in ihre Obhut übernommen, was zuvor die Aktionsgemeinschaft Bad Homburg betreut hat. Vor dem Kurhaus hat sie ihren „richtigen Platz“ gefunden, das findet Pfarrer Werner Meuer so wie die Stadtoberen und viele andere Menschen. Dort bekommt sie allemal mehr Publikum als die Jahre zuvor im heimeligen Schlosshof.

Kleine Keile für die Risse

Johannes Bender ist gut vorbereitet. „Ich arbeite viel vor im Kopf“, sagt der 58-Jährige. Weiß bei jeder Figur vor Beginn, wie er sie wieder fit machen will. „Das Machen geht dann manchmal recht schnell.“ Es sind vor allem Risse, die der Maler und Holzbildhauer ausbessert.

Im Rücken des einen Heiligen Königs etwa. Das ist Feinarbeit in vielen kleinen Arbeitsschritten, denn im oft diagonal bearbeiteten Holz verläuft der Riss in einer leichten Kurve mit Kanten. Da muss Johannes Bender viele kleine Keile zusägen, die nacheinander in die einer Skoliose ähnelnden Risslinie eingefügt werden und danach einzeln vorsichtig mit Stecheisen und Stechbeitel nach Trocknung des Leims bearbeitet und zuletzt vorsichtig geschliffen werden müssen, damit es eine schöne Naht gibt. Für die Verbindung nutzt er dann gerne Sägespäne und Holzleim, das gibt vermischt ein gutes Bild. Vor allem, wenn es danach noch mit der passenden Künstlerölfarbe zart überstrichen wird.

Die Figuren sollen ja am Ende wieder aussehen, wie der Künstler Tadeusz Golinczak sie einst konzipiert hat. Mit Josef, Maria und dem Jesuskind am Anfang, damals 2006. Bis 2012 kamen immer weitere Figuren hinzu. Der Aktionsgemeinschaft Bad Homburg ist das zu verdanken, der damalige Vorsitzende Jörg Hölzer hatte die Idee von einer Reise in die USA mitgebracht. Finanziert wurden sie durch Bürgerspenden. Die Restaurierung nun zahlt die Stadt. „Die Risse sind normal“, sagt Bender, das Holz lebe auch nach vielen Jahren noch. Der Kollege Golinczak aus Polen habe die Figuren aus dem ganzen Stamm geschnitzt, „die Risse entstehen aus dem Kern, da sitzt die Spannung“.

Gutes Lindenholz, das werde gerne bei solchen Aufgaben genutzt, er selbst bevorzugt bei seinen Projekten das etwas härtere Eichenholz. „Charaktervoll und hochwertig“ nennt Johannes Bender die Werke des eigentlichen Juristen aus Polen, der sein Hobby zum Beruf machte, als er seine Abschlussprüfung in Jura an der Uni einst nicht machen durfte. Auch Pfarrer Meuer ist angetan von dem Ensemble, freut sich auf die Eröffnung des Weihnachtsdorfes vor dem Kurhaus mit der traditionellen Krippe. Das dauert nur noch knapp zwei Monate.

Restaurator Bender wird dann wahrscheinlich mit seinem bescheidenen Wohnauto auf Sardinien unterwegs sein und dort den Winter verbringen. Er wird dann nicht als Bildhauer arbeiten, eher als Straßenmusiker auf seiner Gitarre spielen.

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