„Wir müssen uns im Loslassen üben und Leben fröhlich feiern“

„Nicht am Leid hängenbleiben, sondern das Leben feiern“: Nach drei Jahrzehnten im ehrenamtlichen Dienst nimmt Ingrid Rochlus, die den Hospizdienst Bad Homburg mitgegründet und lange Jahre das Gesicht der Ökumenischen Sozialstation mitgeprägt hat, nun Abschied von allen Ämtern. Foto: a.ber

Bad Homburg (hw). Am Rand ihres Gartens stehen zwei Schaf-Skulpturen und blicken durch die Zaunmaschen nach draußen. Auf der Terrasse etwas erhöht steht eine blaue Lutherfigur des Künstlers Ottmar Hörl und schaut ins Weite, neben ihm ein weiteres Schäfchen. Behütet mit neugierigem Blick ins Leben – mit der Freiheit eines Christenmenschen im Rücken Verantwortung in der Welt suchen und fröhlich drauflos leben: Ingrid Rochlus, die nach 30 Jahren in Ehrenämtern in Bad Homburg am 1. Mai aus allen diesen Aufgaben zurückgetreten ist, liebt Symbole und Bilder des Lebens. Die 76 Jahre alte Mitbegründerin des christlichen Hospiz-Dienstes und langjähriges Vorstandsmitglied der Ökumenischen Sozialstation der Kurstadt wurde nun in einem Gottesdienst in der Erlöserkirche, wo sie 25 Jahre Kirchenvorsteherin war, von Pfarrer Andreas Hannemann offiziell bedankt und verabschiedet.

„Mein Konfirmationsspruch ‚Weise mir, Herr, deinen Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit‘ war mir stets Richtschnur“, sagt Ingrid Rochlus im Gespräch. „So hat das Leben mir immer gezeigt, was es von mir will. Ich habe ‚Plänchen‘ gemacht, wenn sie aufgingen, war es schön, wenn nicht, hatte ich eben ein schönes Plänchen gemacht; wir Menschen müssen uns in Gelassenheit und im Loslassen üben und das Leben fröhlich feiern.“ Dass Ingrid Rochlus aber auch mit viel Beharrlichkeit und Engagement die einmal angefangene ehrenamtliche Arbeit verfolgte, zeigen nicht nur die langen Phasen, in denen sie Projekte gestaltete und begleitete. Dieses Engagement ist auch ihrem ureigenen Temperament geschuldet.

Ihr christlicher Glaube, den die 1946 in Freiburg im Breisgau geborene Jüngste dreier Geschwister in einer ehrenamtlich vielfältig engagierten protestantischen Familie aufsog, lehrte sie auch die Haltung, im Ehrenamt in Beziehung mit anderen Engagierten und auch den hauptamtlich Tätigen der Kirche mutig und frei Argumente und Überzeugungen auszutauschen. Da sei sie für manchen vielleicht auch mal unbequem gewesen, meint sie im Rückblick. Und gerade im Blick auf die Organisation der Ökumenischen Sozialstation im Spannungsfeld zwischen kirchengemeindlicher Anbindung an die Homburger Gemeinden und professionell zu leistender ambulanter Pflege sei ihr dabei nicht alles gelungen, sagt Ingrid Rochlus selbstkritisch. Doch ihr Credo „Kompetent, christlich, engagiert“, das sie während ihrer zwölf Jahre im Vorstand der Sozialstation, zuletzt mehrere Jahre als Vorsitzende, gemeinsam mit den Mitarbeitern des Pflegedienstes entwickelte, bleibt – als Herausforderung und Anforderung. Ebenso wie ihr Anspruch, dass Hauptamtliche und Ehrenamtliche in der Kirche einander „als für die Menschen Handelnde auf Augenhöhe begegnen sollten“.

Den Umgang mit Menschen lernte Ingrid Rochlus nach dem Hauswirtschaftlichen Fachabitur als ausgebildete Fachkraft und Einkäuferin beim Warenhaus Kaufhof in Freiburg. „Ich wollte mit Menschen umgehen – und ich wollte mit Anfang zwanzig Paris, Mailand und New York sehen!“, lacht die tatkräftige quirlige Frau. Sie machte schnell Karriere. 1971 wurde sie Abteilungsleiterin im größten Kaufhof in Düsseldorf Am Wehrhahn. „Da bin ich viel gereist, Luxus, hohe Schuhe und Designerklamotten – aber bodenständig bin ich geblieben: Ich habe lieber den Weihnachtschor der 150 Lehrlinge geleitet und mich um Einzelne gekümmert, die es nicht leicht hatten in ihrem Leben.“

Ausgrenzung trat sie resolut entgegengetreten, griff als Ausbilderin zum Wohl gefährdeter junger Menschen ein. „Jeder Mensch hat das Recht, zu sein, wie er ist.“ 1975 Heirat und 1977 Geburt der Tochter: Da gab Ingrid Rochlus aus Überzeugung ihren Beruf auf und engagierte sich fortan ehrenamtlich. 1987 zog die Familie nach Bad Homburg, im selben Jahr starb ihr Vater, „und mein Leben bekam eine andere Richtung.“ Sie, die friedensbewegt früher mit einer Freundin in der indischen Entwicklungshilfe Brunnen baute und den Verkauf von Makramee-Taschen in Deutschland organisierte, die politische Häftlinge auf den Philippinen hergestellt hatten, schaute wieder mal über den Zaun der Konventionen: Meditationskurse beim deutsch-japanischen Jesuitenpater und Zen-Meister Lassalle mit christlichen und buddhistischen Inhalten „haben meinem Leben mehr Tiefe gegeben und das Thema ‚Loslassen‘ wichtig gemacht. Aber Buddhistin wollte ich nun nicht werden.“

2002 begann sie zusammen mit Pfarrerin Helgard Kündiger eine Hospizbewegung in Bad Homburg zu entwickeln, 2004 wurde der Hospizdienst Bad Homburg gegründet. Zu Hause sterben dürfen, loslassen können, diesen Gedanken hat die kirchlich ausgebildete Trauerbegleiterin und vehemente Gegnerin eines selbstbestimmten Suizids vielen Sterbenden – im ehrenamtlichen Dienst auch für die Erlösergemeinde und als Hospiz-Beauftragte für das Rind’sche Bürgerstift – nahegebracht und dabei sensibel begleitet. Selbst seit 2021 verwitwet und zuvor in ihrem Leben auch durch persönliche Täler gegangen, hält Ingrid Rochlus den christlichen Glauben für eine Quelle der Kraft. „Leider ist der Institution Kirche und ihren Vertretern an vielen Punkten die Kraft, mit Mut Christen zu sein und das Leben in Fülle und Freude zu feiern, abhanden gekommen, das ist mein großer Schmerz. Angst herrscht vor, und sogar die jungen Menschen in unserer Gesellschaft trauen sich bei all den Weltuntergangs-Szenarien und Negativ-Gedanken oft nicht mehr, vertrauensvoll selbstbestimmt zu leben. Daran sind wir Älteren auch mit schuld.“ Die 76-Jährige hat indes voller Vertrauen in den ihr eigenen Schwung für ihren Ehrenamts-Ruhestand noch „ein Plänchen“: Lebensbeistand in der Trauer anzubieten, „mit dem Akzent auf: Leben!“



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