Bad Homburg (jas). Als am Halloween-Abend die Augen von ausgehöhlten Kürbissen unheimlich funkelten und achtbeinige Spinnen in ihren Netzen für Schrecken sorgten, wurde es auch im Kurtheater gruselig. Der Vampir Orloc trieb dort sein Unwesen – glücklicherweise nur im Stummfilm „Nosferatu“, der an diesem Abend auf dem Programm der Aboreihe „Der Schauspieler“ stand. Es war ein gruseliger, interessanter und sehr außergewöhnlicher Abend, der wesentlich mehr Zuschauer verdient gehabt hätte.
Bevor Gastgeber Stephan Graf von Bothmer die Zuschauer mit nach Transsylvanien nahm, hatte er jedoch ein kleines Experiment vorbereitet. Er wollte demonstrieren, wie Filmmusik die Wahrnehmung verändert. Und das gelang eindrucksvoll. Zweimal zeigte der Komponist denselben Werbefilm – ein Mal mit, ein anderes Mal ohne Musik. „Merken Sie? Es ist ein komplett anderer Film!“, sagte Graf von Bothmer nach Ende des Versuchs. „Die Musik verstärkt die Gefühle.“ Deutlich wurde dies auch beim Scherenschnittfilm „Khasana, das Tempelmädchen“ aus dem Jahr 1923 von Julius Pinschewer.
Nach dieser besonderen Einführung konnte es losgehen. Stephan Graf von Bothmer, der an diesem Abend am Klavier saß, machte den Stummfilmklassiker von 1922 zusammen mit den Musikern des Berliner Live-Filmmusic-Orchestra nicht nur lebendig, sondern weckte Emotionen. Die Klavierklänge, der Gesang der Sopranistin Fanny Rennert, das Cellospiel von Kristoff Becker sowie die Rhythmen und die Vielzahl an Geräuschen, die Florian Goltz seinen Instrumenten entlockte, zogen die Zuschauer mitten hinein ins Geschehen. Der Stummfilm „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau ist die erste Dracula-Adaption der Filmgeschichte und gleichzeitig die charismatischste; eine ebenso schöne wie unheimliche Reise ins Unterbewusste, in das Reich der verborgenen Ängste und Wünsche. „Nosferatu“ zählt zum deutschen Filmexpressionismus und gilt als einer der künstlerisch wertvollsten Filmproduktionen aller Zeiten. Grundlage ist Bram Stokers Roman „Dracula“.
Der Film sollte nach einem verlorenen Urheberrechtsstreit 1925 vernichtet werden, überlebte aber in zahlreichen Schnittversionen und ist heute in mehreren restaurierten Fassungen verfügbar. „Nosferatu“ wurde zum Beispiel 2005/2006 von Luciano Berriatúa für die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung Wiesbaden restauriert.
Zum Inhalt: Der junge Häusermakler Hutter wird nach Transsylvanien geschickt, um den Grafen Orloc ein verfallenes Haus zu verkaufen. Dieser erkennt in Ellen, der Braut Hutters, das Objekt seiner Begierde und macht sich auf den Weg nach England. Überall, wo er erscheint, bricht die Pest aus. Hutters Braut erkennt in Orloc den Vampir und gibt sich ihm hin, so dass dieser den Hahnenschrei verpasst und von der aufgehenden Sonne verbrannt wird. Im selben Augenblick verschwindet auch die Pest.
Die Handlung spielt in der fiktiven Hafenstadt Wisborg. Als Kulisse diente bei den Dreharbeiten 1921 die Stadt Wismar. Die Lübecker Salzspeicher wurden zu Nosferatus neuem Domizil in Wisborg. Weitere Außenaufnahmen folgten in Lauenburg, Rostock und auf Sylt sowie in den Karpaten.