Bad Homburg (nl). David Rotts wohl bekannteste Rolle war die des Udo Jürgens im Film „Der Mann mit dem Fagott“. Als er am Abend des 2. Advent in die vollbesetzte, beheizte und in warmes Licht getauchte Erlöserkirche kommt, hat er an seiner Seite die Schülerinnen Mathilda und Mia sowie den jungen Rocco, der mit seiner Geschichte vom Panettone, dem italienischen Weihnachtsgebäck, später noch für Heiterkeit sorgen wird. Zusammen mit David Rott im feinen schwarzen Anzug lesen sie unter dem Titel „Christmas in Venice“ Geschichten, die allesamt mit Venedig zu tun haben.
Unter erwartungsvollem Applaus setzen sich die Vier an einen langgezogenen, mit rotem Samt bezogenen Tisch, der an einen feierlichen Altar erinnert. Hinter ihnen stehen der Bachchor der Erlöserkirche und das Barockorchester „La Tirata“, außerdem die Sopranistin Gabriele Hierdeis und Organistin Susanne Rohn, die an diesem Abend zum ersten Mal mit ihrer ausdrucksvollen Mezzosopranstimme für einen musikalischen Höhepunkt sorgt. Zum Auftakt gibt es Antonio Vivaldis „Magnificat“. Wobei die Duette dermaßen gekonnt gleich in den ersten Minuten für Gänsehautmomente sorgen, weil die Stimmen den riesigen Kirchenraum mit großer Präsenz ausfüllen. Dann setzt David Rotts angenehm akzentuierende Stimme ein.
Hat man sich bislang vielleicht hier und da gefragt, weshalb ausgerechnet prominente Schauspieler beim Poesiefestival vorlesen und damit die Kartenpreise in die Höhe treiben, ist diese Frage am Sonntagabend vollständig beantwortet. David Rott versteht es, die vorweihnachtliche Stimmung während seiner Lesung einzufangen. Unter dem großen Weihnachtsbaum mit seinen goldenen Kugeln und Sternen, den Lichteffekten, die den Altarraum mal in blaues, mal in rotes oder gelbes Licht hüllen, werden die Zuhörer mit einer Fanny-Lewald-Geschichte unterhalten. Die Schriftstellerin aus dem 19. Jahrhundert setzte sich für Frauenrechte ein. Befana, die italienische Weihnachtshexe, bringt den Kindern auf der Suche nach dem Jesuskind am 5. Januar, einen Tag vor der Ankunft der Heiligen Drei Könige, Geschenke, erfahren wir von Mathilda, die die Geschichte beeindruckend sicher vorliest, obwohl der jungen Schülerin die Aufregung, vor großem Publikum zu lesen, deutlich und verständlicherweise anzumerken ist. Weiter geht’s mit der „Parzifal“-Legende, die von Richard Wagner aufgegriffen wurde, und es folgt ein Ausschnitt aus Thomas Manns „Tod in Venedig“. Dass Goethe sich im Gewimmel Venedigs einsam fühlte und befand, dass Venedig nur mit sich selbst vergleichbar sei, erfahren die Zuhörer dieses Abends ebenfalls. Zwei Stunden werden zu einer kurzweiligen Bildungsreise. Hermann Hesse erzählt vom Stadtteil „Zattere“, wo er Geigenmusikklänge ausfindig macht und dies zum Anlass nimmt, dem Sieg der Schönheit Venedigs zu huldigen.
„Das Erste, was wir tun müssen, ist, dass wir alle Rechtsgelehrten umbringen“, wird am Adventsabend sogar Shakespeare zitiert und das unter dem unverhohlenen Lachen aus dem Zuschauerraum. Donna Leon, die in Venedig lebt, so erfährt man, wolle hingegen „alle Kraftwagenfahrer umbringen“. Denn da in der von 70 000 Seelen bewohnten Provinzstadt Venedig keine Autos fahren, ist Venedig die Stadt des Klatsches, in der das Schmiergeld in Form einer Tasse Kaffee gezahlt wird. Hier herrsche ein Gemeinschaftsgefühl ganz ohne Chat. „Venedig vermag uns auf bescheidene Weise vor solchem Unfug zu bewahren.“
Als schließlich David Rott den Applaus aus dem Publikum noch einmal kurz unterbricht und mit dem denkwürdigen Satz „Wir leben in unruhigen Zeiten“ ankündigt, aus dem Lukas-Evangelium von Jesu Geburt vorlesen zu wollen, und sagt, es sei die Geschichte eines Kindes, das seit 2000 Jahren den Frieden nähre, ist es das passende Ende eines vielfältigen Programms. Susanne Rohn, die sich hauptsächlich an Vivaldis „Magnificat“ und Claudio Monteverdis „Cantate Dominum canticum novum“ und „Pulchra es“ aus der Marienvesper gehalten hatte, ließ zum feierlichen Schluss Giovanni Gabrielis Barockstück „Jubilate Deo“ intonieren.