Immer wieder am Heiligen Abend

Von Tatjana Lenz

Schwalbach. Zu Weihnachten oder am Heiligen Abend arbeiten ist für manche Berufsgruppen nichts Neues oder gar Ungewöhnliches. Man denke da nur an das Pflegepersonal im Krankenhaus, Ärzte, Polizeibeamte, Rettungsdienste oder Bestatter. Häufig sind dies aber Berufsgruppen, die in Wechselschichten arbeiten und auch dann und wann an den besonderen Feiertagen frei haben. Nicht so der katholische Pfarrer Alexander Brückmann. „An den hohen Feiertagen im Jahr arbeite ich immer“, sagt er. Und dabei ist immer noch ein Lächeln in seinem Gesicht.

Zu Ostern und Weihnachten gibt es seitens der Kirche Urlaubssperre. Klar, dass habe er bei seiner Entscheidung, Pfarrer zu werden nach dem Abitur, schon berücksichtigt.

Gute Vorbereitung ist das A und O

Für den Pfarrer ist es ein mehr oder weniger ganz normaler Arbeitstag im Jahr. Doch wie stellt sich da die viel gepriesene, besinnliche Stimmung überhaupt ein? „Auch die ist ein Teil der Vorbereitung“, räumt er ein. Und die beginne häufig schon vor der Adventszeit. Im Wesentlichen sei es eine gemeinschaftliche Leistung und ein gutes Gefühl, „wenn dann am Heiligen Abend alle zufrieden sind und alles gelungen ist.“ Ob es gelungen ist, das könne er mit einem Blick in die Gesichter erkennen. Zeit habe er oftmals einen Tag vor dem Heiligen Abend, „das ist die Ruhe vor dem Sturm“. Wenn nicht gerade die Corona-Pandemie dazwischen funkt, dann ist Pfarrer Brückmann am 24. Dezember gleich drei Mal gefordert. Das ist kräftezehrend, schön, aber eben auch anstrengend. Am Nachmittag gebe es den Gottesdienst mit Familien und Kindern, am Abend und um Mitternacht stehen dann zwei weitere auf seinem Programmzettel. Ein langer Arbeitstag mit wenigen Pausen. Zeit für das große Festmahl nimmt er sich in den Pausen nicht. Überhaupt isst er an diesem Tag nur wenig, denn mit vollem Bauch lasse es sich nicht gut vor der Gemeinde stehen. Das sei das Programm in den Zeiten vor Corona gewesen. Dann habe er noch schnell bei den Alleinstehenden und Älteren im Gemeindehaus vorbeigeschaut, für die es ebenfalls in der Vergangenheit eine kleine Zusammenkunft nach der Kirche gab, und schon ging es dann auch wieder weiter. Ruhe? Eher nicht. Krank sein auch nicht. „Selbst wenn es einem nicht gut geht, sagt man die Gottesdienste nicht ab“, weiß Brückmann. Das sei auch der Erwartungshaltung der Gemeinde geschuldet. Krank sein ist an diesem Tag keine Option. Und sollte es doch soweit kommen, dann müsse überlegt werden, ob es nicht jemanden aus der Gemeinde gebe, der einspringen könne, „denn auch die Kollegen sind an diesem Tag alle im Einsatz.“ Den Wunsch nach Urlaub habe er in dieser Zeit zumindest noch nicht gehabt. Und das nicht etwa, weil er ohnehin kein Ski fährt oder sich im Dezember lieber an einen warmen Strand legen würde. Nein, für Pfarrer Alexander Brückmann ist die Advents- und Weihnachtszeit eine der schönsten Zeiten im Jahr überhaupt. „Da möchte ich gar nicht woanders sein.“

Überraschungen sind möglich

Viele seiner Termine am Heiligen Abend erscheinen planbar. Aber es gibt sie dann doch, die terminlichen Überraschungspakete, die so gar nicht Recht zum Thema Ruhe und Besinnlichkeit passen wollen. Wie zum Beispiel das Sterben. Denn auch der Tod kenne weder den freien noch den Feiertag. Dann ist der Mensch Alexander Brückmann genauso gefordert, wie der Pfarrer. Der Pfarrer kann zwar in seiner professionellen Art als Seelsorger und Tröster vor Ort sein, menschlich bedeutet es aber einen gewissen Kraftakt im Anschluss in die Kirche zu gehen und vor gut gelaunten Menschen zu predigen. Das wiederum verlangt auch einem Pfarrer eine Menge an Disziplin und Selbstbeherrschung ab. „Es weiß ja niemand, dass man vielleicht zwei Stunden vorher an einem Totenbett stand und Menschen getröstet hat“, gibt er zu bedenken. Seine Professionalität und das Wissen, dass der Tod zum Leben gehört, helfen ihm in zwei so unterschiedlichen Situationen ganz im Hier und Jetzt und für die Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen da zu sein.

Doch es gibt selbstverständlich auch die kleinen, anderen Unwägbarkeiten, die trotz all seiner guten Planungen auftauchen können. „Einmal rief mich am Mittag eine Kollegin an, die krank war und für die ich das Krippenspiel am Nachmittag übernommen habe.“ Das gehört zu jenen Dingen, die ungeplant und überraschend seine Flexibilität herausfordern. Klar hat er übernommen, und dann auch noch seine Gottesdienste im Anschluss gehalten. Während also ein Großteil des Heiligen Abends schon verplant ist, hat sich in den vergangenen Jahren aber doch auch ein kleines, liebgewonnenes Ritual in seinem Haus etabliert. „Die Kinder einer befreundeten Familie kommen am 23. Dezember zum Übernachten zu mir“, erzählt er, und es ist ihm anzumerken, dass er sich auch in diesem Jahr schon darauf freut. In der Familie werde in dieser Zeit der Tannenbaum geschmückt und Geschenke verpackt, kurzum: Die Eltern haben Zeit und der Pfarrer verbringt den Abend mit Spielen und früher noch, dem Vorlesen. Am nächsten Morgen kommen dann die Eltern zum Frühstück zu ihm. Diese gemeinsame Mahlzeit stärkt den Pfarrer für alle kommenden Stunden.

Seine Predigten hat er zu diesem Moment schon längst fertig. Überhaupt ist er da gerne früher als später dran. „Häufig beginne ich damit schon nach dem Gottesdienst am Sonntag und schreibe sie dann im Laufe der Woche.“ Seine Predigten entstehen nicht mit dem Vorsatz, jetzt werde die Predigt geschrieben, sondern sind ein fortlaufender Prozess. „Der Vorteil beim Nachdenken ist, man kann es überall tun“, sagt er schmunzelnd. Und so entstanden in früheren Jahren ganze Predigten auf dem Weg zur Arbeit, Texte las er noch mal an roten Ampeln, im Wartezimmer gab es Gelegenheit zum Denken und an allen anderen vorstellbaren Orten.

Doch zurück zum Heiligen Abend. Wenn die letzte Predigt gehalten, die letzten Besucher aus und vor der Kirche verabschiedet sind, hat auch Pfarrer Brückmann endlich Feierabend. „Ich besuche Freunde, wir essen und feiern zusammen“, erzählt er. Dann gebe es neben dem guten Essen einen entspannten Abend. Kommt er dann nach einem sehr langen Tag wieder zurück in seine Wohnung, stehe genau das an, worauf er gerade Lust habe. Das könne Lesen oder Fernsehen sein, „manchmal schaue ich auch noch mal meine E-Mails durch“, sagt er. Schließlich sind auch die Weihnachtstage wieder mit Gottesdiensten und vor allem den Besuchen bei Freunden und Verwandtschaft verplant. Und das hat auch der Pfarrer sicherlich mit vielen Menschen zu Weihnachten gemeinsam.

Der Eindruck könnte täuschen, denn die Predigten von Pfarrer Alexander Brückmann entstehen nicht nur an seinem heimischen Schreibtisch, sondern gedanklich überall. Foto: Tatjana Lenz

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