Friedrichsdorf (fch). Die Autorin, Zeitzeugin und Auschwitz Überlebende Eva Szepesi ist zu einer Lesung in die Philipp-Reis-Schule (PRS) gekommen. Erwartet wurde die 93-Jährige in der Aula von vielen aufmerksamen und erwartungsvollen Zuhörern.
Die Autorin las ihren konzentrierten Zuhörern aus ihrem Buch „Ein Mädchen allein auf der Flucht. Ungarn-Slowakei-Polen (1944-1945)“ vor und beantwortete anschließend Fragen. Geboren und aufgewachsen ist Eva Szepesi in Budapest. Dort hatten ihre Eltern ein Geschäft für Herrenmode. Die Familie musste ab April 1944 den Judenstern tragen. Der Vater wurde zum Arbeitsdienst nach Belarus geschickt. Aufgrund der zunehmenden Judenverfolgung flieht die elfjährige Eva mit ihrer Tante Piri zu Fuß durch einen Wald von Ungarn in die Slowakei. Sie sind elf Stunden unterwegs. Ihre Mutter Valery Diamant und ihr jüngerer Bruder Tamás sollten später nachkommen. Eva findet Unterschlupf bei mehreren Familien, muss sich schließlich auch von ihrer Tante trennen. Zuletzt kommt sie bei zwei „Märchen-Schwestern“ unter, bei denen sie sich sicher und wohl fühlt, bis sie von den Nationalsozialisten entdeckt, erst in ein Sammellager nach Sered und dann von dort in einem Viehwaggon ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau transportiert wird. Dort kommt sie am 2. November 1944 an. Erniedrigung, Hunger, Kälte, Gewalt und Einsamkeit sind fortan ihre Begleiter. „Zu den schrecklichen Appellen kamen noch die Misshandlungen. Kein Laut kam über meine Lippen. Das war was ich schnell in Ausschwitz lernte: Keine Aufmerksamkeit erregen, nicht auffallen“. Ihr wird die Registrierungsnummer (Häftlingsnummer) A 26 877 in den Arm tätowiert. Sie gab sich dort auf Befehl einer Wärterin „Du bist 16 Jahre alt, versuche dich ja nicht jünger zu machen“ als 16-Jährige aus. Sie bekam kaum Essen: „Hunger und Kälte waren unerträglich“. Eva wurde sehr krank.
Und so wurde sie Ende Januar 1945 nicht auf den Todesmarsch mitgenommen, da sie bereits für tot gehalten wurde, nachdem sie mehr als eine Woche lang ohne Essen und Trinken in der Kälte zwischen Leichen ausgeharrt hatte.
Bewusstlos mit Schnee „gefüttert“
Ihr starker Überlebenswillen beruhte darauf, dass sie die Hoffnung hatte, ihre Mutter wieder sehen zu können. „Wer sich aufgegeben hat, konnte nicht überleben.“ Sie wurde bei der Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945 von einem russischen Soldaten gerettet, der die Bewusstlose mit Schnee „fütterte“, sie ins Lazarett brachte, wo sie wieder aufgepäppelt wurde. Damit gehört sie zu den nur rund 400 Personen, die als Kinder die Haft in Konzentrationslagern überlebten, den so genannten „Child Survivors“. Aus dem Lazarett wurde sie nach Kattowitz gebracht und kam am 18. September 1945 zurück in ihre Geburtsstadt Budapest. Dort wird sie von einem Onkel abgeholt. „Dass ich meine Familie nie mehr wiedersehen werde, wusste ich damals nicht.“ Sie habe erst viel später anfangen können zu trauern, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihre Mutter sowie ihr Bruder in Auschwitz umgekommen waren. Nach dem Krieg schweigt Eva Szepesi. Erst 1995 kehrt sie in Begleitung ihrer beiden Töchter nach Ausschwitz zurück.
„Damit es nie wieder passiert“
Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie nie über das Erlebte gesprochen. „Ich spreche für all die, die nicht mehr sprechen können, denn es ist wichtig, über die Zeit der Shoah aufzuklären, damit es nie wieder passiert. Darüber zu sprechen ist eine Lebensaufgabe für mich“, informiert sie ihre jungen Zuhörer. „Der Holocaust begann damals nicht mit Auschwitz, sondern mit Worten und dem Schweigen der Gesellschaft. Es macht mir Sorgen, dass auch jetzt viel zu viele schweigen. Deshalb: Mischt euch ein, schweigt nicht!“, ruft sie ihrem Publikum zu. Sie habe trotz allem Grauen immer die Hoffnung gehabt, dass sie befreit werde, der Krieg zu Ende geht und sie wieder nach Hause gehen könne. Sie sei drei Mal in Ausschwitz gewesen: „Ich habe immer eine Kerze angezündet. Ausschwitz ist ein großer Friedhof.“ Sie erzähle jungen Leuten ihre Geschichte, die nicht zu leugnen sei. Sie könne nicht hassen, aber auch nicht vergessen. „Ihr habt die Verantwortung, dass so etwas nie mehr passiert.“ Im Januar 2025 ist ihr Buch „Ein Mädchen allein auf der Flucht. Ungarn-Slowakei-Polen (1944-1945)“ erschienen.
Bedanken sich bei der Zeitzeugin Eva Szepesi (Mitte sitzend) für die gelungene Lesung mit Frage-/Antwort-Runde: Barbara Wolf-Kause vom Arbeitskreis Asyl Friedrichsdorf und Schulleiterin Frauke Piorreck (v. l.). Links neben der Autorin steht ihre jüngere Tochter Anita Schwarz, die ihre Mutter zur Veranstaltung begleitet hat.Foto: fch