Vom Bodensee zum Königssee: Zwei Glashüttener seit zehn Jahren mit dem Rad auf Tour

Günter Zimmermann (links) und Gert Reiss am Ziel vor der Wallfahrtskirche St. Bartholomä im Königssee. Foto: privat

Glashütten – Vor der Wallfahrtskirche St. Bartholomä auf der gleichnamigen Halbinsel im Königssee, sind wir am Ziel. Wenn auch ohne unsere Fahrräder, denn die weltbekannte Wallfahrtskirche unweit von Berchtesgaden ist nur mit einem Personenschiff der bayrischen Seenschifffahrt erreichbar. Nach etwa 450 km das „Ende einer Dienstfahrt“, die sieben Tage zuvor in Lindau am Bodensee an einem der wenigen warmen und sonnigen Spätsommertage während unserer Tour begonnen hatte.

Wir, das waren auch diesmal wieder, wie seit nunmehr 10 Jahren, Gert Reiss und ich, der Autor dieses Berichts. Zwei inzwischen 75-jährige Nachbarn aus Glashütten, die auf Fernstrecken im In- und Ausland in die Pedale treten und so Länder und Menschen im Fahrradtempo erkunden.

Lindau am Bodensee, eine muntere Stadt voller Besucher aus aller Herren Länder und einem entsprechenden Sprachengewirr – herrliches Sommerwetter, in Sichtweite Bregenz, der Schweizer Festspielort und abends beim Sonnenuntergang am See – das war ein hoffnungsvoller Rad-Tourenbeginn auf , so die Tourismus-Beschreibung, „ landschaftlich schönsten Radwanderweg im Voralpengebiet“.

Doch am anderen Morgen, wie so oft in diesem Sommer, – Regen. Der Hotelwirt hatte schon bei der Begrüßung gesagt, was wir nicht glauben mochten : “Morgen fahren Sie besser mit der Bahn.“ Der Wetterbericht nannte es Starkregen. Da standen wir nun mit unseren mit 15 Kilo Gepäck beladenen Rädern und in Regenklamotten. Das Tagesziel Immenstadt 70 anspruchsvolle Radweg-Kilometer entfernt. Es war uns ein Trost, dass wir nicht allein mit unserer Entscheidung waren, dem Rat : „ Fahr lieber mit der Bahn“, zu folgen. Auf Regionalstrecken gibt es noch Fahrrad-Mitnahme ohne monatelange Reservierung. Als wir im trockenen Abteil sitzen, sehen wir auf dem Bahnsteig die Schlange derjenigen im Regen stehen, die zu spät gekommen waren. Mit 10 Fahrrädern war das Rad-Abteil voll.

Auch in Immenstadt – Regen. Da unser Interesse nicht nur Kilometern und Höhenmetern gilt, fanden wir beim Rundgang durch den Ort das Museum Hofmühle und lernten dort eine Menge über das Leben und Arbeiten in der Region u.a. bei der Käseherstellung, als die heimische Produktion unter abenteuerlichen Transportverhältnissen bis nach Magdeburg, Dortmund und das Rheinland geliefert wurde. Die Hofmühle war einst eine der leistungsfähigsten Mühlen im Bezirk Schwaben und so selbst ein Teil der regionalen Industriegeschichte.

Ohne den Hanfanbau in Immenstadt wäre 1855 die „Mechanische Bindfadenfabrik“ nicht entstanden, in der einhundert Jahre lang Seile, Garne, Fäden, Kordeln und Packstricke gefertigt wurden.

Kein Industriebetrieb prägte Immenstadt so sehr wie die „Kunert Strumpf- und Trikotagenfabrik“ deren edle Produkte auch im Kleiderschrank der damaligen persische Kaiserin Soraya landeten. In Immenstadt baute ab 1947 die Riedel –Motoren - AG das von Norbert Riedel entwickelte legendäre Leichtmotorrad „Imme“, Typ R 100.

Wenn auch die Bahn-Verlockung groß war: Am nächsten Morgen ging es bei zunächst leichtem-, später ab Hopfen am See Dauerregen auf dem Radweg 57 km Richtung Füssen. Wir sahen und erlebten leider nichts von der oft beschriebenen „einmalig schönen Landschaft mit Alpenpanorama“. Uns blieben nur die Strapazen der anspruchsvollen Strecke. Irgendwo übersahen wir wohl auch ein Richtungsschild und gerieten so auf den „Iller Radweg“, der uns zwar zu einem Umweg zwang, uns dafür aber durch den Pfaffenwinkel zur Wieskirche, seit 1983 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, führte.

Es ist zwar immer noch kein „Kaiserwetter“, aber immerhin scheint gelegentlich die Sonne und wir sehen blauen Himmel, als wir im sog. Allgäuer Königswinkel Füssen erreichen. Beim Stadtrundgang beeindrucken uns die gut erhaltenen gotischen Giebelhäuser. Fast zu einem Geschichtsunterricht wurde die Besichtigung des zum Franziskanerkloster gehörenden Friedhofs mit seinen den Respekt vor den Toten bezeugenden Grabgestaltungen. Nicht sehen konnten wir in der Friedhofs-kirche den Füssener Totentanz, den ältesten erhaltenen Totentanz in Bayern der heute zu den bedeutenden Monumental-Totentänzen Europas zählt.

Da uns auch am folgenden Tag, einem katholischen Feiertag, ausgiebige Regenschauern erhalten bleiben, bekommen wir nur wenig mit von einer Landschaft, die uns mit den Königsschlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau eigentlich, so der Reiseführer, „verzaubern“ sollte. So blieb uns von der 85 km Tagesstrecke nach Kochel am See nur die unerfreuliche Erinnerung daran, dass während einer Pause mit kurzzeitiger Unaufmerksamkeit eine von Gerts Packtaschen gestohlen wurde. Da konnte uns auch die Tatsache, dass ganz in der Nähe der Maler Franz Marc zusammen mit Wassily Kandinsky die Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ gründete, nicht erheitern.

Bei zunächst leichtem Regen starteten wir zunächst durch Wiesen und Felder Richtung Benediktbeuren mit seinem 739 gegründeten Kloster, in welchem heute zwei Hochschulen vielfältige Bildungsarbeit betreiben. Nach der Besichtigung und einer Zwangspause wegen Starkregens gelangten wir nach Bad Tölz, wo Gert den örtlichen Handel durch den notwendigen Ersatz seiner gestohlen Kleidungsstücke unterstützte. Auf einsamen Wald- und Geröllwegen, deren Zustand auch für Wanderer eine Zumutung wäre, führte der Radweg nach einem 13km langen Anstieg nach Gmund am Tegernsee.

Und dann endlich, am 6. Radreisetag, ein Sonntag, kein Regen. Die Sonne scheint. Wir fahren – erstmals in Kurzarmtrikots- die recht kurze Strecke aber mit beachtlichen Steigungen nach Schliersee und legen aus lauter Begeisterung noch eine Sondertour um den See mit bayrischer Brettljause ein. Aus unserer Absicht, in diesem von vielen Besuchern fast überlaufenen Ort, die obligatorischen Grüße „an die Lieben daheim“ zu erledigen, wurde nichts. Es gab, weder im Hotel noch irgendwo sonst im Ort, Ansichtskarten zu kaufen.

Am folgenden Tag geht es zunächst bei offener Witterung in Höhenlagen um die 800 m Richtung Aschau. Auf dieser Strecke machte sich leider auch ein Umstand bemerkbar, der uns zu einem 12km Umweg zwang. Am ansonsten sehr gut beschilderten Radfernweg hatte die Vegetation von Büschen und Hecken die Schilder überwuchert, sodass wir eine Kreuzung verpassten und auf den Innradweg gerieten.

Wie klein die Welt auch dort ist, wo man glaubt, auf einem Fernradweg fern von Freunden und Bekannten zu sein, stellte sich in Aschau heraus. Hier trafen wir auf ein Ehepaar, welches in Königstein lebt und zuvor viele Jahre in Glashütten gewohnt hatte. Ergebnis: Ein anregender Abend in einem stimmungsvollen urbayrischen Gasthaus in Bernau.

Während es im Reiseführer hieß“ Auch der Chiemgau begeistert mit seinem schönen Alpenpanorama“ sollten wir wohl für zwei Sonnentage bestraft werden. Denn der kommende Tag begann bei 16° erst einmal wieder mit Regen, tief hängenden Wolken und Nebel. Doch die etwa 75km Kilometer im Auf und Ab auf einer Höhenlinie um die 500m bis Bad Reichenhall waren dank inzwischen gestärkter Kondition gut zu bewältigen, ebenso wie am nächsten Tag der fast 10km lange Anstieg Richtung Berchtesgaden – ach, ich vergaß – bei Regen.

Alle Schwierigkeiten und Strapazen waren dann aber vergessen, als wir schließlich nach etwa 450km am Königssee, einem der schönst gelegenen Seen Bayerns, unserem Ziel, angekommen waren. Trotz des touristischen Trubels ist die Fahrt mit dem Schiff zur Halbinsel St. Bartholomä mit seiner weltbekannten Wallfahrtskirche unterhalb der Watzmann-Ostwand ein besonders beeindruckendes Erlebnis.

Zu einem teilweisen Ärgernis gestaltete sich die Bahn-Rückfahrt nach Frankfurt. Erneut, wie bei früheren Anlässen, stellten wir fest, dass die Bahn AG sich beim Wagenpark der Österreichischen Bundesbahn bedient. Diese Züge haben keine Abteile für mehrere Räder, sondern jeweils nur Stellplätze für 2 Räder in den normalen Zugabteilen. Trotz Reservierung sind diese zumeist mit dem Gepäck der Reisenden oder mit nicht angemeldeten Rädern zugestellt. Es kostete erhebliche Anstrengungen des Zugpersonals uns unsere gebuchten Stellplätze freizukämpfen. Ein unzumutbarer Zustand, welcher der wachsenden auch wirtschaftlichen Bedeutung des Radtourismus nicht gerecht wird.

Fazit unserer Rad-Fernreise vom Bodensee zum Königssee: Wir sind einen der anspruchsvollen und landschaftlich schönsten Voralpen Radwege gefahren. Auch wenn wir das aus Witterungsgründen nicht so erlebt haben: Es bleibt das beglückende Gefühl, es auch dieses Mal wieder geschafft zu haben. Und die Erinnerung geht dankbar zurück ins Jahr 2004: Die erste gemeinsame Rad-Ferntour auf dem Jakobsweg von Pamplona nach Santiago de Compostela.
Günter Zimmermann



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