Kleinbahn entgleist: Teurer Ausflug ins Kiesbett

Der Sachschaden von rund einer viertel Million Euro teilt sich zu annähernd gleichen Teilen in Beschädigungen am Triebwagen und Zerstörungen am Gleiskörper: In der Tele-Aufnahme ist deutlich zu erkennen, wie die führungslosen Stahlräder die hölzernen Schwellen zerschnitten haben.

Königstein (hhf) – Nun gut, die Kleinbahn ist nicht die Formel 1 und Kies ist nicht gleich Schotter, aber egal, ob man den Zaster nun „Kies“ oder „Schotter“ nennt, viel davon kostet es, wenn sich das bewegte Material von der vorgesehenen Route verabschiedet. Und dann die Sorge um die Menschen im Gerät, auch die verbindet Rennfahrer und Lokführer: Sie sind „Teamplayer“, sitzen zwar am Steuer, was aber gar nichts nutzt, wenn die Mannschaft im Hintergrund ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Eine weitere Gemeinsamkeit: In der Boxengasse wird nicht gerast, aus Sicherheitsgründen, was definitiv nun auch am Königsteiner Bahnhof wieder einmal Menschen vor Schaden bewahrt hat.

Kurz nach 14 Uhr war dort nämlich am Montag beim Rangieren ein Triebwagen aus den Gleisen gesprungen, mit bewusst mäßigem Tempo zwar, aber etliche Anwohner bemerkten doch ein heftiges Rumpeln. „Das hat richtige Schläge getan“ berichten einige Kinder aus der Kurmainzer Straße, die mit Oma nachsehen, was das denn wohl war – schließlich sind die Nachrichten von einem Erdbeben bei Darmstadt erst zwei Tage alt und von „Nachbeben“ hat man ja genug gehört – aber die gibt es ja nur in der Nähe des Hauptbebens. „Irgendwann landet doch noch einmal einer in unserem Haus“ befürchtet die Familie Jacobs als direkte Bahnsteig-Anlieger, wenn auch nicht ganz im Ernst, denn die Architekten wissen genug über die Stabilität des Bahnsteiges sowie ihres Fundamentes und die Tempobeschränkung im Bahnhof, um sich sicher zu fühlen. Dennoch empfinden sie es auch diesmal wieder als äußerst eindrucksvoll, wie lange es dauert, bis ein wirklich langsamer Zug trotz Notbremsung zum Stehen kommt. Nun ja, runde 80 Tonnen repräsentieren eben die „Trägheit der Masse“ schon etwas anschaulicher als im Physikunterricht möglich, gerade hier gilt aber auch die goldene Regel aus dem amerikanischen Schulfernsehen: „Don’t do this at home“.

Deutlich unwohler hatten sich vor knapp drei Jahren die Insassen des Bahnhofskiosks gefühlt, damals war der Triebwagen direkt in der Einfahrt zum Hauptbahnsteig entgleist und kam laut grollend immer näher auf sie zu: „Der wird immer größer, nun bleib doch stehen“ dachte Betreiberin Evelyn Spahn damals, was auch funktionierte, denn der Triebkopf stieß gegen die Bahnsteigkante und stoppte dort. Diesmal hat sie eher nichts mitbekommen, der Fahrkartenverkauf wegen ausgefallener Automaten überdeckte das Geschehen im Hintergrund. Hatte der Lapsus von 2011 (KöWo-Titelgeschichte vom 7. Juli) erhebliche Auswirkungen auf den Linienverkehr, so kann der Unfall diesmal – Fahrplantechnisch gesehen – getrost als ein „Kollateralschaden“ eingestuft werden, denn die harte Weiche, die dem Triebwagen zum Verhängnis wurde, liegt im dritten Schienenstrang hinter dem Bahnsteig. Wie schon 2011 war der stählerne Richtungswechsel erfolgt, als der Zug bereits über die bewegliche Abzweigung fuhr, sprich, die Weiche wurde unter dem passierenden Triebwagen umgestellt, was zu einem Querstand zwischen zwei möglichen Richtungen führte.

Die Weichen werden zwar – im Rangierverkehr telefonisch angefordert – vom Stellwerk Hornau aus gestellt, sind aber direkt mit einem Signal verbunden, weshalb Missverständnisse eigentlich ausgeschlossen sein sollten. Die Ermittlung der genauen Unfallursache wird sich über die Überprüfung aller auch technischen Möglichkeiten länger hinziehen, schnell wurde die Hessische Landesbahn (HLB) dagegen tätig, um den Betrieb von Bahnhof und Zug-Werkstatt wieder zu gewährleisten. „Reibungslos“ geht das im Millimeterbereich von Stahlrädern auf Eisen-Bahnen allerdings nicht, obwohl schon am Dienstag ein Gleisbautrupp versuchte, die Geschichte wieder gerade zu biegen: „Das reicht, um in sehr langsamer Fahrt den Werkstattbereich wieder zugänglich zu machen“, fasst Betriebsleiter und Eisenbahningenieur (mit Kleinbahnerfahrung von Jugend auf) Jochen Fink die notwendigen Maßnahmen zusammen, eine grundlegende Sanierung wird nach Bestellung aller passgenauen Teile erst im Sommer geschehen können.

Der entgleiste Triebzug wurde schließlich von einem privat angemieteten Autokran angehoben und komplett auf das Nachbargleis versetzt, in diesem Fall ein effektiveres Verfahren als die von der Frankfurter Feuerwehr angebotenen hydraulischen Pump-Stempel: „Dafür war der Zug schon zu weit aus den Gleisen geraten“ seufzt Fink, der nach etlichen Jahren im Amt durchaus weiß, was der „Eingleisungszug“ alles kann – aber die Distanz war diesmal eben zu weit, außerdem musste der gesamte Zug schnellstmöglich von den eventuell nicht mehr zu befahrenden Gleisen verschwinden, um die nötigen Streckenarbeiten schnellstmöglich anfangen zu lassen. Immerhin hat in der Königsteiner Werkstatt auch der vor wenigen Tagen bei Friedrichsdorf von einem Traktor mit Baggerschaufel aufgeschlitzte Zug seine Heimat.

„Der muss richtig in Reparatur zum Hersteller, das dauert zwei bis drei Monate“ bilanziert der Betriebsleiter, das selbe Schicksal trifft nun auch den jüngst entgleisten Triebzug älterer Bauart, um alle Fahr- und Bremssysteme nachhaltig zu überprüfen. „Gehen Euch langsam die Züge aus?“, die Frage kann ich mir gegenüber meinem alten Schulkameraden dann doch nicht verkneifen, doch Jochen Fink bringt es wie gewohnt trocken auf den Punkt: Etwas anders als üblich müssen sie schon planen und es sollte auch nicht mehr viel Schlechtes passieren, dann werden die Passagiere nichts merken. Und was ist mit der dicken Dampflok an Pfingsten zum Bahnhofsfest? – Nun, auch das sollte zu bewerkstelligen sein, sie muss ja nicht gerade über die lädierte Weiche in die Triebwagenwerkstatt fahren, da gibt es eben ein paar andere Verkehrsvorschriften als bisher üblich, passend zum neuen Punktekatalog in Flensburg. „Aus-weichen verboten.“

Schräger Galgenhumor autofahrender Journalisten? Nein Danke, liebe hupenden, rasenden und schleichenden Verkehrsteilnehmer!

Im Gegensatz zum Gaffertum auf unseren Autobahnen wirkte sich die kühle Professionalität der HLB-Mitarbeiter am Unfallort sehr beruhigend aus, denen man getrost auch im Falle schlimmeren Geschehens zuverlässige Hilfeleistung zutrauen darf. Sicherlich fiel das böse Wort mit „Sch“ am Anfang mehrfach, doch in kürzester Zeit hatte man sich nach dem Lokführer und eventuellen Passagieren erkundigt, einen Notruf sowie weitere wichtige Meldungen abgesetzt und bekämpfte dann das auslaufende Hydrauliköl am Fahrwerk, während sich andere Kollegen schon ein Bild von den genauen Umständen verschafften, um die Bergungsaktion vorzubereiten – Handy ständig am Ohr, aber ausnahmsweise mal aus gutem Grund.

Beeindruckend unaufgeregt das ganze Vorgehen, so unauffällig, dass kaum ein Königsteiner mitbekam, was überhaupt passiert war und sogar einige Schüler, die kurz nach der Entgleisung zum Bahnhof kamen, um nach Schneidhain zu fahren, erst nach einigen Minuten auf die vielen Männer in orangen Westen im Hintergrund aufmerksam wurden: „Boah, guck mal, der Zug steht ja ganz schief!“ Auch das aber nicht lange, um kurz nach 20 Uhr war trotz (erklärlicherweise) kurzfristiger Anforderung eines 140-Tonnen- Krans wieder „Klar Schiff“ im Königsteiner Bahnhof. Die direkten Anlieger werden sich im Sommer zwar noch einmal über nächtlichen Baulärm freuen dürfen, der wird aber in den ohnehin geplanten Routine-Erneuerungen aufgehen.



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