Königstein (pit) – Wenn die Sprache auf die Literaturgattung „Märchen“ kommt, dann heißt es häufig: „Das ist doch was für Kinder.“ Großer Irrtum, kann man da immer nur festhalten, denn im Grunde genommen sind jene Märchen, die die meisten Menschen kennen, zum größten Teil ausschließlich für die Ohren von Erwachsenen geeignet. Man denke da zum Beispiel an die Urfassungen der Grimmschen Märchen, die erotischen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht oder diverse länderspezifische Überlieferungen.
Dass dieses vorschnelle „Abwinken“ tatsächlich fehl am Platze ist, bewies einmal mehr die Frankfurter Erzählerin Angelika Steiger am vergangenen Samstag bei einer Matinee mit Frühstück in der Königsteiner Stadtbibliothek. Schließlich wandte sich diese Veranstaltung unter der Überschrift: „…mit dem alten Förster heut’ bin ich durch den Wald gegangen“ ausschließlich an „gereifte“ Zuhörer jeglichen Alters. Wie gern dieses Angebot angenommen wurde, zeigten die insgesamt 25 ausverkauften Plätze.
Und während die Brosamen der Zuhörer im Gegensatz zu den Protagonisten von „Hänsel und Gretel“ hierbei auf den Tellern blieben, gelang es Angelika Steiger mühelos, sie in phantastische Wälder verschiedener Länder zu entführen – und das mit Heimkehrgarantie.
Die ersten Stationen waren jedoch mit der Heimat verbunden. Nach dem Gedicht über die „Zwei Tannenwurzeln“ ging es in die Zeit, „Als die Bäume noch sprechen konnten“. Eine Geschichte um die hölzernen Waldbewohner, Menschen und die Sonne, die den Bäumen einst die Sprache nahm, doch ihnen ihren Gesang weiter überließ, weil sie ihn so liebte. Als „Nachhaltigkeitsgedicht“ titulierte die Erzählerin anschließend die Verse, die der Veranstaltung ihren Namen gegeben hatte, womit sie mit „Steht eine Eiche hoch und schön“ eine Liebeserklärung an den Quercus zitierte.
Auch mit dem Grimmschen Märchen „Die Alte im Wald“ traf Angelika Steiger den Geschmack des Publikums, das sich bei dessen „Happyend“ ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Ebenso wie bei der Geschichte aus dem Elsass mit dem verheißungsvollen Titel „Die Frau im Wald und ihre Kätzchen“. Mit „Das Riesenspielzeug“ dann ein Werk von Adalbert von Camisso, dem das Publikum ebenfalls mit leuchtenden Augen folgte. Auch mit „Der Drache mit dem Kaffeekrug“ blieb die Erzählerin noch in europäischen Gefilden, bevor sie mit „Yara“ in den asiatischen Raum aufbrach. „Das ist eines der Märchen über die ‚Blumenelfen’, die man häufig in chinesischen Sammlungen findet“, erklärte Angelika Steiger. „Guaraná“ wiederum handelte von dem Jungen eines brasilianischen Indianerstamms und der Entstehung der Pflanze, die der Geschichte einst ihren Namen gab.
Für Heiterkeit sorgte dann auch das Gedicht „Die Gäste der Buche“ („Mietegäste vier im Haus...“), das wieder in die europäische Heimat zurückführte, und mit „Ratzepetz“ ging es in die Welt der hiesigen Elfen. Als Zugabe dann noch eine erzählerische Exkursion in den Orient, die in einer Hochzeit endete, die 40 Tage und Nächte gefeiert wurde. „Die beiden haben das Glück ihres Lebens erreicht“, lächelte Angelika Steiger hinsichtlich des Brautpaares. Ihrem aufmerksamen Publikum wiederum wünschte sie, dass es Selbiges künftig auch erreichen möchte.
Bibliotheksleiterin Simone Hesse freute sich mit ihrem Team über die gelungene Premiere einer Samstagmorgen-Matinee in der Institution in der Wiesbadener Straße. Und mit der Abwandlung eines bekannten Buchtitels sprach sie den Versammelten aus den Herzen: „Auch Erwachsene brauchen Märchen.“ Gleichzeitig freute sie sich, mit dem 23. November schon den nächsten Märchenvormittag ankündigen zu können, der unter dem Motto „…in jedem Kuss steckt ein Risiko“ steht. Hierzu verriet Angelika Steiger schon vorab: „Da geht es um erotische Märchen, die deftig und lustig sind.“ Um genügend Plätze vorhalten zu können, wird unbedingt um Anmeldung unter (06174) 932370 gebeten. Der Eintritt kostet 3 Euro.