Kronberg
(el) – Fast kommt es einem so vor, als würde man sich mit einer guten Freundin unterhalten, die man lange nicht mehr gesehen hat und der man viel zu sagen hat. Doch ein Blick in die erwartungsvollen Gesichter an den benachbarten Stehtischen im „Blauen Salon“ des Kronberger Schlosshotels rückt die Perspektive schnell wieder gerade: Alle warten sie darauf, ein paar Worte mit der Bestseller-Autorin Nele Neuhaus zu wechseln, die vor kurzem in einer Talk-Show als erfolgreichste Krimi-Schreiberin Deutschlands vorgestellt wurde.
Mit großer Leichtigkeit bewegt sich Nele mit den blonden, zurückgebundenen Haaren und fast ganz in Schwarz gekleidet, zwischen den einzelnen Tischen, an denen Sekt getrunken wird und plaudert scheinbar vertraut. Ihre Ausstrahlung und ihre offene Art sind es auch, die neben ihren „Taunus-Krimis“ mit Erfolgsfaktor „Lokalkolorit“ ihre Beliebtheit mit begründen. Die 47-Jährige, in Kelkheim aufgewachsen, ist, wie man so schön sagt, „auf dem Teppich geblieben“, selbst wenn heutzutage der eine oder andere für sie ausgerollt wird. Eitelkeiten liegen ihr fern. Einzig, wenn es Zeit ist, die Lesebrille aufzusetzen und die ersten Abschnitte aus ihrem neuesten Krimi, „Die Lebenden und die Toten“, vorzulesen, gesteht sie, dass sie sich lange gegen das Tragen einer solchen Sehhilfe gewehrt habe. Doch nun sitzt dieselbe auf der Nase und steht der selbst ernannten Krimi-Autodidaktin, die hier ihr Ermittler-Duo Kirchhoff und von Bodenstein schon zum siebten Mal in der Taunusluft – diesmal in Oberursel – ermitteln lässt, nicht schlecht.
Ein Blick vom Schreibtisch der holzvertäfelten Bibliothek der einstigen Sommerresidenz von Auguste Victoria, mit Vitrinen voller alter Bücher in die erwartungsvollen Blicke der Anwesenden zeigt: Der eine oder andere unter ihnen ist nicht nur der Lesung wegen hier, sondern will bestimmt auch einmal aus nächster Nähe erfahren, wie es ist, eine Bestseller-Autorin zu sein.
Dabei war Nele Neuhaus, als sie ihr erstes Buch „Unter Haien“ in einer Auflage von 500 Exemplaren selbst verlegt hat, so weit von dieser Vision entfernt, wie die Erde vom Mars. „Drei Leute kamen damals zur ersten Lesung“, lacht sie und ist heute noch dankbar für die Unterstützung ihrer Familie, die in der Anfangszeit mitunter als Statisten bei den Lesungen herhalten musste.
Schreiben war schon immer der Lebens-traum der Nele Neuhaus gewesen, die bereits in jungen Jahren so manche Tintenpatrone ihres Pelikan-Füllers leer geschrieben hat. Die Zeiten, in denen die Autorin acht Jahre bis zur Fertigstellung – wie im Falle ihres Erstlingswerkes – gebraucht hat, gehören längst der Vergangenheit an. Dennoch stellt jedes Buch eine neue Herausforderung dar, selbst wenn die Dimensionen sich verändert haben. Ein wichtiger Tipp zum Mitschreiben für alle Hobby-Autoren hatte sie für ihr Kronberger Publikum schon mal parat: „In einem Buch muss alles, was man schreibt, die Handlung vorantreiben, sonst wird es langweilig.“ In ihrem neuen Buch sei es ihr besonders gut gelungen, bis zehn Seiten vor Schluss geheimzuhalten, wer der Täter ist, reibt sich Neuhaus genüsslich die Hände.
Nach welchem Schema vorgehen? Zunächst muss eine Idee her. Im Falle des vor kurzem im ZDF ausgestrahlten Taunus-Krimis „Tiefe Wunden“ sei es laut Neuhaus eine Fernseh-Dokumentation über das Massaker von Nemmersdorf gewesen, die sie auf die Idee für das neue Buch gebracht und sie in eine Rcherche gestürzt habe, in deren Verlauf sie viel über Ostpreußen und die Schicksale auf deutscher Seite erfahren habe. Wie sehr dieser Teil der deutschen Geschichte den Menschen auch heute noch nahegeht, habe sie hautnah bei einer Lesung in einem Seniorenstift spüren können, berichtete die Autorin, die ihre Zuhörer auch für das Thema „Fundorte“ sensibilisierte, über die die Ermittler in ihren Büchern unweigerlich stolpern. Diesmal bekommen die beiden beliebten Spürnasen aus dem Taunus sogar Gesellschaft von einer neuen Figur: dem „Profiler“ Andreas Nef aus Wiesbaden, der für den neuesten Fall, dem Mord an einer Hausfrau, die gerade Plätzchen backt, ein Täter-Profil erstellen soll.
Bei der Recherche müsse man mit äußerster Sorgfalt vorgehen, weiß Neuhaus, die eine überaus treue und vor allem auch aufmerksame Leserschaft hat. Eine Dame, die am Abend die Lesung in Kronberg besuchte, wohnt sogar in der Straße, in der von Bodenstein ermittelt. Auch die Schauplätze wollen gut ausgewählt sein und auch hier hätten die Leser bereits reklamiert: Nicht immer nur Kelkheim, Königstein und Kronberg nehmen, auch mal andere Tatorte…also begab sich Neuhaus zur Recherche von „Die Lebenden und die Toten“ zusammen mit ihrem Lebensgefährten auf ein Eschborner Hochhaus, was ihr angesichts ihrer Höhenangst hoch anzurechnen ist, um festzustellen, ob man von hier aus auch wirklich eine direkte Schusslinie auf den Markt hat, auf dem die Handlung ihres Buches einen fiktiven Mord vorsieht.
Nele Neuhaus hat dafür gesorgt, dass der Taunus als Schmiede für die besten Krimis gilt. Dabei sei dieser Umstand eher ihrer Bequemlichkeit geschuldet, gestand Neuhaus ihrem Publikum im Schlosshotel. Für ihren „ersten Fall“ hatte sie für „Eine unbeliebte Frau“ noch erfundene Schauplätze herangezogen, bis es ihr eines Nachmittags beim Schreiben dämmerte, dass es noch viel mehr Spaß machen würde, über Orte zu schreiben, die man tatsächlich kennt und aus der Nähe beschreiben kann. Mittlerweile gebe es sogar einige Menschen, die die Schauplätze ihrer Krimis besichtigen.
Vom Buch zum Film – wie ist der Vergleich? Hätte die Autorin diese Frage nach dem ersten ihrer ausgestrahlten Taunus-Krimis – „Schneewittchen muss sterben“ – beantworten müssen, hätte sie glatt gesagt. „kein Vergleich“, denn man habe gar einen anderen Mörder im TV vorgestellt, als sie in ihrem Buch beschrieben habe. Ein ganz anderer Ausgang, aber „ich bekomme den Shitstorm“, brachte Neuhaus damit auf nonchalante Art zum Ausdruck, dass ihre Leser eine solche Verfälschung des Buches auch nicht verzeihen und ihr das auch zu verstehen geben.
Trotz der üblichen „Zutaten“, wie Leichen, Ermittler und belastendes Material müsse es jedoch in einem Krimi nicht immer nur schrecklich und blutig zugehen und man könne durchaus auch etwas zum Schmunzeln in ein solches Buch einbringen, verriet Neuhaus. Selbst wenn ihr Lebensgefährte auf dem Sofa hinter dem Schreibtisch, an dem die Autorin zur Lesung Platz genommen hatte, unruhig hin und her rutschte, schilderte die Bestseller-Autorin dennoch eine wahre Begebenheit zwischen ihr und ihrem Lebensgefährten, die sie dann ihren beiden Ermittlern auf den Leib geschrieben hat. Auch heute noch könnte sich Neuhaus köstlich darüber amüsieren, dass ihr Lebensgefährte die Mitarbeiter am Schalter einer Fastfood-Kette gefragt habe, was sie denn empfehlen könnten…nicht nur das, er habe auch bei „Burger King“ gefragt, ob sie diesen „Fisch Mac“ noch im Programm haben. Viele einsame Stunden verbringt Nele Neuhaus auch heute noch an ihrem Schreibtisch und geht dem nach, was sie glücklich macht: dem Schreiben. Auch am Tag der Lesung im Kronberger Schlosshotel war das nicht anders. Dass sie dann manchmal selbst ganz gefangen ist in der eigenen Traumwelt, die sie erschaffen hat, erkennt sie dann daran, als es Zeit ist, sich für die Lesung fertig zu machen und sie ganz überrascht ist, wenn sie aus dem Fenster schaut und feststellt, dass es nicht – wie gerade der Handlung ihres Buches zufolge – heftigst schneit. Woran sie gerade arbeitet? An der Fortsetzung ihres ersten Romans, selbstredend ein Bestseller, „Sommer der Wahrheit“, in dem es ein Wiedersehen mit der Hauptfigur Sheridan Grant gibt. Versteht sich von selbst, dass auch die Quelle für die Taunus-Krimis nicht versiegen wird, denn alle zwei Jahre wird wieder im Taunus ermittelt. Auch ihre Jugendbuchreihen, „Elena“ und „Charlotte“, werden fortgesetzt, sehr zu Freude ihrer jüngsten Leserschaft, die auch im Kronberger Schlosshotel von sich hören ließ – zumindest schriftlich und ihrem großen Vorbild einen handgeschriebenen Brief überreichen ließ. Auf dem Umschlag stand treffenderweise: „Viel Spaß beim Lesen!“