Patrick Roth liest aus seinem „Buch Joseph“

Autor Patrick Roth, aktuell vorgeschlagen für den Deutschen Buchpreis, stellte an der Bischof-Neumann-Schule sein neuestes Werk vor. Foto: Sura

Königstein (aks) – Trotz des Sturmtiefs Xaver hat es Patrick Roth in die Bischof Neumann-Schule geschafft, wo ihn interessierte Zuhörer erwarten. Wie seinerzeit Johannes Nepomuk Neumann (1836) ist auch Patrick Roth als junger Mann nur mit Rucksack nach Philadelphia ausgewandert, um dort sein Glück zu suchen. In Los Angeles, wo ihm die Filmbranche Verheißung versprach, hat er 37 Jahre gelebt und war dort nicht nur filmisch, sondern auch schriftstellerisch tätig. Um sich in dieser riesigen Stadt ohne Zentrum möglichst schnell zurechtzufinden, hat er damals diverse Texte auf Tonband gesprochen und sie bei den langen Autofahrten abgehört – zu seinen Lieblingsautoren gehörte auch Hebel und so küsste jedes Mal, wenn er auf dem Freeway war, der Bergmann seine Braut. Zur Orientierung verhalfen ihm auch Celan, Joyce, Poe, Arno Schmidt, Hölderlin, Goethe und Tolstoi.

Drehbücher und Kurzgeschichten schrieb er auf Englisch, aber ansonsten „musste er auf Deutsch arbeiten“. So erschien 1973 die erste Kurzgeschichte, und später „Die Wachsamen“ 1990 bei Suhrkamp – das war der Beginn einer schaffensreichen, literarischen Karriere. In „In my life“, seiner Autobiografie, die für das ZDF verfilmt wurde, beschreibt er zwölf Orte in Los Angeles.

Das Dezernat Schule und Bildung, das Bistum Limburg und die Buchhandlung Millennium hatten zur Lesung mit dem Autor Patrick Roth, der für besonders eindrucksvolle Lesungen bekannt ist, eingeladen. So stellt ihn die BNS-Direktorin Dr. Susanne Nordhofen als „tollen Vorleser seiner eigenen Werke“ vor. BNS-Schüler sind an diesem Abend aber fast gar nicht zu sehen.

Die Germanistin Dr. Michaela Kopp-Marx von der Universität Heidelberg kündigt eine Premiere an diesem Abend an, da Roth aus zwei Werken liest. Da ist zum einen „Lichternacht“, eine Weihnachtsgeschichte, die mit der Hochzeit des Protagonisten Joe Travers an Weihnachten endet und da ist das Buch Joseph „Sunrise“, das im antiken Judäa handelt.

Zugrunde liegt beiden der Vers von Matthäus 1,24: „Da nun Joseph vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm des Herrn Engel befohlen hatte, und nahm sein Gemahl zu sich.“

In beiden Werken geht es um den abgrundtiefen Konflikt Josephs, dessen Frau Maria – ohne sein Zutun – schwanger ist. Er misstraut ihr, will sie aber nicht verstoßen und sie so „in Schande bringen“. Der tiefe Glaube und die Liebe besiegen am Ende alle Zweifel und bereiten das Nest für die Geburt Jesu Christi. Beide Werke sind Weihnachts- und Liebesgeschichten, in denen es zunächst um eine Liebesenttäuschung geht. Die Protagonisten Joe (amerikanische Abkürzung für Joseph) Travers und Joseph, der 2.000 Jahre vor ihm lebt, erfahren beide eine wachsame Offenheit für andere Sphären und können so ihre Frau annehmen. Die Verbindung zu Gott reißt für sie auch in den dunkelsten Momenten nicht ab. Patrick Roths große Leistung ist, dass er die Bibel, in der Joseph außer bei einer kurzen Erwähnung sang- und klanglos verschwindet, weiter erzählt. Seine beiden Josephs-Geschichten bedienen sich unterschiedlicher Sprachen. Während Joe Manager eines Diners in Queens ist und eher umgangssprachlich über seine Gottes-Erfahrung und seine große Liebe berichtet, so klingt „Sunrise“ wie ein biblischer Text, bildhaft, alttestamentarisch und tiefsinnig.

Der Zuhörer hängt gebannt an Roths Lippen, wenn er erzählt, wie Joseph, auf dem Nachhauseweg in sein Dorf, einen schwer verletzten ägyptischen Sklaven rettet und ihn auf seinem Rücken mit letzter Kraft zu einem Brunnen schleppt, um ihn dort in Sicherheit zu bringen. Die Gedanken an Maria, die er auch einst getragen hatte, und die Erfahrung der göttlichen Liebe, die über ihn kommen, verleihen ihm eine unmenschliche Kraft und so bringt er zu Ende, was er sich selbst niemals zugetraut hätte. Josephs Zeichen sind Träume, die Gott ihm sendet, die ihn beschützen und tapfer machen. Joseph verlässt aus Angst vor Verfolgung Nazareth und wartet auf ein Zeichen, ein blauer Stofffetzen, Marias, damit er sicher zurückkehren kann. Monate sind vergangen und Maria weint bei seiner Rückkehr und sagt ihm, dass sie schwanger ist. Er ist fassungslos und sucht nach einer Erklärung, aber Maria ist einfach still. Diese Stille nimmt er als Wahrheit an, diese Stille ist die Ankündigung. Diese Szene rührt besonders an, denn man fühlt als Zuhörer mit – hat doch jeder schon einmal nagenden Zweifel in seinem Herzen gespürt.

„Es kam über sie, der Name, an den sie sich nicht erinnern konnte“ und auf einmal glaubt er ihr, er glaubt das Unerklärliche. Das göttliche Geheimnis offenbart sich den Menschen nicht, sie müssen vertrauen und - weiterleben.

Dass Joseph bei der Rettung des Sklaven eine göttliche Erfahrung machte, stellt Maria klar: „Du trugst keinen Menschen!“

Sechs Jahre hat Patrick Roth an den Bildern in seinem Roman gearbeitet. Sie alle beginnen mit einem Traum, sie kommen aus dem Unterbewussten mit ungeheurer, irrationaler Wucht. So geht Roth beim Schreiben die Kraft nicht aus. Er verspürt „diese Hoffnung von ganz tief unten, die nicht verneint werden kann“. Die Sprache macht dieses Werk, gerade beim Vorlesen, so berührend, ähnlich wie in der Christus-Trilogie. Als Schriftsteller ist er vom Stoff durchdrungen und von starken Bildern geprägt – er hält nicht inne, um über seinen Schreibstil zu sinnieren: „Go with the flow“ lautet sein Motto.

Der rhythmisierenden Sprache kann man sich kaum entziehen, wenn man sich auf die Begegnung mit Joseph einlässt. Sie ist archaisch und bringt so tiefe Schichten in uns zum Schwingen. Ähnlich wie im Traum und wie bei Orakelsprüchen, werden hier Gegensätze vereint. Der Ton erreicht eine unbewusste Schicht und trifft auf rationales Verstehen, „das ist die Wirkung der Sprache, die macht, was sie sagt“. Das Ich hat keine Kontrolle über das Unbewusste, „Träume können wir nicht machen!“ Das ist für Roth die Begegnung mit dem Göttlichen. Der Traum kommt dem Göttlichen nah, denn er ist manchmal wirklicher als alles was wirklich ist, das nennt er Inspiration. Als passionierter Filmemacher weiß er mit der Zeit umzugehen und Emotionen zu entfachen. Dabei ist Entschleunigung beim Lesetempo wichtig, die Zeitlupe – wie im Film – hat einen psychischen Effekt, endlos scheinen manche Szenen im Buch, doch Roth bringt sie zum Leben und auf einmal sind uns Josef und Maria ganz nah und vertraut: Zwei Menschen, die, obwohl sie ein unlösbares Geheimnis quält, sich durch ihren unerschütterlichen Glauben füreinander entscheiden. „Lichternacht“ und „Sunrise“ – wunderschöne, hoffnungsfrohe Geschichten – nicht nur zu Weihnachten.



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