Schneidhain (hhf) – Das Originellste in der Seniorenrunde im evangelischen Gemeindehaus lag vor aller Augen, aber eben doch verborgen auf den Tischen: Ostereier. Hart gekocht, von mehr oder weniger glücklichen Hühnern gelegt, und bemalt, wie es sich gehört, doch das ist Tradition und kann damit nicht mehr unter „originell“ eingestuft werden. Dazwischen aber, nach dem ersten Eindruck nur als Dekoration tauglich, lagen sichtlich aufgebrochene Eierschalen, deren Inhalt sich bald ebenfalls als ebenso nahr- wie schmackhaft erwies: In vom äußeren Anschein her die Reste geköpfter Frühstückseier hatten die Organisatorinnen Teigklumpen gegeben und so kleine Küchlein gebacken, die – mit Zuckerguss verziert – genau so lange als hübsche Osterdekoration taugten, bis sich herumsprach, dass der Schmuck durchaus genießbar ist.
Zu diesem Zeitpunkt hatten Kaffee und (Möhren-) Torte allerdings die größten Löcher in den Mägen der betagten Gäste gestopft und es ging vielmehr nun darum, auch den Köpfen noch ein wenig Beschäftigung zuteilwerden zu lassen. Zu diesem Zweck waren Detlef Bock und Hermann-Josef Lenerz angetreten, wobei Letzterer zunächst völlig andere Körperregionen in den Fokus rückten, indem er einen fein emaillierten Nachttopf schwang: „Kennen Sie das noch?“ Diesmal bekam er verständiges Nicken zur Antwort, morgens, als er die Grundschüler eingeladen hatte, sah das noch anders aus.
Zwischen den Glockenschlägen der Standuhr und eifrigem Krächzen aus dem hölzernen Radiokasten hatten die Kleinen erst einmal erkundet, was für ihre Großeltern noch selbstverständlich war und dabei deutliche Gebrauchsspuren an der Kartoffelreibe hinterlassen. Gemeinsam mit Detlef Bock hatte der Sozialamtsleiter in den letzten Monaten eine ganze Sammlung von Alltagsgegenständen aus den 50er- und 60er-Jahren zusammengetragen, einer Zeit, als das Telefon noch am Kabel hing, die Sonnenbrillen dreieckig waren und das Fernsehprogramm abends noch endete. Damals übrigens noch nicht mit der Nationalhymne, die gab es erst, seit Helmut Kohl Kanzler geworden ist.
Vom „Kanzler der Einheit“ war freilich noch keine Rede in den Illustrierten, nur selten interessierte sich jemand für den jungen Nachwuchs-Politiker aus Rheinland-Pfalz. Stattdessen zierte das Konterfei von Roy Black den Titel der „Bravo“, Dr. Sommer beantwortete erste schüchterne Fragen zur Sexualität und das Fernsehprogramm – auch für die Ostzone – nahm mehrere Seiten ein. Dennoch musste die Kundschaft das Schundblatt überwiegend heimlich auf der Toilette lesen, wenn es dort überhaupt elektrisches Licht gab: Das Bademeister-Haus im Woogtal hatte zum Beispiel noch keinen Stromanschluss. Dafür schwänzte die DLRG-Jugend dann schon einmal die Schule, wenn es darum ging, die Becken wieder einmal von Hand zu reinigen.
Beinahe noch aussagekräftiger als die Zeitschriften war schließlich die Fernseh- und Kinowerbung, die Lenerz allerdings auf neuesten DVDs mitgebracht hatte. Ganz selbstverständlich rauchten und tranken sich die gut aussehenden Darsteller durch ihre Luxuswelt, nur Frau Klementine blieb anständig und schüttete im Hosenanzug Waschpulver in die Maschine, während andere darüber abstimmten, ob die Autofahrer lieber vom Werbeleiter oder vom Comictiger über die Vorzüge von billigem Treibstoff informiert werden sollten. Lokalhistorische Entdeckung am Rande: In den Werbefilmen der Kronberger Firma Braun werden deren Toaster mit „Krifteler Brot“ gefüllt, man kann also ahnen, woher die Filmemacher kamen.
War der Nachmittag bis hier schon äußerst vergnüglich gewesen, so übertraf das Finale schließlich alles, denn dazu kam eine Sammlung aller Beiträge des „HB-Männchens“ zum Einsatz, das bekanntlich nach etlichen Alltagspannen in die Luft zu gehen pflegte, bis ihm ein guter Geist dort eine Zigarette anzündete. Diese Sequenz allerdings musste aus erzieherischen Gründen für die Wiedergabe im 21. Jahrhundert herausgeschnitten werden.
Hermann-Josef Lenerz (links) und Detlef Bock haben sichtlich Vergnügen an ihrer Sammlung. Zu den Ausstellungsstücken gehören auch etliche Druckerzeugnisse, die den Zeitgeist widerspiegeln.
Foto: Friedel