30. Königsteiner Salon - Die Zukunft der Menschheit

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st eine Frage des Könnens und Wollens

Das mehr als aktuelle Thema des letzten Königsteiner Salons interessierte viele Gäste, so dass die Resonanz auf den Vortrag sehr groß war. Insgesamt haben rund 190 Zuschauer das Event live verfolgt. Im Anschluss wurde der Vortrag noch mehr als 200 Mal online aufgerufen. Foto: Child Aid Network

Königstein (kw) – Die Veranstaltung zum 30. Königsteiner Salon mit Professor Rademacher fand erstmalig in „hybrider“ Form, d.h. mit Zuschauern im Saal und vor dem Bildschirm, statt.

„Wieviel Mensch verträgt die Erde? Das klingt, als wären wir schädlich“, meinte Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher Montagabend zu Beginn seines Vortrags im Haus der Begegnung. Mit diesem Referenten, der durch seine langjährige Mitgliedschaft im Stiftungsrat von Childaid Network der Stiftung eng verbunden ist, hatte sich Stiftungsgründer Dr. Martin Kasper einen der führenden Zukunftsforscher Deutschlands zum 30. Königsteiner Salon eingeladen.

1950 in Aachen geboren, promovierte er 1974 in seiner Heimatstadt in Mathematik und zwei Jahre später an der Universität in Karlsruhe in Wirtschaftswissenschaften. Er ist Mitglied im renommierten Club of Rome, Professor für Informatik an der Universität Ulm, emeritierter Professor für künstliche Intelligenz und Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung. Bekannt wurde er durch sein Eintreten für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft und durch sein Engagement in der „Global Marshall Plan Initiative“, die sich für eine gerechtere Globalisierung und für eine „Welt in Balance“ einsetzt.

Zum ersten Mal fand der Königsteiner Salon wegen der Corona-Pandemie und der geforderten Hygiene- und Abstandsregeln mit einer limitierten Zuschauerzahl im großen Saal im Haus der Begegnung statt. Gleichzeitig wurde das Event als Livestream im Internet übertragen, sodass ein großer Kreis an Interessierten den Referenten am Bildschirm verfolgen konnte.

Problem Bevölkerungswachstum

Viele der Probleme, die wir heute haben, resultieren aus dem enormen Bevölkerungswachstum auf der Erde. „Vor 10 000 Jahren“, rechnete Professor Radermacher vor, „lebten auf der Erde 20 Millionen Menschen und die Erde war voll. Heute leben auf der Erde 7,5 Milliarden Menschen und die Erde ist voll. In Kürze werden es zehn Milliarden Menschen sein. Die Erde ist immer voll“, betonte er und resümierte: „Es sind so viele Menschen da, wie auf der Erde leben können – es ist alles nur eine Frage der Organisation und der Technik, eine Frage unseres Könnens und unseres Wollens.“

„Hätten Sie gerne früher gelebt, vor hundert oder zweihundert Jahren?“ fragte er sein Publikum. Frauen sicher nicht, gab er selbst die Antwort. Und er lebe auch lieber heute, bekannte er und erinnerte an den Film „Der Medicus“ und an die Torturen, die damals Menschen nicht nur mit Zahnweh zugemutet wurden. Nach dem 30jährigen Krieg, führte er an, war ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland tot. „Es wird also nicht alles schlechter, vieles wird besser“, fasste er zusammen.

Disziplin angemahnt

Allerdings erfordere das heutige Leben mit seinem hohen Lebensstandard von den Menschen eine enorme Disziplin. Wer so viel Wohlstand haben wolle wie wir, müsse einen hohen Preis dafür zahlen. Unsere Gesellschaften seien Disziplinsysteme und übten einen wahnsinnigen Druck auf diejenigen aus, die nicht so leben. Gerade jetzt in Corona-Zeiten zeige sich, dass diejenigen am meisten Probleme bekämen, die ohnehin am wenigsten haben.

Je mehr eine Gesellschaft habe, desto mehr Sorgen mache sie sich, stellte der Referent fest. Das führe heute zu einer Entsolidarisierung und gefährde den sozialen Zusammenhalt, warnte er. Wir entfernten uns immer mehr von der Situation, objektive Wahrheiten zu ergründen, was gerade ihm als Wissenschaftler zu schaffen mache. Die Welt der „Fake News“, der alternativen Wahrheiten, die er als offensichtlichen Schwachsinn bezeichnete, fresse sich durch die Gesellschaften und schade ihnen, nur um Wahlen zu gewinnen. Als Beispiele führte er nicht nur die USA mit ihrem Slogan „America first“ an, sondern auch China, die Türkei und Großbritannien, in denen ähnlich egoistisch regiert werde.

Konzepte gefordert

Dabei gehe es um die Frage, wie die Probleme der Menschen weltweit im Zusammenwirken gelöst werden können, damit es allen gut geht. Wie kann eine Bevölkerungsexplosion verhindert werden? Wie können wir möglichst effektiv dem Klimawandel begegnen? Eine gute Ausbildung und ein gutes Gesundheitssystem sorgten dafür, dass Menschen alt werden. In Gesellschaften, die im Wohlstand leben, würden dann weniger Kinder geboren. In Afrika aber werde sich – auf Basis der schlechten Wirtschaftssituation der letzten Jahrzehnte - die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren noch einmal verdoppeln. In Nigeria heißt dies, dass dort 2050 mehr als 400 Millionen Menschen leben werden, mehr als in den USA.

Als Lösung sowohl für die reichen als auch für die Entwicklungsländer werde ein Konzept gebraucht, das für beide Seiten Potentiale erschließe, für beide Seiten eine Win-win-Situation erreiche, ohne dass die eine Seite der anderen die Chancen nimmt. Das könnte zum Beispiel durch die Nutzung der Sonnenwüsten der Erde in Afrika, Arabien, Indien und Chile gelingen.

Darin sah Professor Radermacher Potentiale für eine Zusammenarbeit und meinte, das sei nicht hoffnungslos, aber extrem schwierig. Die Ressourcen seien knapp und es brauche eine hohe Kosteneffizienz in der Umsetzung. Jeder eingesetzte Euro solle den Menschen, der Umwelt und dem Klima nutzen. Die Bevölkerungsexplosion höre nur dann auf, wenn Wohlstand kommt.

Dabei könne man von Childaid Network lernen, meinte er und schlug den Bogen zur Stiftung: Sie tue mit ihren Mitteln klug das Richtige und bewirke viel. Er schätze das persönliche Engagement, die nachhaltigen Konzepte und die gute Vernetzung des Teams. Dadurch seien in den letzten zwölf Jahren schon große Fortschritte für zehntausende junge Menschen erzielt worden.

Einkommenskluft vergrößert sich

Dr. Martin Kasper, der ehrenamtliche Vorstand und Stifter von Childaid Network, verwies in seinem Kurzvortrag auf die besonderen Herausforderungen und schrecklichen Konsequenzen der Corona-Krise. „Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich dramatisch. Wir erleben, wie durch Schulschließungen mit ausfallenden Mittagsmahlzeiten die Ernährungssituation der Kinder prekär wird. Kinder werden nun auch wieder vermehrt in Arbeitsprozesse eingebunden und kommen vielleicht nie wieder in die Schule zurück.“

Childaid Network erreicht trotz der Lock-downs und Reisebeschränkungen 50.000 junge Menschen in den Zielgebieten, zunächst mit Nothilfe, nun mit kreativen Methoden zur Begrenzung des Bildungsnotstands wie Radiosendungen, Lerngruppen und Fernunterricht. „Das braucht viel Initiative, extra Einsatz und doppelte Energie bei uns im deutschen Team, aber vor allem bei den Projektpartnern vor Ort,“ berichtet der Stifter.

Durch ausfallende Anlassspenden und fehlende Aktionen ist die Finanzsituation auch angespannt. Die Stiftung hofft, dass die Solidarität der Spender hier nicht nachlässt. Für den 28. November wird auch eine große digitale Spendengala geplant – mit viel Kulturprogramm, prominenten Botschaftern und aktuellem Filmmaterial aus den Projekten. Näheres findet sich auf der Webpage, www.childaid.net.



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