75 Jahre Grundgesetz – „Im Netz zählt nur der Klick“

Helmut Markwort unterhielt sein Publikum mit humorvollen, aber auch nachdenklichen Anekdoten im Gespräch mit Stefan Söhngen.

Königstein (mk) – Der Verein nennt sich zwar „Montagsgesellschaft“, doch diesmal fand dieser engagierte Bürgerdialog unter der Veranstaltungsreihe „Zeitzeuge Bundesrepublik“ tatsächlich an einem Mittwoch in der Villa Rothschild statt. Die historische Mittwochsgesellschaft diente bei der Vereinsgründung im Jahr 2005 als Vorbild; Ziel ist jedoch vielmehr, ein breites, an bürgerlichen Fragestellungen orientiertes Diskussionsforum darzustellen und damit bewusst auch eine Außenwirkung wiederzugeben. Als das „Haus der Länder“, die „Wiege der Bundesrepublik“, dient die Villa Rothschild – der Ort der Freiheit und Demokratie in Deutschland – erstklassig als traditioneller Standort für Diskussionsrunden vor den Toren Frankfurts.

Im Gespräch mit Helmut Markwort berichtet er von der Vorzeit der Bundesrepublik, teilt seine Erfahrungen und Bedenken der heutigen Herausforderungen – auch im genauen Betrachten der Medien.

Mann mit Wort und Haltung

Bei Helmut Markwort klingt sofort der werbeträchtige Satz: „Fakten, Fakten, Fakten und an die Leser denken“ im Ohr – zu erzählen hatte der mittlerweile 87-jährige Journalist, Medienunternehmer, treuer FDP-ler und leidenschaftlicher Theaterspieler aber noch viel mehr.

Als vor über 30 Jahren ein zweites, sehr bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin auf den Markt kam, glaubten nur wenige an einen Erfolg. Doch Markwort, der bereits in jungen Jahren politisch interessiert war, sich selbst als einen Anhänger der Freiheit bezeichnet, wollte das damalige Monopol brechen und bekam dafür Unterstützung. Der Erfolg gibt ihm bis heute recht.

Trümmerwüste Darmstadt 1947

Markwort wirkt reflektiert: „Es hat mich wahnsinnig beschäftigt, was aus mir geworden wäre“ – wäre er, wie viele zu der damaligen Zeit, zum Nazi geworden. „In unserer Umgebung gab es keine natürliche Widerstandsgemeinschaft.“ Der Zufall habe es so gewollt, dass er mit sechs Jahren schon rechnen und lesen konnte. So habe er immer aufmerksam und belesen die Nachkriegszeit zwischen Bayern und Hessen, seinen mindestens „zwei Lieben im Leben“, verfolgen können. Der Vater, ein Beamter und „kleiner“ NSDAP-Kassierer, musste entnazifiziert werden und wurde nach der Gefangenschaft 1947 wieder nach Darmstadt versetzt. Markwort habe sich als Schüler in eine bestehende Klasse integrieren müssen – „Das zum Thema Integration“, wirft er ein. Zu der damaligen Zeit habe er sich als Neunjähriger nicht die Frage nach dem „Warum“ des Krieges gestellt, ein großes Thema habe es aber gegeben: „Kommen die Russen oder kommen die Amerikaner – das war die große Sorge.“ Lebendig berichtet Markwort weiter aus der Zeit seines „Erweckungserlebens“, wie er es nennt, als er eher zufällig als Junge zum Dolmetscher und später Grenzkontrolleur für die amerikanische Besatzung wurde. Er habe nämlich „amerikanisch mit texanischem Akzent sprechen können.“ An diese Zeit habe er gute Erinnerungen.

Viele politische und nichtpolitische Koryphäen hat Markwort während seiner Karriere treffen und kennenlernen dürfen, unter anderem Theodor Heuss, Helmut Kohl, Joschka Fischer, Gerhard Schröder oder Otto Schily. Und zu allen hat er eine persönliche Geschichte zu erzählen. Wegen Joschka Fischer sei er im Jahr 1968 dann „hier in Frankfurt“ in die FDP eingetreten und seither nie mehr ausgetreten.

Tugenden und Sorgen

Auf die Frage, was einen guten, leidenschaftlichen Journalisten wie ihn ausmache, antwortet Markwort: „Meine Haupttugend ist die Neugier. Das ist aber nur ein Element und oft nicht in einer Person vereinbar: das Neugierig sein, das Dranbleiben, das Recherchieren, das Beschaffen ist die eine Tugend. Das (Auf-)Schreiben eine andere.“ Und noch eine Tugend, die sehr unterschätzt werde, sei die Diskretion, den Schutz der Quelle oder das schlichte Zuhören und Wissen, aber nicht schreiben – ein stiller Codex unter Journalisten, der insbesondere früher galt, so Markwort. „In den guten Zeiten der Bundesrepublik hat sich fast jeder Politiker einen Informationskreis an Journalisten gehalten. Das ist gut zum Einordnen, Zusammenhänge zu verstehen oder frühzeitig über ein Projekt zu erfahren.“ Inzwischen sei aber die Indiskretion ausgebrochen. Auch eine gewisse Balance zwischen Nähe und Distanz sei von großer Bedeutung.

Oberflächlichkeit, Verengung der Meinungsbildung, Einseitigkeit der Informationen und deren Beschaffung und eine „Vernachlässigung der deutschen Wirtschaft“ – all das bereite Markwort Sorge. „Im Netz zählt nur der Klick“ und manch rechte oder auch linke Seite mache sich genau dies zum Vorteil. Ständiges Publizieren bringe am Ende den Erfolg. Markwort: „Es ist unbedingt notwendig, dass sich mehr Menschen für die Demokratie engagieren.“ Hier seien insbesondere die politischen Parteien unter Zugzwang, bessere Angebote zu machen, damit die Mitwirkung an der Demokratie – gerade für jüngere Menschen – attraktiver werde und gelinge.

Montagssgesellschaft-Geschäftsführer Stefan-David Grün (links) und Geschäftsführender Gesellschafter und Moderator Dr. Stefan Söhngen (rechts) nahmen Helmut Markwort mitsamt Präsent in ihre goldene Mitte. Fotos: Kuschel



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