Gedenkstunde im Sinne von Versöhnung und Verständigung

Zur Gedenkstunde am ehemaligen Standort der Königsteiner Synagoge trafen sich am Sonntag die Vertreter*innen der Stadt und der Kirchen, um gemeinsam der Opfer der Reichspogromnacht zu gedenken. Es nahmen teil: Stadtarchivarin Dr. Alexandra König, Pfarrerin Katharina Stoodt-Nuschäfer, Pater Vijay (Katholische Pfarrei Maria Himmelfahrt), Stadtverordnetenvorsteher Michael-Klaus Otto, Bürgermeister Leonhard Helm, Rabbiner Andrew Steinman (Budge Stiftung Frankfurt) und Hans-Die
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er Vosen von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Hochtaunuskreis e.V. (v.l.)
Foto: Scholl

Königstein (kw) – Auch Königstein blieb nicht verschont – vor fast genau 82 Jahren fanden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in ganz Deutschland die Novemberpogrome statt. Diese vom nationalsozialistischen Regime organisierten und gelenkten Gewaltmaßnahmen gegen Mitbürger jüdischen Glaubens führten auch in Königstein zu Verwüstung und Vernichtung des jüdischen Eigentums. In den auch als „Reichskristallnacht“ bezeichneten Stunden fiel neben vielen anderen, privaten Bauten auch die Königsteiner Synagoge der Zerstörung durch die Nationalsozialisten zum Opfer – sie brannte damals bis auf die Grundmauern nieder.

Diese furchtbaren und menschenverachtenden Angriffe auf das Leben und Eigentum der jüdischen Bevölkerung Königsteins gedenken seit vielen Jahren die Vertreter der Stadt und der Kirchen in einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung am ehemaligen Standort der jüdischen Synagoge am Rande des heutigen Kurparks.

Wer diesen Ort besucht, der findet dort heute auf einem kleinen Platz eine Bronzeplastik der ehemaligen Synagoge, versehen mit einer Gedenkplakette und dem stilisierten Bild des neunarmigen Leuchters in der Pflasterung des Platzes – ein würdiger Ort, der zum Verweilen und Gedenken einlädt, denn eine aktive, jüdische Gemeinde gibt es in Königstein heute nicht mehr.

Bürgermeister Leonhard Helm eröffnete die „bescheidene Gedenkfeier“ und sprach den Anwesenden seinen tiefen Dank aus, dass diese wichtige Gedenkstunde auch in Pandemiezeiten stattfinden konnte. „Wir verzichten in diesen Wochen und Monaten auf vieles“, waren seine Worte, „doch das Gedenken an die Ereignisse vor 82 Jahren können und dürfen wir nicht aufgeben.“ Im Mittelpunkt seiner kurzen Ansprache stand die Aufforderung an alle Bürger, die Erinnerung aufrechtzuerhalten und negativen Tendenzen in unserer Gesellschaft frühzeitig und energisch entgegen zu wirken, um Hass und Ausgrenzung keinen Nährboden zu bieten.

Psalm auf Hebräisch

Für die jüdische Gemeinde nahm auch in diesem Jahr Rabbiner Andrew Steinman von der Budge Stiftung in Frankfurt an der Gedenkfeier teil. Auch er formulierte den Wunsch, dass die Gedanken an diese furchtbare Nacht nicht verstummen dürften. Traditionsgemäß trug Rabbiner Steinman in diesem Jahr den Psalm 91 in seiner hebräischen „Originalfassung“ vor. Einen Psalm einmal in der Sprache zu hören, in der er den Religionen ursprünglich übermittelt wurde, war ein für ungeübte Ohren ungewöhnlicher, jedoch auch sehr erhabener und einfühlsamer Moment, dem eine tiefe Stille folgte.

Im Anschluss folgte die deutsche Fassung des Psalm-Textes aus der Bibel, wobei sich zeigte, dass Steinman diesen Text nicht ohne Grund gewählt hatte. Der Psalm erzählt u.a. von der Heimsuchung durch eine Seuche, Gottes Schutz für die Menschen, der Hoffnung und dem tiefen Vertrauen auf Errettung.

Geschichtlicher Rückblick

Stadtverordnetenvorsteher Michael-Klaus Otto widmete sich im Anschluss in seiner Ansprache dem geschichtlichen Rückblick auf die Ereignisse, die u.a. zu den grausamen Taten der Pogromnacht geführt hatten. Sein Blick zurück auf die Ungeheuerlichkeit der Verwüstung und Vernichtung kulturellen Eigentums führte er fort zu dem Gedanken, dass die Ereignisse jener Nacht ein „Test“ der Nationalsozialisten waren, um die Reaktion der deutschen Bevölkerung zu beobachten. Als deutlich wurde, dass kaum mit Gegenwehr zu rechnen war, gab dieses wahrscheinlich den Anstoß zu den späteren Befehlen, die zur „Vernichtung allen jüdischen Lebens in Deutschland“ führen sollten.

Otto zeigte darüber hinaus auch einen Bezug zur Gegenwart auf, in der jüdische Bürger wieder vermehrt persönlichen Anfeindungen ausgesetzt sind. Er stellte die Frage: „Wie sicher sind jüdische Menschen in Deutschland?“ und rief jeden Einzelnen dazu auf, entschlossen der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten.

Bildsprache der Bibel

Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer nahm als Vertreterin der evangelischen Immanuel-Gemeinde in Königstein an der Gedenkstunde teil und nahm den Grundgedanken aus dem Psalm 91 wieder auf. Ihre Betrachtungen bezogen sich auf die darin thematisierten „ansteckenden Krankheiten“, die auch geistiger Natur sein könnten. Die Bibel, so Stoodt-Neuschäfer erzähle in einer Bildsprache, deren einprägsamen Bildnisse den Menschen Trost spenden und halt geben könnten.

Ein besonders schönes Bildnis seien die Engel, die mit unterschiedlichen „Zuständigkeiten“ Schutz und Halt für viele Menschen bedeuteten. Durch sie als Boten, so Stoodt-Neuschäfer, „tritt Gott mit den Menschen in Kontakt, schützt sie vor Gefahren und gibt ihnen persönlichen Halt in ihrem Leben“.

Vergeben, nicht vergessen

Den Blick nach vorne mahnte Hans-Dieter Vosen von der Gesellschaft für deutsch-jüdische Zusammenarbeit im Hochtaunuskreis e.V. an. Das Gedenken an die Ereignisse der Pogromnacht, so Vosen, solle der Grundstein zu einer aktiven Erneuerung und einer humanen Gestaltung der deutsch-jüdischen Beziehungen sein. Schuld sei niemals kollektiv und pauschal, so Vosen, sondern immer individuell. Aus diesem Grund rief er in seiner Ansprache zu einer Kultur des Vergebens, jedoch nicht des Vergessens auf.

Bevor sich Pater Vijay als Vertreter der katholischen Pfarrei Maria Himmelfahrt mit einem Gebet der Versöhnung an die anwesenden Gäste wandte, erinnerte Stadtarchivarin Dr. Alexandra König an die jüdischen Bürger und die früher zahlreichen jüdischen Gäste Königsteins.

Sie blickte dabei auf das Engagement der Königsteiner Juden für die allgemeine Gesundheitsfürsorge zurück, die damals allen Bürgern Königsteins – gleich welchen Glaubens offenstand. Angesichts des friedvollen Zusammenlebens beider Religionen habe es damals keine Anzeichen gegeben, die die Pogrome hätten erahnen lassen können. Noch ein Jahr zuvor, so Dr. König, wurde Königstein als hervorragender Erholungsort in jüdischen Medien beworben. Zum Ende der Gedenkstunde gebührte es Rabbiner Andrew Steinman, die abschließenden Worte, die er mit einer symbolischen Handreichung verband, zu sprechen. „Das Gedenken vereint die Religionen“, waren seine abschließenden Worte, die mit dem hebräischen Gebet für das Seelenheil der Ermordeten einen fast erhabenen Abschluss fanden.



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