Nach harter Diskussion Entscheidung zu Straßen- und Wegenamen

Königstein (pu) – Gegen die fünf FDP-Stimmen und eine Enthaltung folgte eine 29-köpfige Parlamentariermehrheit in der jüngsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung durch Beschluss der Magistratsempfehlung zur künftigen Benennung einer Straße und zweier Wege im Neubaugebiet „Am Hardtberg“. Daraus resultierend soll die Straße abgehend der Sodener Straße, vor dem Autohaus Marnet, die Straßenbezeichnung „Auf dem Hardtberg“ erhalten. Des Weiteren wird der Weg angrenzend an den Hardtbergweg und in der Nähe des Martin-Niemöller-Wegs künftig „Kirchner-Weg“ heißen; der Weg angrenzend, „Am Roth“, bekommt demnach den Namen „Neutra-Weg“.

Nach Abschluss der Bauleitplanung im Mai 2020 erfolgt nunmehr die Herstellung der Erschließung des Gebietes „Am Hardtberg“. In diesem Zuge sollen laut Beschlussvorlage des Magistrats auch die neu hergestellten Straßen benannt werden. Im Rahmen der Verhandlungen mit den Eigentümern der Flächen im Neubaugebiet sei von Seiten der Eigentümer der Wunsch geäußert worden, dass die Bezeichnung des ehemaligen Privatweges „Auf dem Hardtberg“ weitergeführt wird. Dies wird vom Magistrat für sinnvoll erachtet, weil sich dieser Name schon bei vielen eingeprägt habe.

Die beiden anderen Straßen sollen nach dem Hauptvertreter des Expressionismus in Deutschland und Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Brücke“, Ernst Ludwig Kirchner (1880 bis 1938), und dem Architekten Richard Joseph Neutra, der in den USA als wichtiger Vertreter der „klassischen Moderne“ in der Architektur gilt, benannt werden.

Ernst Ludwig Kirchner

Der am 6. Mai 1880 in Aschaffenburg geborene und am 15. Juni 1938 gestorbene Ernst Ludwig Kirchner war ein expressionistischer Maler, Grafiker und Bildhauer. Obwohl er sein Architekturstudium unter anderem an der Technischen Hochschule Dresden abschloss, widmete er sich vor allem der Kunst. Gemeinsam mit Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff gründete er „Die Brücke“, eine Künstlergruppe, die eine große Rolle in der Entwicklung des Expressionismus spielte, bevor sie nach acht Jahren aufgrund eines Streits mit den anderen Mitgliedern über die von Kirchner verfasste Gruppenchronik 1913 aufgelöst wurde.

Ein Jahr später meldete sich Kirchner als Freiwilliger im Artillerieregiment im Ersten Weltkrieg, nur ein Jahr später wurde er infolge eines nervlichen Zusammenbruchs wieder aus dem Dienst entlassen. Aufgrund der Erkrankung weilte der Künstler zwischen Dezember 1915 und Juli 1916 insgesamt drei Mal in Königstein. Freunde finanzierten dem psychisch und physisch Zerrütteten seine dringend benötigten Aufenthalte im Sanatorium Dr. Kohnstamm. Kriegsangst und der Missbrauch von Alkohol und Tabletten hatten Kirchner zugesetzt. Trotz seines schlechten Gesundheitszustands war er überaus produktiv. Sein Königsteiner Hauptwerk sind die Wandmalereien im Brunnenhaus des Sanatoriums Dr. Kohnstamm (wir berichteten). Sie wurden unter den Nationalsozialisten zerstört. Erhalten sind andere Werke. Kirchner zeichnete seinen Arzt, die Mitpatienten und die abendlichen Tischgesellschaften. Auf seinen Spaziergängen durch den Taunus hielt er Landschaft und Straßen in und um Königstein in Skizzenbüchern, Tuschezeichnungen und Aquarellen fest. Nicht wenig davon arbeitete er später zu Ölgemälden aus. Während seiner Genesung malte Kirchner das Selbstbildnis als Soldat, das ihn mit einer fehlenden rechten Hand zeigt, obwohl er nie eine Amputation erleiden musste. 1918 zog Kirchner nach Davos, Schweiz, wo er den Fokus seiner Werke auf Berglandschaften legte.

1933 wurde seine Kunst von den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnet. Aus diesem Grund wurden mehr als 600 seiner Werke aus öffentlichen Museen konfisziert und entweder zerstört oder verkauft. Aufgrund der tiefen Enttäuschung über diese Zerstörung und der Nazi-Besetzung in der Nähe seines Wohnortes, beging er 1938 im Schweizerischen Frauenkirch mit einem Herzschuss Selbstmord.

Richard Joseph Neutra

Richard Joseph Neutra wurde 1892 in Wien geboren und starb 1970 in Wuppertal. Seine Vorliebe für die moderne Architektur begann in der Bauschule von Adolf Loos 1912, der Neutra für die Gebäude Frank Lloyd Wrights begeistern konnte. Danach machte er eine Studienreise mit seinem Freund Ernst Freud, dem Sohn Sigmund Freuds, der ihm 1920 auch eine Anstellung im Berliner Architekturbüro Pinner & Neumann vermittelte. Nach dem Ersten Weltkrieg erholte er sich in der Schweiz, wo er seine zukünftige Frau, die Sängerin Dione Niedermann, kennenlernte. Mit ihr wanderte er 1923 in die USA aus. Zuerst nach New York, dann 1924 nach Chicago (wo er mit Frank Lloyd Wright zusammentraf), um schließlich 1925 in Kalifornien bei seinem Studienkollegen Rudolph Schindler zu landen. Seitdem galt Neutra in der Retrospektive der Architekturgeschichte als Vertreter des modernen „International Style“ in den USA. Hier baute er 1928 das Lovell House: eine offene Konstruktion mit weiten, hellen Durchblicken. Dieses Haus, gleichzeitig mit Le Corbusiers „Villa Stein“ und Mies van de Rohes „Barcelona Pavillon“ errichtet, verschaffte ihm im Alter von 36 Jahren schlagartig Weltruhm.

Seine Spezialität waren raumhohe Fenster und Spiegel, weite Durchblicke und ebenerdige Glastüren, alles Elemente, die seine Villen mit der Natur verschmelzen ließen. Später wurde dieser Stil als Desert Modernism getauft. Sein offener Stil war designprägend bei Gestaltern wie Charles Eames oder Harry Bertoia. 1991 stellte die Firma Prospettive (Habitat) auf den Möbelmessen bisher nie realisierte Entwürfe von Neutra vor.

In Königstein hinterließ er Spuren, als er 1961 im Hardtbergweg 15 das Haus Rang – ein dreiflügliges Haus (Eltern-, Kinder-, Küchenflügel mit Wohnzimmer in der Mitte) mit 270 Quadratmetern Wohnfläche – errichtete. Geplant wurde es für Professor Martin Rang, dessen Frau und Kinder, aber auch 10.000 Bücher im Arbeitsbereich des Hausherrn. Das 5.000 Quadratmeter-Grundstück liegt auf einer Anhöhe und ist von Wald umgeben. Die Bauherrin hatte Neutra in seinem Büro in Los Angeles angeschrieben, da ihr sein schnörkelloser Stil gefiel. Das Haus wird von ihr noch heute bewohnt.

Beide Namensgeber der Straßen haben demnach eine direkte Verbindung zu Königstein im Taunus. Nach dem Bau der Straßen/Wege und erfolgter öffentlicher Widmung sollen die entsprechenden Straßennamensschilder aufgestellt werden.

FDP-Position

Die Königsteiner Liberalen sehen diese Benennungen als suboptimal an, weil ihnen für die angemessene Würdigung der beiden herausragenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts von internationaler Bedeutung größere Straßen vorschweben, als die laut Ortsverbandschef Ascan Iredi „zwei neuen kleinen Sackgassen“. „Da fehlt mir das Verständnis!“, wählte er deutliche Worte. Vor diesem Hintergrund warb die FDP-Fraktion für eine Mehrheit für den von ihr vorgelegten Änderungsantrag, der darauf zielte, dass zumindest die Straße „Am Hardtberg“ den Namen „Ernst-Ludwig-Kirchner-Weg“ erhält und der „Hardtbergweg“ in „Richard-Neutra-Weg“ umbenannt wird. Bezüglich des zweitgenannten Vorschlags gab Bürgermeister Leonhard Helm (CDU) jedoch zu bedenken, dass dies aufgrund der dann notwendigen Änderungen von Ausweisdokumenten und Mitteilungen über Adressänderungen ohne Umzug mit erheblichen Nachteilen für die dort seit langem ansässigen Anwohner verbunden wäre. Abgesehen davon müssten diese auch zunächst um ihre Meinung gefragt werden. Im Verlauf einer emotional geführten Diskussion wurde seitens des CDU-Fraktionsvorsitzenden Alexander Hees moniert, der Änderungsantrag habe seines Erachtens nichts mit der Beschlussvorlage zu tun. Im Ergebnis stimmten lediglich sieben Parlamentarier für den FDP-Vorschlag bei 26 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen.

Im Nachgang sprach Iredi von einem peinlichen Minimalkonsens“, auf den sich ALK und CDU eingelassen hätten und einer vergebenen Chance. Auch im Sinne der touristischen Vermarktung hätten ein größerer Ernst-Ludwig-Kirchner-Weg oder eine größere Richard-Neutra-Straße für die Stadt ein wünschenswertes Aushängeschild sein können.



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