Die Innenstadt wird bunter: „Aus Grau wird Kunst“

Kein Zufall, dass der Uhu ausgerechnet auf den Stromkasten hinter dem Optiker gepinselt wird: Die jungen Maler*innen der Kunstwerkstatt haben ihre Motive bewusst mit der Umwelt abgestimmt. So viel Feingefühl rief dann sogar die Hessenschau auf den Plan, deren Kameramann seine Arbeit überwiegend im Sitzen verrichtete, um mit den ehemals grauen Kästen auf Augenhöhe zu bleiben. Foto: Friedel

Königstein (hhf) – „Bitte ein Bit“ oder Bits und Bytes kennen nahezu alle, aber was ist eigentlich ein „BID“? Immerhin gibt es hierzulande den Verein „BID Innenstadt-Königstein im Taunus e.V.“, und dessen Website (bid-koenigstein.de) hilft auch weiter.

Unter einem BID (Business Improvement District) versteht man einen Bereich einer Innenstadt, in dem sich Hauseigentümer zusammengeschlossen haben, um dessen Attraktivität zu erhöhen und damit den Wert ihrer Immobilien zu erhalten, wenn nicht gar zu steigern. Die Hauseigentümer finanzieren deshalb die Zusammenarbeit im Bereich sowie Maßnahmen zum Beispiel zur Vermarktung, Begrünung, Beleuchtung, Sauberhaltung – in Abgrenzung, aber auch in enger Koordination mit den städtischen Stellen und den Gewerbetreibenden im Stadtviertel. Entwickelt wurde dieses Konzept in Nordamerika, um der Konkurrenz der großen Einkaufszentren Paroli zu bieten.

BID stammt von INGE ab

Die Entstehungsgeschichte des Königsteiner Vereins geht auf das Jahr 2016 zurück. Damals hatte die Stadt Königstein als eine von 11 Kommunen in den Fördertopf des Landes Hessen namens „INGEplus“ (INnenstädtische GEschäftsquartiere) greifen dürfen, sprich 40.000 Euro vom Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erhalten und selbst noch einmal 7.000 Euro draufgelegt.

Natürlich begannen daraufhin umgehend die Verhandlungen, wofür das Geld eingesetzt werden sollte. Da es für ein Konzept zur Stärkung der Innenstadt zweckgebunden war, wurden Bürger und Hauseigentümer dazu mit eingeladen und es kam die Idee auf, ein „BID Innenstadt“ zu gründen. Eine Mehrheit fand jedoch auf anderem Weg zu Entscheidungen, wie das Geld einzusetzen sei, daher gründete sich im Frühsommer 2019 der Verein „BID Innenstadt-Königstein im Taunus e.V. “, um die „Grundidee für eine Belebung des Einzelhandels und der Entwicklung einer lebendigen, lebenswerten und begehrten Innenstadt“ fortzusetzen.

Gammelige Kästen stören das Bild

In diesem Bestreben fielen den Innenstadtverschönerern schon im vergangenen Jahr die „wenig attraktiven Verteilerkästen“ der Versorgungsunternehmen ins Auge: „Im günstigsten Fall sind sie stark verschmutzt und vermoost, meist aber von Graffiti und Resten von Reklameaufklebern bedeckt“, beschreibt Dr. Gerhard Adler den Grund, weshalb sein Verein die Initiative ergriff – und schnell feststellen musste, „dass hier ein ganz dickes Brett zu bohren war“.

Zunächst bedurfte es einer Kartierung aller in Frage kommenden Kästen im Innenstadtbereich, denn neben den Trägern öffentlicher Belange haben da die Eigentümer kräftig mitzureden. Eher unerwartet gab es dann schnell grünes Licht von Telekom, Vodafone/Unitymedia, Syna und Post: „Sobald man sich zur richtigen Stelle durchgefragt hatte, erteilten sie ohne Zögern ihre Zustimmung zu einer Bemalung.“

Die Telekom hat sogar ein eigenes Aktionsprogramm dafür. Sie erbat allerdings vor der Ausführung der Arbeiten Skizzen, was da im Einzelfall dargestellt werden sollte. Eine weitere grundsätzliche Bitte bezog sich auf die Verwendung heller Farben, um die Wärme im empfindlichen Innenleben der Schaltkästen nicht zu steigern.

Erfahrungswerte eingeholt

Parallel zu den Genehmigungen holten die Initiatoren Erfahrungswerte aus Kommunen wie Oberursel oder Taunusstein ein, die solche Verschönerungsaktionen bereits hinter sich gebracht haben – während der Aktion in Königstein erkundigten sich wiederum andere Gemeinden hier vor Ort. Bürgermeister Leonhard Helm konnte von überwiegend positiven Effekten berichten: „Da gibt es so etwas wie einen Ehrencodex; wo etwas schön bemalt ist, schmiert kein anderer ‚Künstler‘ drauf.“ Und falls das doch passiert? Bis zu fünf Deckschichten mit Klarlack sollten genügen, um Dreck künftig wieder zu beseitigen.

Davon hatte sich natürlich in den Jahren zuvor genügend angesammelt, viele Verteilerkästen waren auch von Algen und Moos überzogen. Hier bescheinigen die Kameraden vor allem Dr. Gerhard Adler einen unermüdlichen Einsatz mit dem Spülschwämmchen in der Vorbereitungsphase.

Kunstwerkstatt als idealer Partner

Schließlich fehlten noch zwei ganz wesentliche Komponenten, nämlich das Geld und befähigte Künstler zur Umsetzung des Planes. Mit der Kunstwerkstatt war dann gleich die Lösung beider Probleme gefunden. Geschäftsführerin Sabine Mauerwerk war schnell von der guten Sache überzeugt und brachte auch umgehend ihr Künstlerteam mit ins Boot. Diese normalerweise als Lehrkräfte tätigen Freiberufler investierten wiederum reichlich ehrenamtliche Überstunden – ihr Grundgehalt wurde den Corona-Geschädigten allerdings auch für diese Aktion bezahlt.

„Das ist unser Projekt geworden“, beschreibt Sabine Mauerwerk den Fortgang der Geschichte. Fraglos passte die Verschönerungsaktion genau in die inhaltlichen Vorstellungen der Kunstwerkstatt, und ihre Kolleg*innen konnten auch die nötige fachliche Kompetenz mit einbringen. So wurde nicht nur für jeden Kasten eigens erst ein Entwurf angefertigt und dabei die Farbgebung – mitunter sogar der Kunststil – sowie das Motiv harmonisch an die Umgebung angepasst, sondern auch Spezialfarbe für alleine mehr als 1.500 Euro besorgt.

Künstler bringen Geld mit

Den Vogel schoss Sabine Mauerwerk schließlich ab, als sie die Finanzierung sicherte: Ein Förderantrag für ein Projekt zur „Kunst im öffentlichen Raum – Aus-Grau-wird-Kunst“ beim Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst brachte diesen Segen.

Ab dem 15. Juni wurden schließlich die konkreten Vorbereitungen getroffen, indem der Verein BID Innenstadt die für den Anfang ausgewählten Kästen reinigte; pünktlich zu Ferienbeginn ab dem 6. Juli machten sich dann die Projektteams der Kunstwerkstatt ans Werk, unter Leitung der Kursleiterinnen Inge Brocar, Denise Graf, Claudia Guderian-Winter, Franziska Kuo und Ulrike Müller-Holst, unterstützt von der ein Freiwilliges Soziales (Kultur-)Jahr ableistenden Vivien Santos.

Sabine Mauerwerk von der Kunstwerkstatt, Dr. Gerhard Adler vom Verein BID Innenstadt und auch Jörg Hormann von der Stadtverwaltung sind nun zum Ferienende mehr als zufrieden mit dem Ergebnis und bedanken sich bei allen herzlich für ihr Engagement und ihre Mühe. Ihr besonderer Dank geht natürlich auch an das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst für die Finanzierung des Projekts. Es bleibt den Bürger*innen und Besucher*innen Königsteins nun, sich über die fröhlichen Farbflecken zu freuen – vorab bilden wir einige davon in dieser KöWo ab.

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